Samstag 22. Februar 2025

Zur „System-Relevanz“ des christlichen Glaubens und der Kirche

Zur „System-Relevanz“ des christlichen Glaubens und der Kirche

Überlegungen von Johann Gmeiner, Pfarrer von Grieskirchen und Dechant des Dekanats Kallham. Verfasst für das Pfarrblatt „Pfarr-Kontakt“ der Pfarre Grieskirchen.

In dieser Zeit der Corona-Krise brauchen wir unbedingt die medizinischen Berufe, logischerweise die Nahrungsmittelbranche, eine gut funktionierende öffentliche Verwaltung, etc. Aber braucht es das, dass Gottesdienste gefeiert werden, dass der Glaube verkündet wird, Sterbende und deren Angehörige getröstet werden, dass gebetet wird – auch um ein Ende der Pandemie?

 

Es geht nicht darum, dass wir, weil wir „so viel Wissen über unser Nichtwissen“ haben, und „so viel Zwang herrscht, unter Unsicherheit handeln und leben zu müssen“ (Habermas), etwas „brauchen“, woran wir uns halten können. Wenn wir den Glauben nur „brauchen“, damit wir im Leben besser zu Recht kommen, wird er unbrauchbar.

 

Es kommt darauf an, dass wir tief aus unserem Herzen heraus an Gott glauben können, ohne ihn verzwecken zu wollen. Biblischer Glaube bedeutet, das unbegreifliche Geheimnis allen Seins tief in unserm Inneren wahrzunehmen und uns  Gott liebend zuzuwenden. Der Glaube ist dann ein christlicher, wenn wir Christus, den Auferstandenen, als unseren inneren Freund spüren, der uns im ganzen Leben bis über den Tod hinein und über ihn hinaus begleitet. Aus dieser Grunderfahrung heraus werden wir Christus, Gott, immer wieder ansprechen (= beten), täglich sogar, allein und mit anderen Glaubenden: zuerst dankend, aber auch bittend. Und wenn wir dabei auch Zweifel haben, so ist das normal – einfach den Herrn weiter ansprechen – möchte ich sagen! Und wenn wir das Gefühl haben, wir können nicht (mehr) glauben, lade ich erst recht dazu ein, das Wagnis des Gebetes, vielleicht sogar in der Form des Haderns, weiter zu praktizieren!

Die Gott-Suche soll also am Anfang stehen - und natürlich dürfen wir hoffen, dass uns alles andere dazu gegeben wird. So sagt es uns Jesus selber (Mt 6,33).

 

Ist also der Glaube systemrelevant? Braucht man heute, in dieser „Corona-Zeit“, die Kirche?

Nicht in dem Sinn wie ein Krankenhaus oder eine Tankstelle oder ein Lebensmittelgeschäft. In einem anderen Sinn ist unsere christliche Spiritualität durchaus von Bedeutung (= Relevanz) für unsere Gesellschaft: dass es Menschen gibt, die Gott suchen und ihn wahrnehmen können und daher auf ihn vertrauen, glauben und beten. Und wenn dieses Gottvertrauen tief und authentisch ist, wird es seine guten Früchte bringen. Die lange Kirchengeschichte lässt dies erkennen und auch das Verhalten heutiger glaubwürdiger Christen!

 

Diese Feststellung getraue ich mir zu machen, weil ich dafür einen Zeugen zitieren will, dem es in seinem langen Philosophenleben nie um „Beweihräucherung“ der Kirche gegangen ist: Jürgen Habermas.

Er schreibt:

Der egalitäre Universalismus, aus dem die Ideen von Freiheit und solidarischem Zusammenleben entsprungen sind, ist unmittelbar ein Erbe der jüdischen Gerechtigkeit und der christlichen Liebesethik. In der Substanz unverändert, ist dieses Erbe immer wieder kritisch angeeignet und neu interpretiert worden. Dazu gibt es bis heute keine Alternative.

 

Zugegeben: eine nicht so leichte Philosophensprache. Was will Habermas sagen?

Grundlage des heutigen, auch säkularen Menschenbildes ist, dass ALLE Menschen die GLEICHE Würde haben – diese ist unantastbar. Das meint er mit den Worten „egalitärer Universalismus“. Schon im 1. Kapitel des 1. Buches der Bibel heißt es: „Gott schuf den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn.“ (Gen 1,27) Also: JEDER Mensch ist ein Abbild Gottes! Eigentlich unglaublich – für den Verstand! Darin besteht das christliche Menschenbild und auf diesem Glauben beruhen nach unserem Verständnis zutiefst die Menschenrechte. Welche tiefere Begründung könnte es geben?

Dann: aus diesem Glauben sind die Ideen von Freiheit und solidarischem Zusammenleben entsprungen. Das ist nur logisch, dass jeder Mensch, wenn er Kind Gottes ist, mit Freiheit ausgestattet ist und zu Solidarität mit allen anderen „Abbildern“ Gottes verpflichtet ist. So ist es in der Ur-Kunde des Christentums, dem Alten und dem Neuen Testament, jedenfalls grundgelegt. Und die vielen Verfehlungen der Kirche selber im Lauf ihrer langen Geschichte können sich nicht auf ihre „Verfassung“, die Bibel, berufen. Habermas hält fest: Freiheit und Solidarität sind ein UNMITTELBARES ERBE des Christentums. Das sagt er, obwohl er kein Christ ist und natürlich weiß, dass die Christen selber und mit ihr die Kirche(n) diese Werte oft vergessen haben und manchmal auch mit Füßen getreten haben.

Die ratio allein, die Vernunft als solche, die alles Metaphysische, alles Übernatürliche ablehnt, hilft erst recht dem Menschen nicht, das Leben liebe-voll führen zu können. Ganz schreckliche Verirrung hat das rein „vernünftige“ Denken hervorgebracht – heute z. B. das strenge Prinzip der uneingeschränkten Profitmaximierung.

 

Der christliche Glaube ist meiner Meinung nach „systemrelevant“, wird gerade in Krisenzeiten gebraucht – im eingangs geschilderten Sinn: Er schenkt uns, wenn wir ihn authentisch leben können und wollen, sehr viel Gutes und Hilfreiches. So lade ich Sie, liebe Leserin, lieber Leser, herzlich ein, darüber nachzudenken und ihre Schlüsse zu ziehen. Und wenn Sie eine Ahnung von etwas Höherem haben, danach suchen wollen und auf einen guten Gott vertrauen können, dann tun Sie es wirklich – in einer religiösen Praxis: dem stillen Gebet, dem gemeinsamen Gebet mit Ihren Lieben zu Hause, dem Gebet bei Gottesdiensten in unseren Kirchen! Zu allermeist gibt es genügend Plätze, wo die nötigen Abstände eingehalten werden können. Das Dankgebet möge an 1. Stelle stehen – für das viele Gute, das wir auch in dieser schwierigen Situation erleben dürfen. Und natürlich dürfen wir dem liebenden Gott auch unsere Sorgen vortragen, vor allem auch die Bitte um die Kraft zum Zusammenhalt in unserer Gesellschaft und um Gerechtigkeit und Frieden auf unserem Globus und um ein Ende der Pandemie!

Und wer immer in der Politik und in der Wirtschaft zu entscheiden hat, soll sich mit Habermas klar sein: Demokratie hat das christliche Menschenbild als Voraussetzung (Ernst-Wolfgang Böckenförde), und ein nachhaltig funktionierendes Wirtschaftsleben ebenso. Denn es gibt keine Alternative zu einer sozialen und ökologischen Marktwirtschaft! Politiker und Wirtschaftsleute und auch Kulturschaffende sollten sich klar sein: Der christliche Glaube und mit ihm die Kirche(n) sind sogar sehr systemrelevant!

                                                                    

Johann Gmeiner, Pfarrer von Grieskirchen und Dechant des Dekanats Kallham

 

Pfarre Grieskirchen

 

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