"Dann hauchte er sie an ..."
Nach Ostern sitzen die Jünger und Jüngerinnen Jesu ängstlich im verschlossenen Raum, so erzählt es das Johannesevangelium. Jesus kommt durch die verschlossene Tür, haucht sie an und sagt: „Empfangt den Heiligen Geist.“ 50 Tage nach Ostern, zum jüdischen Pfingstfest – dem Fest des Bundes Gottes mit den Israeliten und dem Erntedankfest –, kommt aus dem Himmel ein Brausen. Es erfüllt das ganze Haus mit dem Heiligen Geist. So beschreibt es die Apostelgeschichte.
Der Heilige Geist, die Geistkraft Gottes, zeigt sich in den Bildern unseres Glaubens als Wind, Feuer, Taube. Diese Kraft unterstützt die ChristInnen, im Sinne der Frohen Botschaft zu leben. Er/Sie beschenkt mit göttlicher Lebenskraft, so wird es im neuen Gotteslob erläutert. Im Johannesevangelium 14,26 wird diese Lebenskraft verdeutlicht: „Jesus sagt: Der Beistand (der Mutbringer, nach der Übersetzung von Friedolin Stier) aber, der Heilige Geist, den der Vater in meinem Namen senden wird, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe.“ Ein Gebet zum Heiligen Geist bringt es auf den Punkt: „Entzünde in uns das Feuer deiner Liebe!“
Atem und Wind Gottes in der hebräischen Bibel
Die Grundlagen für die Bedeutungen des Heiligen Geistes, der Geistkraft Gottes, sind in der hebräischen Bibel zu finden. Univ.-Prof.in Dr.in Susanne Gillmayr-Bucher lehrt alttestamentliche Bibelwissenschaften an der Katholisch-Theologischen Privatuniversität Linz. Sie beschreibt die grundlegende Bedeutung der Geistkraft Gottes: „Der hebräische Begriff ‚Ruach‘ wird vielfältig gebraucht und ist sehr schillernd. ‚Ruach‘ bezeichnet vor allem den Atem des Mundes und den Wind. Dabei geht es zunächst um den ‚Luftstoß‘. Ruach als Wind wird als etwas Kräftiges erfahren, das als Sturm auch zerstörerische Kräfte hat. Dieser Luftstoß ist etwas, von dem man nicht weiß, woher es kommt und wohin es geht. Es entzieht sich der Erkenntnis des Menschen. Der mit Ruach bezeichnete Atem ist nicht mit der Lebenskraft (hebräisch: Näfasch) zu verwechseln. Ruach ist vielmehr eine sich im Atemstoß äußernde Kraft. Im übertragenen Sinn kann Ruach auch als Geist des Menschen, als dessen dynamische Komponente verwendet werden. Ganz ähnlich wie die Rede vom ‚Herz des Menschen‘ kann auch die Ruach eines Menschen dessen Aktionszentrum beschreiben. Die Geistkraft Gottes (Ruach Gottes) wird im Ersten Testament häufig, an rund 60 Stellen, erwähnt. Der Windstoß Gottes wird meist positiv eingeschätzt, kann aber, wie bei Saul (1 Sam 19,9) auch negativ ‚ein böser Geist Gottes‘ sein. Heute würden wir dazu vielleicht ‚eine depressive Macht‘ sagen.“
Dazu befähigt der Geist Gottes
Gillmayr-Bucher beschreibt, wie sich der Geist Gottes im Leben der Menschen auswirkt. Dies werde ebenfalls sehr unterschiedlich geschildert: „Bei charismatischen Führungspersönlichkeiten − zum Beispiel im Buch der Richter − überfällt die Ruach Gottes den Richter/Retter, der daraufhin in der Lage ist, sein Volk zu befreien. Die Ruach Gottes wird als eine Kraft gedacht, die den Helden zu außergewöhnlichen Taten befähigt. Die Ruach Gottes kann Menschen auch in eine ekstatische Verzückung (Trancezustand) versetzen. Die Ruach Gottes entrückt Propheten, trägt sie in eine Vision hinein, wie zum Beispiel den Propheten Ezechiel.“
Schillernde und vielfältige Vorstellungen
Die Vorstellungen des Geistes Gottes sind vielfältig und verändern sich in der Geschichte. Gillmayr-Bucher: „Die Vorstellung von der Ruach Gottes ändert sich und sie wird stärker als eine bleibende Begabung gesehen, eine Gabe für den Gesalbten JHWHs, insbesondere den König, die ihm besondere Fähigkeiten verleiht. Diese Vorstellung wird auf den erhofften messianischen König übertragen. Dies wird in der Erzählung von der Taufe Jesu sichtbar. In nachexilischen Heilsworten wird die Geistbegabung dem ganzen Volk zugesagt. Diese Vorstellung wird im Neuen Testament in der Erzählung vom Pfingstereignis fortgesetzt. Eine ebenfalls verallgemeinernde Vorstellung von der Ruach Gottes findet sich zum Beispiel in Psalm 104: Vers 29 spricht davon, dass Gott die Ruach der Lebewesen ‚einsammelt‘, dann sterben sie; in Vers 30 sendet Gott seine Ruach aus, dann leben die Lebewesen. Das heißt, dass alle Lebewesen von der Ruach Gottes abhängig sind, damit sie selbst Ruach haben, sprich atmen, also leben können. Mit dem Einfluss des Hellenismus ab Ende des vierten, Anfang des dritten Jahrhunderts vor Christus rückt der Begriff ‚Ruach‘ auch in die Nähe der Vorstellung von Weisheit (= ‚Sophia‘). Später wird ‚Ruach‘ zu einem theologischen Begriff, der nicht mehr mit einem spezifischen Heilshandeln Gottes zusammenhängt. Von den schillernden und vielfältigen Vorstellungen der Ruach Gottes zur Vorstellung vom ‚Heiligen Geist‘ ist es ein weiter Weg. Die Vorstellung von der Ruach wurde dabei mehrfach übersetzt und vor allem in andere kulturelle Denksysteme übertragen.“
Unberechenbar, stärkt und wirbelt durcheinander
Gillmayr-Bucher nennt auch ihren ganz persönlichen Zugang zum Geist Gottes und sie benennt dies bewusst „Geistkraft Gottes“: „Mir gefällt an den vielfältigen Vorstellungen der Ruach Gottes in den Texten der hebräischen Bibel vor allem die Dynamik. Als Geistkraft Gottes, als Windstoß Gottes kann diese Kraft auf Menschen einwirken, sie zu Handlungen befähigen. Gott sendet in den Erzählungen seine Geistkraft auch häufig unvermutet und mutet den Menschen damit etwas zu. Gottes Ruach belebt, verändert, stärkt, fordert heraus, wirbelt auf und wirbelt durcheinander. Ich selbst spreche gerne von der Geistkraft Gottes im Sinn des Ersten Testaments. Für mich ist das Bild der Geistkraft Gottes ein schönes Bild für Gottes Wirken in der Welt, es traut Gott und den Menschen etwas zu. In der Bezeichnung ‚Geistkraft Gottes‘ kommt für mich auch die Unverfügbarkeit dieser Kraft gut zum Ausdruck. Neben allen stärkenden, ermunternden, ermöglichenden Aspekten bleibt diese Geistkraft in unserer Erfahrung stets auch ‚unberechenbar‘, ist doch die Geistkraft Gottes in ihrem Wirken oft nicht eindeutig zu erkennen. Ob es sich um die Ruach Gottes handelt oder einen anderen ‚Geist‘, wird oft erst im Rückblick erkennbar.“
Tauben als orientalische Botenvögel der Göttin
Es gibt viele verschiedene Darstellungen des Heiligen Geistes in der Kunst. In den heimischen Kirchen ist die Taube sehr vorherrschend. Das Pfingstereignis wird in den Altarbildern mit Feuerzungen und Windstößen dargestellt. Gillmayr-Bucher zu diesen Darstellungen: „Das Bild vom Luftstoß und Wind gefällt mir gut, aber auch das Bild der Taube. Im Alten Orient sind Tauben die Botenvögel der Göttin. Beide verweisen auf ein dynamisches Geschehen zwischen Gott und Mensch, das von Gott ausgeht und die Menschen bewegt, anstößt vielleicht sogar verändert.“
Die Taube ist in der christlichen Symbolik Zeichen des Geistes und Symbol für den Frieden. Abbildung: Baustein von Andrea Auer für die Pfarrkirche Pötting. Material: Bienenwachs und Paraffin. © Kunstreferat der Diözese Linz
Heiliger Geist, die weibliche Dimension Gottes?
„Der hebräische Begriff ‚Ruach‘ wird grammatikalisch überwiegend, allerdings nicht immer, als ein feminines Substantiv verwendet. Insbesondere in der Verbindung Ruach Gottes ist es fast immer feminin gebraucht. Auch die Nähe der späteren Ruach-Vorstellungen zur Sophia, der Weisheit, die sehr häufig als ‚Frau Weisheit‘ personifiziert wird, verstärkt die weibliche Komponente“, sagt Gillmayr-Bucher und fährt fort: „Ich finde es sehr wichtig, dass Gottesbilder männliche und weibliche Anteile in einem ausgewogenen Maß enthalten und die weibliche Dimension Gottes in einem ebenbürtigen Ausmaß zur Sprache kommt. Den Heiligen Geist als weibliche Dimension Gottes zu verstehen, ist eine Möglichkeit dazu. Ich selbst versuche mir Gott stets in männlichen und weiblichen Bildern vorzustellen, und auch die Geistkraft Gottes ist für mich nicht nur weiblich und natürlich ebenso wenig nur männlich.“
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Der Artikel erschien in der MitarbeiterInnen-Zeitung "informiert" der Diözese Linz; Ausgabe 05/15. Verfasserin ist Gabriele Eder-Cakl. Sie führte die Interviews und die Recherchen. (ma)