Kirche für mich?
Seien es Rockkonzerte, Fußballspiele oder Kulturfestivals – Menschen kommen gerne zusammen, um gemeinsam etwas zu erleben. Obwohl sich heute immer mehr am MP3-Player und am Smartphone das eigene Musikprogramm zusammenstellen, geht von einer Open air-Veranstaltung mit vielen Gleichgesinnten nach wie vor eine besondere Faszination aus. Ähnlich ist es mit dem Fußball. Natürlich ist eine Fernsehübertragung interessant. Reizvoller jedoch ist das gemeinsame Erleben eines Fußballspiels, sei es im Stadion oder mit Freundinnen und Freunden. Und selbst im Internet gibt es neben dem „einsamen Surfen” Begegnungsmöglichkeiten für Menschen, die sich sonst nie getroffen und ausgetauscht hätten.
Der „Mehr-Wert” all dieser Versammlungen besteht darin, dass der eigene Horizont, das eigene Erleben, der eigene Genuss und die eigenen Handlungsmöglichkeiten geweitet und vertieft werden. Geteilte Freude, geteiltes Hören oder geteiltes Tun ist mehr als einsame Freude, einsames Hören oder einsames Tun. So gesehen, gehören Teilen und Gemeinschaft immer zusammen.
Geteiltes Leben
Teilen und Gemeinschaft – das sind auch für Jesus elementare Begriffe. Beides ist für ihn so wichtig, dass er im Angesicht des Todes alles, wofür er steht, alles, was er noch weitergeben will, in diese beiden Begriffe hineinlegt: Am Ende seines Lebens, als ihm nur noch wenig Zeit bleibt, versammelt er sich mit den Seinen und teilt mit ihnen Brot und Wein. In diesen entscheidenden Stunden gibt er sich selbst. Er teilt sein Leben und Sterben, er teilt das, was ihm Angst macht und was ihn stärkt. Und er lädt die Menschen ein, sich weiterhin in diesem Sinn zu versammeln, sich – wie Brot und Wein – wandeln zu lassen und einander stärkende Nahrung zu werden. Wo das geschieht, verspricht Jesus, wird er selbst gegenwärtig sein. Wo immer Christinnen und Christen daher im Sinne dieses Vermächtnisses zusammenkommen und sich um ihren Herrn versammeln, geht es um das Teilen des Lebens, um das, was Angst macht und was stärkt, was Hoffnung nimmt und was Hoffnung gibt.
Wenn Weite und Tiefe fehlen…
Wenn Frauen und Männer, Kinder und Jugendliche nichts mehr für ihr Leben gewinnen können, wenn sie nicht mehr erfahren, dass die Kirche und ihre Botschaft Bedeutung für das eigene Leben hat, bleiben diese Menschen verständlicherweise weg. So gesehen können kirchenkritische Stimmen und Austritte durchaus als Ausdruck einer enttäuschten Sehnsucht nach geistlichen Ressourcen und tragfähiger Lebensorientierung gesehen werden.
Raum schaffen und Raum geben
Damit die Gemeinschaft der Christinnen und Christen Weite und Tiefe ausstrahlt, braucht es Menschen, die die Botschaft Jesu in das heutige Leben mit seinen vielfältigen Herausforderungen übersetzen. Es braucht ebenso die konkrete Erfahrung, dass jene, die den Glauben mitleben wollen, geschätzt und willkommen sind. Katholisch sein bedeutet ja, weit zu sein, nicht eng. So darf und muss es Raum geben für Menschen, die wach und sensibel für Neue und Neues sind. Raum für jene, die mitdenken und mitgestalten. Raum für jene, die einfach da sein dürfen – in ihrer Trauer und Enttäuschung. Raum für jene, die ihre Erfahrungen einbringen können, wie Glaube und Alltag gut zusammenwirken. Selbstverständlich sind auch jene willkommen und geschätzt, deren Stärke im nüchternen Blick und in der sachlichen Kritik liegt. Paulus vergleicht in seinem ersten Brief an die Korinther die Kirche mit einem Leib, der aus vielen Gliedern besteht (1 Kor 12,12-31a). Jedes Glied dieses Leibes ist unersetzlich und hat seine ganz bestimmte Aufgabe. Wichtig beim gemeinsamen Zusammenspiel der Glieder ist, dass kein Zwiespalt entsteht, „sondern alle Glieder einträchtig füreinander sorgen” (1 Kor 12,25). Ob man uns das anmerkt?
Heute an die Kirche glauben?
Heutzutage an die Kirche Jesu zu glauben, fällt vielen schwer. In einer Zeit der Kirchenkrise ist der theologische und soziale Sinn von Kirche nicht mehr selbstverständlich. In einer Zeit des religiösen Individualismus suchen viele Menschen ihren Glauben in Mystizismus oder in den verschiedensten Angeboten des religiösen Marktes zu verwirklichen. In einem Zeitalter der Kritik werden schonungslos alle Sünden und Untaten der Kirche aufgezeigt. „Wozu brauche ich die Kirche?”, fragen viele. Uneinig aufgrund unzähliger Konfessionen, unheilig wegen vieler Versäumnisse und Eigeninteressen, engstirnig statt weltoffen katholisch, traditionalistisch verhärtet statt dynamisch apostolisch – so und anders lauten berechtigte und unberechtigte Vorbehalte. Und dennoch: Es ist die Kirche, die in den Seelen der ersten Christen erwacht ist, weil sie göttliche Träume vom gelingenden Leben hütet (Fulbert Steffensky).
Kirche: Heilszeichen Gottes für die Welt
So wenig wir uns das Leben selbst schenken konnten, so wenig können wir uns den Glauben selbst geben. Denn Leben und Glauben sind beide Ereignisse der Beziehung, Ausdrucksformen von Kommunikation. Die Kirche Christi hat mit dem Pfingstereignis das öffentliche Licht der Welt erblickt. Als geisterfüllte Menschen begannen, die Geschichte Gottes mit Jesus von Nazaret zu erzählen, konnten sie das nur tun als eine neue Gemeinschaft von Glaubenden. Sie schlossen sich nicht zu einem Verein zusammen, sondern sie wussten sich von Christus selbst herausgerufen, seine Botschaft zu verkünden, seine Praxis fortzusetzen, seinen Tod zu erinnern und seine Auferstehung anzusagen. Kirche ist also nicht Selbstzweck, sondern Gottes Heilszeichen für die Welt, gebildet aus Menschen aller Völker.
So wie vieles im Leben bleibt auch die Kirche hinter ihren eigenen Idealen zurück. Damit die Kirche dem Reich Gottes dient, benötigt sie ständige Aufmerksamkeit, um die „Zeichen der Zeit” (GS 4) zu erkennen. Jede Christin, jeder Christ sollte sich bewusst sein, dass sie/er mit ihrem/seinem Leben und ihrem/seinem Glauben ein Stück Kirche, ein Glied Christi verkörpert.
Quelle: Kommunikationsbüro der Diözese Linz (2008): Broschüre "glaubenswert - Spuren des Glaubens"