Welcher Geist prägt uns?
Wir räumten gerade alte Bücher ein, als wir inmitten dieser „Flohmarkt-Schätze” auf eine Schachtel stießen. Wir öffneten sie und fanden Fotos – Fotos von Menschen, die längst nicht mehr leben, Fotos aus vergangenen Zeiten, aber auch Fotos jüngeren Datums. Die Gestik und Mimik, die Haar- und Bartmode, die Kleidung, die Umgebung – all das ließ uns raten, wann denn diese Fotos gemacht wurden, wie und wo die hier Abgebildeten gelebt haben, was wohl der Anlass für das jeweilige Foto gewesen war.
Was oben steht
Eines fiel uns bei den Fotos noch besonders auf: der Einfluss und das Wirken des „Zeit-Geistes”! So ist etwa auf dem Foto eines k. u. k. Soldaten bis heute erkennbar, was zur damaligen Zeit „ganz oben” stand: die Treue zu Gott, Kaiser und Vaterland. Eine bestimmte Ordnung der Gesellschaft kommt zum Vorschein. In den Fotos aus den 30er und 40er Jahren spiegelt sich ein anderer „Zeit-Geist” wider. Das Hakenkreuz an den Uniformen oder bestimmte Haar- und Bartmoden zeigen, was und wer damals an erster Stelle zu stehen hatte. Unübersehbar ist der „American way of life” auf den Fotos der 50er und 60er Jahre. In den Bildern aus den 70ern und 80ern spiegelt sich wiederum der erreichte Wohlstand: Alles wurde breiter, bunter, auffälliger. In den 90er Jahren dann die Besinnung auf neue Sachlichkeit. Jedes Foto zeigt also auf seine Art, was zu einer bestimmten Zeit maßgebend war, was Denken und Handeln beeinflusste, was oder wer auf die Menschen abfärbte.
Der Blick auf die Bilder ließ uns nachdenken, welchem „Geist” wir uns heute aussetzen, von wem oder wovon wir unser Leben, unsere Zeit prägen lassen.
Vom Zeit-Geist heute
Nicht selten hört man Zeitgenossen über den gegenwärtigen „Zeit-Geist” klagen. Aber gibt es – trotz manch berechtigter Sorge – nicht auch „Geistes-Haltungen”, die es in dieser Form und Häufigkeit so früher nicht gegeben hat? Zu denken wäre hier etwa an die zunehmende Hinwendung zu Sterbenden, an die wachsende Aufmerksamkeit für Mitmenschen mit Beeinträchtigungen, an das beachtliche Engagement für Menschen in Notlagen, an die Sorge um eine gerechte Verteilung der Güter und einen sensiblen Umgang mit der Natur. Neben echten Un-Geistern und Versäumnissen gibt es also Einstellungen, Haltungen, Ansätze, die viel mit jenem Geist zu tun haben, den die Bibel den Heiligen Geist nennt. Ein Charakteristikum dieses Geistes ist es freilich, dass er „weht”, wo, wie und wann er will!
Das Feuer seiner Nähe
Spricht die Bibel vom Heiligen Geist, erzählt sie dabei meistens von Menschen. An ihnen und ihrem Leben wird der Geist und sein Wirken sichtbar. Der Heilige Geist aber ist nicht ein Geisterwesen neben Gott oder irgendeine mysteriöse Energie, worüber man mittels einer speziellen Technik verfügen kann. Der Heilige Geist ist vielmehr Gott selbst – in seiner persönlichen Nähe zu den Menschen. Die Erfahrungen des Glaubens zeigen, wie viel „Kraft”, wie viel „Feuer” von dieser Nähe ausgeht: Dort, wo Menschen Gott Raum geben, sich an ihm ausrichten, mit ihm zu leben wagen, können neue Perspektiven entstehen, kann Mitmenschlichkeit neu entflammen, echter Trost gefunden werden, Mut zum Widerspruch und zur Authentizität wachsen. Zu Ostern erfuhren die Männer und Frauen um Jesus, dass der Auferweckte in derselben Weise wie Gott den Menschen nahe ist! – Wäre es nicht auch für uns heute belebend und bereichernd, Gott und seinem Christus Raum zu geben und sich von deren Nähe „entflammen”, prägen, inspirieren, herausfordern zu lassen?
Quelle: Stefan Schlager, Theologische Erwachsenenbildung