Leben nach dem Tod?
Die ganze Nacht hindurch hörten wir ihn sagen: „Ja, ja, jetzt ist es mir recht, jetzt ist es mir recht.” Er konnte eigentlich nicht mehr sprechen – und trotzdem dieser Satz, viele Male wiederholt! Zwei Jahre zuvor hatte mein Vater einen schweren Gehirnschlag, der ihn – mit 48 Jahren – zu einem Pflegefall machte: rechtsseitig gelähmt und sprachunfähig. Dennoch verlernte er in dieser bitteren Lage nicht, zu lachen und sich zu freuen: an den Besuchen, an den Rollstuhlfahrten in die Natur, an kleinen Erfolgen, wenn ihm etwa einmal ein Wort gelang. Einen schön gedeckten Kaffeetisch gab es oft. In seinen letzten Monaten baute mein Vater körperlich stark ab. Seine Blutwerte wurden immer schlechter, das Wasser setzte ihm arg zu, sein zuvor schon schwaches Herz verlor an Kraft. Jede kleine Anstrengung überforderte ihn. Ich denke, dass mein Vater in dieser Phase seinen nahen Tod geahnt hat. In seinen letzten Tagen sah er sich die so vertraute Wohnung immer wieder aufmerksam an. An einem Abend konnte sogar die gesamte Familie zusammen kommen – zu schönen gemeinsamen Stunden. „Ja, ja, jetzt ist es mir recht”, sagte mein Vater in seiner letzten Nacht immer wieder. Am darauf folgenden Tag starb er. Er schloss sein Leben bewusst ab.
Alles wird „recht”
Die Erfahrungen mit meinem Vater haben mir einen neuen Zugang zum Auferstehungsglauben eröffnet. Ich begriff die ungeheure Hoffnung dieses Glaubens, nämlich, dass nichts verloren gehen wird aus diesem Leben: Alles, was für einen Menschen schön, wichtig, gelungen war, aber auch schwierig, offen, verletzt blieb, wird – trotz möglicher körperlicher und geistiger Verluste – nicht vergehen, sondern zur Reife, zur Voll-Endung, zur Heilung kommen. Alles wird „recht” werden!
Gott vollendet das Leben
Wenn die Bibel von Auferweckung spricht, meint sie damit Verwandlung. Es ist – so sagt etwa Paulus – wie bei einem Samenkorn: Wie ein Samenkorn in die Erde fällt, so fällt am Ende auch unser Leben in die Erde. Aber dort „ver-endet” es nicht. Im Tod – in der Begegnung mit Gott – wird vielmehr all das, was im Leben zu keimen begonnen hat, aber auch all das, was sich nicht (mehr) entfalten konnte, angenommen, geheilt, verwandelt. Besonders schön zeigt sich das in der Erzählung von der Begegnung des ungläubigen Thomas mit dem Auferstandenen. Hier wird der auferstandene Jesus mit „verklärten” Wundmalen dargestellt. Diese Wundmale stehen für die Verwundungen des Lebens, für die eigene, unverwechselbare Lebensgeschichte mit seinen Höhen und Tiefen. Am Auferweckten wurde sichtbar: All das hat Bedeutung vor Gott. Er heilt die Lebenswunden, entfaltet das Begonnene und bringt den Menschen zu seiner Vollendung.
Über den Tod hinaus treu
Den Glauben an die Auferstehung gibt es nicht erst seit der Auferweckung Jesu. Israel ist etwa 300 Jahre vor Christus zu diesem Glauben durchgestoßen – nach einer fast 1000 Jahre langen Lernphase. In dieser langen Zeit konnte Israel seinen Gott „hautnah” kennen lernen. Und so kam es – ganz langsam – zur Überzeugung: Weil sich Gott in der Geschichte Israels über Jahrhunderte hindurch immer wieder als „unberechenbar” treu und als „unbeirrt” menschenliebend erwiesen hat, deshalb wird er auch über den Tod hinaus treu bleiben und das Leben der Menschen heilvoll verwandeln.
Für Christen ist diese mühsam errungene Auferstehungshoffnung Wirklichkeit geworden: Kurze Zeit nach der Hinrichtung Jesu bezeugen Männer und Frauen, dass der am Kreuz Umgekommene lebt – neu, anders, verwandelt. Das Osterzeugnis begegnet dabei nicht nur in Worten. Die grund-legenden Veränderungen im Leben der Osterzeugen spiegeln wohl ebenso deutlich die Begegnung mit dem Auferstandenen wider! Am österlichen Jesus aber ist zu sehen: Jedes Leben – und sei es noch so kurz oder so angeschlagen – ist in den Augen Gottes unendlich kostbar. Nichts geht verloren!
Quelle: Stefan Schlager, Theologische Erwachsenenbildung