Heute glauben?
Uns geht nichts ab
„Das Leben ist ein Hit!” Dieser Slogan spiegelt das heutige Lebensgefühl treffend wider: Das reiche Angebot an Konsumgütern, die abwechslungsreichen Freizeitangebote und neue, interessante berufliche Betätigungsfelder sind nicht zu übersehen. In unserem Land geht es vielen Menschen so gut wie nie zuvor!
Dennoch Hektik und Frust
Trotz dieser erfreulichen Entwicklung gibt es allerdings auch großen Druck, nervöse Hektik, Langeweile und Frust, Aggressives und Depressives, Unzufriedenheit. Zum Leben – das weiß jede und jeder aus eigener Erfahrung – gehört somit wohl beides: Erfüllung und Leerlauf, Abwechslung und Gleichförmigkeit, Helles und Dunkles…
Alltag: mehr als man denkt
Gerade der Alltag mit seinen Ereignissen, mit den Festen und Mühen, mit den Freundschaften und Entfremdungen, mit den Erfolgen und den Enttäuschungen hat große Bedeutung für uns Menschen: Inmitten dieses wechselhaften Lebens sollen wir nämlich wachsen, reifen und Profil gewinnen, eine Persönlichkeit werden. Das geht natürlich nicht ohne Fehler, Stürze, Rückschritte und Leerläufe.
Vom Leben zum Glauben
So wie die eigene Persönlichkeit kennt auch der eigene Glaube Entwicklung und Reifung: Je „kindlicher” die Lebenserfahrung, desto kindlicher der Glaube. Je reicher die Lebenserfahrung (mit all den Schrammen), desto weiter, tiefer und hilfreicher der Glaube (wenn dieser auch mitwachsen durfte und ebenfalls seine Schrammen abbekommen hat).
Zerrformen des Glaubens
Leider wird Glaube heute nicht selten als etwas Lebensfernes, Überholtes oder „Aufgesetztes” erfahren. Glaube gilt nicht wenigen als etwas, das Leben verstellt, erschwert und einschränkt. Er wird mit Geboten, Verboten und Lehrsätzen gleichgesetzt.
Glaube und authentisches Leben
Glaube in christlicher Sicht darf Leben nicht einschränken. Es ist vielmehr ein „Güte-Zeichen”, wenn Glaube zu eigenständigem, authentischem, ehrlichem Leben verhilft. Glaube ist eine Grundhaltung, die die Wirklichkeit in mir und um mich herum gründlich wahrnimmt: Das, was mich im Tiefsten bewegt, wozu mich die Wirklichkeit herausfordert, was in mir und um mich möglich und nötig ist. Solch ein Glaube aber entsteht nur dann, wenn der Mensch einen (Rück-)Halt hat – nicht in sich selbst, sondern in Gott. Glauben heißt also zuallererst Vertrauen, sich auf den lebendigen Gott verlassen, sein Leben auf Gott hin und von ihm her zu gestalten.
Eine Zu-Mutung!
Letztlich bedeutet Glaube eine Zu-Mutung – die Zu-Mutung, Gott mehr zuzutrauen als allen anderen Mächten, Kräften, Einflüssen und Instanzen. Damit verbunden ist zugleich die Zu-Mutung zu einem Leben, das sich den Mitmenschen öffnet, das Zuwendung wagen lässt und vergeben hilft. Wir Menschen brauchen und können dabei jedoch nicht perfekt sein.
Am konkreten Leben wird erkennbar, was Glauben bedeutet:
- gelassener leben, weil letztlich nicht alles von mir abhängen muss;
- Weitherzigkeit und Weitblick, weil da ein größerer Horizont ist als das eigene Ich;
- meine Mitmenschen wahrnehmen und mich für andere einsetzen, weil einer langen Atem gibt und Vorbild ist;
- Engagement und Widerspruch riskieren, weil ich selbst Zuwendung erfahre ...
- Durststrecken aushalten, kleine (Fort-)Schritte wagen, weil es eine Beziehung gibt, die trägt und ermutigt;
- humorvoll Hoffnung wagen, weil ich weiß, wem ich vertraue und auf wen ich setze.
Bei all dem zeigt sich, dass der Glaube an Gott, das Vertrauen zu ihm und seiner Nähe unsere besten Kräfte freisetzt.
Krisen des Glaubens
Im Glauben gibt es auch Krisen, wenn sich etwa der Kinderglaube als nicht mehr hilfreich für die Fragen und die Lebensgestaltung eines Jugendlichen oder Erwachsenen erweist. Oder wenn Schicksalsschläge und Enttäuschungen an der Liebe Gottes zweifeln lassen und unter Umständen sogar zum Verlust des Glaubens führen. Krisen können auch zu Reifung führen. Krisen bieten, wenn man sie besteht, die Chance, den Glauben zu vertiefen und wachsen zu lassen.
Bewährungstest
Es gibt einen Test für den Wert unserer Praxis und für den Wert von Glaubensüberzeugungen: Helfen sie leben, gerade in den schwierigen Situationen und Stunden? Oder fördern sie eher ein Sich-Wegträumen von den Anforderungen des Lebens, so dass sich erst recht nichts ändert.
Quelle: Stefan Schlager, Theologische Erwachsenenbildung