MIT älteren Menschen reden statt ÜBER sie
Mit älteren Menschen reden statt über sie
Seelsorgliche Gespräche und Interviews mit Menschen im 3. und 4. Lebensalter
Ergebnisse eines Projekts
September 2023 bis Juli 2024
Dekanat Kremsmünster
Christa Meuwissen
ALLGEMEINe Aspekte:
- ALT SEIN ist ein „relativer Begriff“: Es kommt nicht auf die Anzahl von Lebensjahren an, auch nicht auf eine Position innerhalb der Familie (z.B. Großeltern). „Alt“ ist eher gleichbedeutend mit gesundheitlichen Problemen (körperlichen Einschränkungen) oder dem Verlust an Interessen und Lebensfreude. Ohne diese Probleme ist man nicht „alt“.
Das aktive Mitleben und Mitfreuen mit jüngeren Menschen bringt Lebensfreude und Segen.
- Älter werden ist durchaus auch mit Vorteilen verbunden: größere Freiheit, Unabhängigkeit, freie Zeiteinteilung, Gelassenheit, Lebenserfahrung. („Was kann ich nicht mehr, was kann ich noch, was kann ich erst jetzt?“)
Werte wie Dankbarkeit, Resilienz, Zufriedenheit, Weisheit werden als positive Erscheinungen des Alterns wahrgenommen. („Dann erst drauf zu kommen, was abgeht, ist schlechter als vorher zu wissen, was man hat!“)
„Älter zu werden“ ist durchaus positiv, „alt zu sein“ eher nicht.
- Je älter ein Mensch wird, desto wichtiger wird die Kindheit. Die eigenen Eltern/Großeltern werden wiederholt als Vorbild genannt – auch als Vorbilder für das Älterwerden.
Auch für das Verhältnis zu Kirche und Glaube sind die eigenen Eltern/Großeltern wichtige Vorbilder. Und charismatische Ordensfrauen und Priester.
- Emotional tragende Beziehungen sind sehr wichtig. Freunde und Freundinnen sowie Bekannte sterben, neue freundschaftliche Beziehungen zu knüpfen fällt schwer. Familiäre Bindungen und „Einbettung in die Großfamilie“ gewinnen an Bedeutung!
Eine neue Partnerschaft von Verwitweten wird als weniger tiefgehend erlebt als die erste „eigentliche“ Ehe.
Wenn der/die Partner:in häufig im Pflegeheim besucht wird, entsteht dort ein wichtiges soziales Bezugssystem, das nach dem Tod des pflegebedürftigen Teils fehlt; die Hinterbliebenen können vereinsamen.
- Für die Pflege von Kontakten ist man selber zuständig. Viele Ältere sehen es als selbstverständlich, sich sozial, in der Pfarre oder in Vereinen zu engagieren und gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. Oder zumindest mitzumachen.
Wo dies mangels Mobilität oder aus gesundheitlichen Gründen eingeschränkt ist, entstehen soziale Lücken: Krank sein kann einsam machen.
- Auch im Alter gibt es noch die Angst vor einer ungewissen Zukunft. Das zeigt sich im Wunsch, bis zum Sterben ohne fremde Hilfe auszukommen und in der Sehnsucht nach einem schnellen Tod ohne nennenswertes vorangehendes Leiden.
Fernsehen, Zeitungen und auch soziale Medien lösen Zukunftsängste aus (z.B. Angst vor Krieg oder vor anderen Religiononen). Manches nicht mehr erleben zu müssen wird als Trost und Erleichterung beschrieben.
Zukunftsangst wird gelindert durch Gottvertrauen und Selbstrelativierung: „Nicht immer sind unsere eigenen Vorstellungen das Beste für die Zukunft.“
- Die häufigere Konfrontation mit Todesfällen im nahen Umfeld führt zur Auseinandersetzung mit dem eigenen Sterben. Angesichts der eigenen Lebenssattheit zeigen sich manche Hochaltrige bereit zu sterben. Es gibt Erfahrungen mit sterbenden Mitmenschen, dass der Tod auch Erlösung (von leidvollen Prozessen) sein kann.
KIRCHlICHe Aspekte:
- Kirche und Religion haben für die meisten Befragten (d.h. unerwartet viele!) persönliche Bedeutung. Es geht vor allem um persönliche Glaubenserfahrungen, die konfessionelle Bindung spielt weniger Rolle. Tendenziell wird dieses Thema im Alter wichtiger.
Die Weitergabe dieses Schatzes an die nächsten Generationen ist vielen ein großes Anliegen.
In Zeiten von Tod und Trauer wird Kirche Kompetenz zugetraut, aber nicht mehr selbstverständlich von allen.
- Frömmigkeitpraxis im Alter hat viele Gesichter. Sie reicht vom täglichen privaten Gebet über den regelmäßigen Besuch von Gottesdiensten bis zur Teilnahme an Wallfahrten.
Für andere oder die Gesellschaft insgesamt zu beten, wird als wichtiger Dienst der Älteren gesehen. Ein Dienst, für den im Alter erst wirklich Zeit ist.
Auch die religiöse Lektüre (und sei es die Sonntagskolumne von Kardinal Schönborn in der Kronen Zeitung) und das Mitfeiern von Gottesdiensten im TV oder Internet ist weit verbreitet. Bibelgespräche fanden mit Zeugen Jehovas statt.
- Die zahlenmäßige Dominanz von älteren Menschen im Gottesdienst wird unterschiedlich gedeutet: Das Alter als die Zeit, in der Gottesdienstbesuch (endlich) möglich ist – das Dabeisein (d.h. das Gebet) der Älteren ist ein Dienst an Kirche und Gesellschaft. Es wird auch erwähnt, dass sich nicht so wenige junge Leute in den Kirchen sehen lassen. Es gibt aber auch die Bedenken, dass Kirche Gefahr läuft, auszusterben.
- Welche Aufgabe hat Kirche angesichts Benachteiligter in unserer Gesellschaft? Dazu gibt es verschiedene Meinungen: Sind die Betroffenen vielleicht selber an ihrer Lage schuld und daran, dass sich nichts daran ändert? Ist der Staat zuständig für die Lösung der sozialen Aufgaben? Oder ist es eine der wichtigsten Aufgaben von Kirche, sich um die Schwachen einer Gesellschaft zu kümmern?
Betroffen macht dieses Zitat: „Als Mutter eines behinderten Kindes bist du in der Gesellschaft ganz unten.“
- Der Kontakt zu Altenheimen und damit zur Altenheimseelsorge wird im Alter mehr. Ein Grund dafür ist, dass persönliche Bekanntschaften und Bindungen mit Bewohner:innen bestehen. Aber auch die Auseinandersetzung mit der Tatsache, in absehbarerer Zeit dort selbst zu wohnen, ist motivierend, Kontakt zu Altenheimen zu suchen.
Ein Anknüpfen an das frühere Glaubensleben, das Stellen neuer Glaubensfragen, ja sogar erstmalige intensivere Auseinandersetzungen mit Glaubensthemen sind möglich. Somit ist das Altenheim und die dort begegnende Seelsorge ein unersetzlicher kirchlicher Ort der Verkündigung.