Dieser nahm sich unmittelbar vor der Feier auch ausführlich Zeit um den Gedenkraum zu besichtigen und mit den Jugendlichen ins Gespräch zu kommen, die sich in Ternberg im Rahmen der Gedenkarbeit engagieren. Dabei wurden viele spannende Fragen erörtert und auch viel gelacht. Kratky dankte vor allem den jungen Menschen für ihr Engagement, denn durch sie könne Ö3 immer wieder über positive, gute Aktionen berichten.
Danach begann die Gedenkfeier, die heuer unter dem Motto „Vernichtete Vielfalt“ stand. Cornelia Weißensteiner, Beauftragte für Jugendpastoral im Dekanat Weyer und Reinhard Fischer, Regionskoordinator der kj oö in der Region Ennstal führten durch die Feier und erinnerten zu Beginn daran, dass das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus zentrales gesellschaftspolitisches Anliegen der Katholischen Jugend OÖ sei und Vielfalt unser Zusammenleben bereichere.
In seinen Grußworten wies Generalvikar Dr. Severin Lederhilger darauf hin, dass aktuell viele in der realen wie virtuellen Welt der Gefahr erliegen ihr Gewalt- und Machtpotential völlig entgrenzt gegen „die „Anderen“ zu richten. „Geschürte Angst lähmt nämlich eine kritische Auseinandersetzung“, so Dr. Lederhilger.
Der Bürgermeister von Ternberg, Leopold Steindler – selbst langjähriger Ermöglicher und Unterstützer der Gedenkarbeit in Ternberg – betonte, dass Gedenkfeiern nicht zur Pflichtübung werden dürfen. In Bezug auf besorgniserregende Geschehnisse der Gegenwart stellte er die Frage: „Treten wir der Intoleranz und dem Phänomen des Wegschauens entschieden gegenüber?“
In Vertretung der Landesrätin Mag.a. Christine Haberlander sprach die Landtagsabgeordnete Mag.a Regina Aspalter Grußworte. „Geschichte verblasst schnell, wenn sie nicht Teil des eignen Erlebens war“ – mit diesen Worten machte sie darauf aufmerksam, dass Zeitzeug*innen kaum noch zur Verfügung stehen um die schrecklichen Geschehnisse der NS-Zeit zu vermitteln. Aus der Erinnerung müssten Lehren für die Zukunft gezogen werden. Die beiden Worte - „Niemals wieder“ – würden uns alle dabei einen.
Christian Breitwieser, Vorsitzender der kj oö betonte den Einsatz der Katholischen Jugend für Vielfalt in unserer Gesellschaft gegen jede soziale Diskriminierung und Ausgrenzung.
Ö3-Moderator Robert Kratky würdigte in seiner eindringlichen und beeindruckenden Rede das Engagement der Katholischen Jugend OÖ in Ternberg und dankte besonders jenen Jugendlichen, die „im Rahmen von 72 Stunden ohne Kompromiss einen Ort geschaffen haben, an dem auf geschichtlich bedeutsamem Boden sowohl das Andenken an das, was hinter uns Menschen liegt, möglich ist als auch die Erinnerung an jene, die verschleppt, misshandelt, ermordet worden sind“.
Der 48-Jährige gab einen Einblick in seine eigene Biografie und schilderte in Blitzlichtern Erzählungen über die Geschichte seiner Familie während des Zweiten Weltkrieges: Da war die Angst seiner inzwischen verstorbenen Mutter als junges Mädchen vor den Bombenangriffen oder die Großmutter, die vergeblich auf dem Bahnhof in Salzburg darauf gewartet habe, dass ihr Mann aus dem Krieg heimkehrte. Dieses emotionale Gedächtnis seiner Familie habe sich wie das vieler anderer ausgebleicht und verwaschen, was in Gesprächen mit seinen Geschwistern über die Erzählungen der Mutter und Großmutter immer wieder deutlich werde: „Irgendwann ist keiner mehr da, der sagen kann, wie das damals war, wie es sich angefühlt hat. Wir wissen, was geschehen ist – aber geschichtlichen Dokumenten fehlt das Lebendige.
Wer denkt heute noch an unmenschlichste Grausamkeiten, wenn er im Kolosseum in Rom steht? Wer denkt an Krieg und Leid unter Schwert und Lanze, wenn er heute eine Burg besucht?“
Der Moderator schilderte eindrücklich seine Erfahrungen bei seinem ersten Besuch der Gedenkstätte in Mauthausen vor etwa 20 Jahren: Er war beruflich an Mauthausen vorbeigekommen und hatte sich spontan, kurz vor der abendlichen Schließung, entschlossen, die Stätte zu besichtigen. Er habe damals versucht zu spüren, was in diesen „Monumenten der Unmenschlichkeit“ von den Opfern und Tätern geblieben sei – und habe zuerst einmal gar nichts empfunden. „Es hat sich keine Traurigkeit, kein Entsetzen eingestellt. Bis ich den Raum mit den Öfen betreten habe, den Raum mit den Blumen, den Bildern, den Botschaften von Hinterbliebenen, den Raum mit den Tränen.“ Beim Betreten des Raumes habe ihn eine Flutwelle von Traurigkeit überschwemmt, so Kratky: „Ich erinnere mich an ein Empfinden, das mich in seiner unangekündigten Plötzlichkeit und Heftigkeit mitten ins Herz getroffen hat.“ Er habe nicht mehr aufhören können zu weinen. Dieses Gefühl von damals habe er bis heute konserviert: „Das Gefühl der Traurigkeit, der Fassungslosigkeit, der Wut auf die Vergangenheit, auf jene, die sie verschuldet haben.“ Diese Gefühle hätten in den vergangenen zwei Jahrzehnten seine Haltung zur Geschichte „nachhaltig geprägt und verändert“, erinnerte sich Kratky.
Der Moderator stellte die Frage, ob aus der Vergangenheit tatsächlich Lehren für den heutigen Alltag gezogen würden, und kam dabei zu keinem positiven Ergebnis. Die Menschheit habe viel Gutes in ihrer Geschichte, aber auch viel Böses – Letzteres habe sie immer wieder unbelehrbar wiederholt, „weil sich Gesellschaften und Regeln zwar weiterentwickeln mögen, wir Menschen in unseren grundsätzlichen Strukturen, unseren Gedanken und Taten aber weitaus weniger, als man vielleicht glauben oder hoffen möchte“.
Bezugnehmend auf den sogenannten „Mauthausen-Schwur“ der Überlebenden fragte Kratky, ob die Menschen heute tatsächlich in der darin beschworenen „neuen, für alle gerechten, freien Welt“ leben würden. An guten Tagen glaube er daran, aber: „An diesem heutigen Tag und an diesem Platz und weil im Ge-Denken immer auch Denken steckt, bin ich über alle Maßen besorgt und alarmiert.“ Es sei eine unumstößliche Wahrheit, dass das Fortschreiten der Menschheitsgeschichte von Rückschritten geprägt sei. Der Streit über Themen wie Corona, Klimaschutz oder Ausländerfeindlichkeit werde, ob in der Anonymität der sozialen Medien oder in der realen Welt, „immer gemeiner, immer unflätiger, unhöflicher und unmenschlicher“, so Kratkys Befund. Kaum noch jemand wisse, was er glauben solle, alles werde – oft halbherzig – hinterfragt. Es sei schwer, in alldem eine persönliche Haltung zu finden. „Wie sollen wir das alles einordnen, bewerten, wo soll es hinführen? Was hat das Damals mit dem zu tun, was uns heute beschäftigt und bisweilen überrollt, und was gibt es uns mit für das Heute und Morgen? Sind wir dem Auftrag unserer Geschichte gerecht geworden und werden wir es auch weiterhin? Das ist die Frage, die wir uns – egal welcher Generation wir angehören – stellen.“
Auf die Frage, ob die eingangs erwähnten emotionalen Bilder der Erinnerung der eigenen Vorfahren und der „konservierte Schmerz“ Anleitung und Orientierung für die Zukunft geben könnten, meinte der Gedenkredner: „Ja – wenn wir uns bemühen, zuzuhören, wenn Gedenken auch aus Denken besteht. Wir werden einen gemeinsamen Weg beschreiten, den Weg der unteilbaren Freiheit aller Völker, den Weg der gegenseitigen Achtung, den Weg der Zusammenarbeit am großen Werk des Aufbaus einer neuen, für alle gerechten, freien Welt. Befolgen wir die daraus abgeleiteten Regeln, Vorsätze und gegenseitigen Versprechen als Gesellschaft, als Menschen, in unseren Funktionen und privat – in unserem Wirken, in unseren Werken, in unserer Aufmerksamkeit, in unserer Wachsamkeitund vor allem unbeugsam in unserem täglichen Bemühen? Wenn Sie mich fragen: Jetzt gerade tun wir das leider nicht.“
Die Gedenkrede von Robert Kratky "Vernichtete Vielfalt" kann man sich auf youtube anhören.
Nach der Gedenkrede gestalteten Jugendliche einen bewegenden Gedenkakt.
Im weiteren Verlauf der Feier wurden die bekannten Namen der Opfer des KZ-Außenlagers Ternberg verlesen und Diözesanjugendseelsorger Mag. Vitus Glira sprach ein Gebet.
Zum Abschluss wurden vor der Pfarrbaracke Kränze niedergelegt.
Die musikalische Gestaltung oblag dem Jugendchor „re-member“ und einem Bläser-Ensemble des Musikvereins Ternberg.
Dass Anliegen des Gedenkens in Ternberg wird mittlerweile sehr breit mitgetragen. Als Mit-Veranstalter fungierten die Markt- und Pfarrgemeinde, der Musikverein, das Rote Kreuz, das Katholische Bildungswerk, die kath. Frauenbewegung, die Landjugend und das Mauthausen Komitee Österreich. Zahlreiche Ehrengäste aus der kirchlichen und politischen Öffentlichkeit nahmen an der Gedenkfeier teil.
Die heurige Gedenkfeier war die 13. ihrer Art. 2008 wurde im Zuge des größten Sozialprojekts Österreichs „72 Stunden ohne Kompromiss“ mit 45 Jugendlichen aus den Dekanaten Weyer und Steyr im Keller der Pfarrbaracke in Ternberg ein Gedenkraum installiert. Seither findet jährlich eine Gedenkfeier statt, ebenso gibt es Führungen auf Anfrage und auch ein pädagogisches Begleitkonzept wurde erarbeitet.
Infos gibt’s bei Cornelia Weißensteiner (Beauftragte für Jugendpastoral im Dekanat Weyer, cornelia.weissensteiner@dioezese-linz.at,0676/8776 6260)