Kirche und Arbeiterschaft
In der Hausruckregion, wo die Kämpfe besonders heftig waren, wirkten die Ereignisse des Februar 1934 lange Zeit nach. Die Zweiteilung der Gesellschaft in Arbeiter und Bauern verhärtete sich in der Folge. Soweit ich mich zurück erinnern kann, war die Gemeinde (Ottnang, Anm.) gewissermaßen in zwei Lager aufgeteilt. Das war nicht irgendetwas, das es halt gab und von dem man nebenbei wusste, sondern das war gelebt. Die Einen gingen geschlossen zur Sonntagsmesse, die anderen mehrheitlich nicht, um ein Beispiel zu nennen. Zwar gab es auch „rote“ Kirchgänger, doch die waren die Ausnahme.
Das führte durchaus zu Spannungen in der Familie. Großmutter war der Ansicht, die Enkelkinder müssten in die Kirche gehen, was wir letztlich ihr zuliebe auch taten. Diese Bemühungen wurden ihr allerdings kirchlicherseits nicht gelohnt: Sie musste miterleben, wie beim Begräbnis des Großvaters der Pfarrer von der Kanzel herab gegen die Ungläubigen und Gottlosen in der Gemeinde wetterte, was sich klarerweise auf die roten Arbeiter bezog, also auf Familien wie die unsere.
Die beiden gesellschaftlichen Gruppen hatten ihre speziellen Feiertage, Rituale und Feste, sodass das dörfliche Leben eher ein Nebeneinander denn ein Miteinander war. Da gab es beispielsweise den Arbeiterball für die Arbeiter und den Turnerball, zu dem die anderen gingen. Und für alle war klar, dass diese Grenzen keinesfalls übertreten werden durften. In meiner Jugendzeit wurden diese aber allmählich aufgebrochen. Es kam immer weniger darauf an, wer etwas veranstaltete, sondern wo gute Unterhaltung geboten wurde.
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Das Gegeneinander drückte sich nicht zuletzt auch in wechselseitigen Boshaftigkeiten aus. So war es Tradition, dass Bauern am 1. Mai Jauche auf die Wiesen aufbrachten, um die Arbeiter an deren Feiertag mit Gestank zu ärgern. Das veranlasste diese wiederum zu speziellen Revancheakten. Mein Vater warf einmal zu Fronleichnam, als die Prozession in Hörweite war, die Kreissäge an und schnitt Brennholz. Was im Rückblick als neckische Stichelei frei nach Don Camillo und Peppone anmutet, war damals freilich bitterer Ernst und Ausdruck eines – oft unreflektierten – Gegeneinanders, bis hin zu persönlichen und familiären Feindschaften. Zum Teil lastet das schwere historische Erbe noch heute auf der Region.
Aus: Barbara Prammer: Wer das Ziel nicht kennt, wird den Weg nicht finden. Styria premium 2011