Die Wurzel trägt dich
Psalm 67
2 Gott sei uns gnädig und segne uns. Er lasse über uns sein Angesicht leuchten, 3 damit auf Erden sein Weg erkannt wird und unter allen Völkern sein Heil. 4 Die Völker sollen dir danken, o Gott, danken sollen dir die Völker alle.5 Die Nationen sollen sich freuen und jubeln.
Römerbrief 11
17 Wenn du als Zweig vom wilden Ölbaum in den edlen Ölbaum eingepfropft wurdest und damit Anteil erhieltest an der Kraft seiner Wurzel, so erhebe dich nicht über die anderen Zweige.
18 Wenn du es aber tust, sollst du wissen: Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich.
„Der Dialog und die Freundschaft mit den Kindern Israels gehören zum Leben der Jünger Jesu“ schreibt Papst Franziskus in seiner Enzyklika Evangelii gaudium. Dieses Thema knüpft an die Lesung aus dem Römerbrief an, die wir gehört haben.
Der Abschnitt kommt euch fremd und unbekannt vor, obwohl ihr seit Jahrzehnten regelmäßig am Sonntag in die Kirche geht? Ja es ist so: Den Text der heutigen Lesung habt ihr heute zum ersten Mal im Gottesdienst gehört.
Im Lesejahr A lesen wir alle drei Jahre im Sommer den Römerbrief des Paulus. Nur gerade heute, am 20. Sonntag, ist in der Leseordnung ein Absatz gestrichen. Und das, obwohl dieser Text eine zentrale Stelle für die Wertschätzung des Judentums für unseren Glauben ist. Dass wir als Kirche neu erkannt haben, wie wertvoll das Judentum für uns ist, das ist eine Frucht des Konzils vor über 50 Jahren. Darum habe ich heute diesen Absatz bewusst gewählt, der sonst immer ausgelassen wird.
Worum geht es?
Die Anhänger des Messias Jesus, an die Paulus um das Jahr 55 nach Rom schreibt, sind stolz auf den neuen Glauben, den sie angenommen haben. Es sind keine Juden, sondern Gläubige aus den so genannten „Völkern“, aus den „Nationen“; in alten Übersetzungen werden sie auch „Heiden“ oder „Heidenvölker“ genannt. Und die jungen Christen in Rom blicken mit Verachtung auf das alte Judentum herab: Das Judentum habe nicht erkannt, dass mit Jesus schon die neue Zeit herangebrochen ist, die Endzeit, die Verheißung des Heils. Das Judentum sei überholt, meinen sie. Wir sind die Erleuchteten, wir sind etwas Besseres – Halleluja!
Nein!, sagt Paulus da ganz deutlich.
Paulus ist jüdischer Gelehrter, er ist stolz darauf, ein Pharisäer zu sein und er weiß um die Heilszusagen Gottes an sein Volk Israel: Die sind nicht aufgehoben, nur weil Jesus gekommen ist. Wenn ihr das, was Jesus gelebt und gelehrt hat, glauben wollt, könnt ihr es nur gemeinsam mit dem Judentum glauben, sagt er.
Und Paulus bringt zwei Bilder dazu: Zuerst den Sauerteig. Gibt man vom Sauerteig das erste Stück beiseite, um Gott für seine Gabe zu danken, so macht das den ganzen Teig heilig. Auch wenn man dies am übrigen Teig nicht sieht, den man verarbeitet. „Ist die Erstlingsgabe vom Teig heilig, so ist es auch der ganze Teig“, schreibt Paulus. Ihr esst von der geistlichen Nahrung des Volkes Israel, meint Paulus. Auch wenn euch das vielleicht in eurer Umgebung nicht auffällt, Tatsache ist: Die ganze Offenbarung ist heilig, die Zusagen Gottes an das jüdische Volk bleiben unwiderruflich.
Das zweite Bild ist der Ölbaum. Paulus sagt: Die ihr an Christus Jesus glaubt, ihr seid wie wilde Triebe, die in einen guten Ölbaum eingepfropft worden sind. Ihr fühlt euch jung und frisch, aber vergesst nicht, wer euch trägt und woher ihr eure Kraft bekommt: Der alte Baum trägt euch, die Wurzel des Ölbaums Israel gibt euch die Kraft! Noch einmal die Worte des Paulus: „Wenn du als Zweig vom wilden Ölbaum in den edlen Ölbaum eingepfropft wurdest und damit Anteil erhieltest an der Kraft seiner Wurzel, so erhebe dich nicht über die anderen Zweige. Wenn du es aber tust, sollst du wissen: Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich.“
Jeden Sonntag lesen wir einen Psalm - ein jüdisches Lied: So ist es in unserer Gottesdienstordnung vorgesehen. Der Psalm 67 spricht heute auch von dieser Unterscheidung zwischen dem Volk, dem jüdischen Volk und allen anderen, den Völkern, den Nationen. Wir haben für die Erfüllung der alten jüdischen Verheißung gebetet: Alle Völker mögen das Heil Gottes erkennen, alle Welt möge Gott fürchten und ehren, alle Nationen sollen dankbar sein dafür.
Ja, unser Gott ist kein anderer als der Gott Israels! Wir bekennen, dass Jesus unsere Brücke zu den geistlichen Quellen des Judentums ist. Papst Franziskus schreibt: „Als Christen können wir das Judentum nicht als eine fremde Religion ansehen.“ Alle unsere biblischen Schriften sind jüdische Schriften, die Lesungen und der Psalm verbinden uns bei jedem Gottesdienst mit dem Judentum. "Amen" und "Halleluja" sind hebräische Worte, das Vaterunser ist ein durch und durch jüdisches Gebet. Das Ewige Licht in unserer Kirche brannte auch schon im Tempel von Jerusalem. Wir finden es heute auch in jeder Synagoge.
Wir tun das alles ganz selbstverständlich: Auf dass uns die Freude über diese Nähe Gottes erfülle. Das feiern wir jetzt und in jedem Gottesdienst.
20.08.2017 20. So. JK A