Sei du selbst! Gehe aufrecht!
Apostelgeschichte, Kapitel 8
Die Menge achtete einmütig auf die Worte des Philippus;
sie hörten zu und sahen die Zeichen, die er tat.
Denn aus vielen Besessenen
fuhren unter lautem Geschrei die unreinen Geister aus;
auch viele Lahme und Verkrüppelte wurden geheilt.
So herrschte große Freude in jener Stadt.
Ein Mann namens Simon
hatte schon länger in der Stadt Zauberei getrieben
und das Volk von Samarien in Staunen versetzt;
er gab sich als etwas Großes aus.
Alle achteten auf ihn, Klein und Groß,
und sie sagten: Dieser ist die Kraft Gottes,
die man die Große nennt.
Sie achteten aber deshalb auf ihn,
weil er sie lange Zeit durch Zaubereien in Staunen versetzt hatte.
Als sie jedoch dem Philippus Glauben schenkten,
der das Evangelium vom Reich Gottes
und vom Namen Jesu Christi verkündete,
ließen sie sich taufen, Männer und Frauen.
Johannesevangelium, Kapitel 14
In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern:
Und ich werde den Vater bitten
und er wird euch einen anderen Beistand geben,
der für immer bei euch bleiben soll,
den Geist der Wahrheit.
Heute haben wir eine spannende Erzählung gehört: die Auseinandersetzung mit dem Zauberer Simon, der viele Leute in Staunen versetzt. Ja, die Leute sagen sogar, dieser habe die Macht Gottes. Dieses Motiv kennen wir aus Märchen, aus Romanen, aus Filmen: der Kampf gegen die glänzenden Verführer.
Der Apostel Philippus hat in Samarien die Auseinandersetzung mit diesem Zauberer aber nicht gescheut: und er hat sie gewonnen, wie die Geschichte erzählt. Er hat sie gewonnen, weil die Menschen die wahren Machttaten Gottes gesehen haben: unreine Geister sind ausgefahren und viele Lahme und Verkrüppelte wurden geheilt.
Ich möchte euch hier nur erschließen, was der Text uns erzählt. Was er für heute bedeutet, müsst ihr selbst überlegen bzw. sollten wir als Kirche Gottes hier in Wolfsegg gemeinsam überlegen. Welche Zauberer gibt es, die alles Mögliche versprechen und zum Teil auch bewirken? Im persönlichen Bereich: Gesundheit, Glück, ewige Jugend. Und welche leuchtenden Zauberer im gesellschaftlichen Bereich, die ein schnelles und einfaches Heilmittel für alle Probleme haben?
Was ist der Unterschied zwischen dem Versprechen des Zauberers und den Machttaten des wahren Gottes, die Philippus zeigt? Ich meine: Der Zauberer stellt sich selbst in den Mittelpunkt, er ist der Wundertäter, der anderen das Heil bringt. Die Macht unseres Gottes Israels, des Vaters Jesu Christi jedoch gibt dem Menschen selbst wieder Kraft, gibt ihm Würde und Aktivität zurück. Wenn dein unreiner Geist ausfährt, kannst du selbst wieder denken, kannst du selbst wieder deine Gefühle wahrnehmen. Du bist du selber geworden. Wenn Lahme und Verkrüppelte geheilt werden, können sie sich wieder selbst bewegen, können etwas selber tun, können die Welt aktiv mitgestalten.
Das ist auch das Kriterium für eine wichtige Unterscheidung in der Kirche: Für manche sind die Sakramente und jene, die sie vermitteln, wie Zaubermittel und Zauberer, die wirken, ohne dass sie sich selbst bemühen müssten. Die Frage ist: Ermöglichen es Glauben und Sakramente, selbst zu denken, klar zu sehen und selbst zu gehen? Hier gibt es bisweilen Verirrungen, das ist leider auch in unserer Kirche nicht immer so klar.
Im Evangelium verheißt Jesus den Geist der Wahrheit als Beistand. Manche verstehen Wahrheit als fest gefügte Katechismus-Sätze und ein gottgewolltes Bollwerk gegen die böse Welt. Auf dem Hintergrund der Erzählung der Apostelgeschichte bedeutet dieser Geist der Wahrheit aber wohl eher: selber denken, die Wahrheit suchen, sich zu ihr hinbewegen bzw. wenn wir unterwegs sind im Leben, die Wahrheit aus verschiedenen Blickwinkeln anschauen. Wahrheit ist kein Besitz. Gerade die Heilige Geistkraft, von der wir im Bild als Sturm oder als Taube sprechen, ist etwas Bewegliches.
Im Geist der Beweglichkeit ist Wahrheitssuche vielleicht wie eine Wallfahrt. Die kann nur jeder und jede für sich machen. Diesen Weg kann ich dir nicht abnehmen und was ich auf dem Weg erlebt und gelernt habe, muss für einen anderen nicht relevant sein. Aber wir können miteinander unterwegs sein und uns gemeinsam auf das Ziel unserer Wallfahrt hinbewegen.
Die Wahrheit meines eigenen Menschseins finden, die Wahrheit einer Gesellschaft und Welt in Solidarität, gegenseitiger Verantwortung und in Geschwisterlichkeit mit der ganzen Schöpfung, die Wahrheit eines aufrechten Gangs für jede und für jeden: Das ist die Hoffnung, die ich habe und darum bin ich Christ. Amen.
6. Sonntag in der Osterzeit A
17. Mai 2020, Markus Himmelbauer