Wach auf! Steh auf!
Paulus: Brief an die Gemeinde in Rom 11
Das tut im Wissen um die gegenwärtige Zeit:
Die Stunde ist gekommen, aufzustehen vom Schlaf.
Denn jetzt ist das Heil uns näher
als zu der Zeit, da wir gläubig wurden.
Die Nacht ist vorgerückt, der Tag ist nahe.
Darum lasst uns ablegen die Werke der Finsternis
und anlegen die Waffen des Lichts!
Lasst uns ehrenhaft leben wie am Tag,
ohne maßloses Essen und Trinken,
ohne Unzucht und Ausschweifung,
ohne Streit und Eifersucht!
Vielmehr zieht den Herrn Jesus Christus an.
„Wachet auf!, ruf uns die Stimme“ ist ein bekanntes Adventlied. Aufwachen sollen wir, aufstehen vom Schlaf, dazu fordert der Apostel Paulus auf. Warum sollen wir aufstehen? „Im Wissen um die gegenwärtige Zeit“, schreibt Paulus. Das könnte ein programmatischer Text für die Demos an den „Fridays for Future“ sein. Nicht deswegen aufwachen, weil ich ausgeschlafen bin – sondern als Konsequenz aus dem, was man erkannt hat: aufwachen, etwa weil ich um den Klimawandel weiß.
Bergleute gehen vielleicht nicht so oft in die Kirche, aber ihr kennt genau dasselbe in eurer Tradition. Als Sozialisten, Sozialdemokraten und auch Kommunisten haben sie früher die „Internationale“ gesungen, eine Hymne der Arbeiterbewegung: „Wacht auf, Verdammte dieser Erde!“ Da geht es auch darum, aufzustehen und der Bedrängnis entgegenzutreten. Paulus fordert auf, die „Waffen des Lichts“ anzulegen, die Internationale ruft „zum letzten Gefecht“ – das ist beides Kampf-Rhetorik. Und wenn wir hier in der Kirche am vergangenen Sonntag – am Christkönigsfest – Gott baten, die „Sonne der Gerechtigkeit“ aufgehen zu lassen, so ist das Ziel der „Internationale“, dass die „Sonn‘ ohn‘ Unterlass“ scheinen möge. Es ist erstaunlich, welche Parallelen sich da zeigen.
Nun, mag da vielleicht einer einwenden, das ist ja etwas Anderes, was Paulus will und was die Arbeiter wollen. Paulus sagt: „Zieht den Herrn Jesus Christus an!“ Ja schön, aber was bedeutet das? Es bedeutet: So zu handeln und so in Gottes Gegenwart zu leben, wie Jesus es getan hat. Der Evangelist Lukas hat das einmal programmatisch zusammengefasst, indem er Jesus die Worte aus dem Propheten Jesaja vorlesen lässt. Jesus sagt:
Der Ewige „hat mich gesandt, damit ich den Armen eine frohe Botschaft bringe; damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Blinden das Augenlicht; damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe.“
Wir haben Sehnsucht nach Befreiung, nach Heilung, nach Ganzheit und Gerechtigkeit. Diesem Ziel kommen wir näher, wenn wir aufwachen: Da sind sich Paulus und das Lied „Die Internationale“ einig. Die Ideen dahinter sind wohl unterschiedlich: Die biblische Tradition erwartet das Heil nicht allein auf Erden. Aber auch wenn wir den Himmel und die Vollendung anders erwarten, so kann es durchaus sein, dass es Gottes Wille ist, in unserer irdischen Zeit im Kampf um das Menschenrecht gemeinsam unterwegs zu sein.
Manche sagen, sie könnten am Sonntag nicht hierher kommen, weil sie ausschlafen wollen. Abgesehen davon, dass wir in Wolfsegg mit halb zehn eine für den Samstag sehr ausgehfreundliche Gottesdienstzeit haben, ist es aber genau dieses Anliegen: dass wir in unserer Versammlung aufwachen! Wach werden und wach sein für unsere innere Sehnsucht und für das Angebot Gottes des Ewigen, der Kraft gibt, dieses verheißene Heil für uns anzunehmen. Es wäre zu schade, das zu verschlafen.
Das alles sind hohe Gedanken und Ziele: Es geht um die Rettung der ganzen Welt. Und dann bäckt Paulus zuletzt doch kleinere Brötchen, ganz pragmatisch, ganz alltagstauglich:
Lasst uns ehrenhaft leben ohne maßloses Essen und Trinken,
ohne Unzucht und Ausschweifung, ohne Streit und Eifersucht!
Da wären wir doch alle mit dem Apostel ziemlich einig – auch wenn uns das nicht immer so vollkommen gelingen mag. Und selbst diese private Haltung hat ihre globale Dimension. Etwa wenn maßloses Essen bedeutet, durch übermäßigen Fleischkonsum wesentlich zum Klimawandel beizutragen. Ehrenhaft leben, ohne Streit und Eifersucht – ein Wohlwollen gegenüber dem Anderen: Großherzigkeit und Hoffnung. Das ist ein wesentliches Kriterium der Unterscheidung von falschen Propheten, von anderen – rechten und rechtsextremen – Bewegungen heute, die ebenso einen Weckruf, das Aufwachen auf ihre Fahnen geheftet haben. Sie aber suchen das Heil, indem sie andere davon ausschließen.
Erstaunlich ist, dass der Apostel Paulus genau diese Alltäglichkeiten als Zusammenfassung der Frohen Botschaft nimmt. Das bedeutet für mich zwei Dinge: Erstens, welche heilige Bedeutung für den Himmel gerade unser Alltag hat; und zweitens, wenn schon Paulus nicht mehr fordert, sollte auch die Kirche nicht eine fromme Elite sein, sondern sehen und dankbar anerkennen, was alles an Gutem da ist. Das soll unsere Ermutigung für diesen Advent sein.
1. Adventsonntag A, Jahresgottesdienst des Bergknappenklubs
1.12.2019, Markus Himmelbauer