In großer Dankbarkeit

Ohne Judentum gäbe es nicht, was uns besonders wertvoll ist: unseren Glauben. Gottes Offenbarung, unsere Heiligen Schriften und Jesus aus Nazareth kommen aus dem Judentum. Dafür gebührt dem „Volk des Bundes“ unsere höchste Dankbarkeit.
Wenn wir unsere heiligen Schriften lesen, lesen wir jüdische Texte. Wenn wir Psalmen beten, rezitieren wir jüdische Lieder. Wie Jüdinnen und Juden im Gebet sprechen wir die hebräischen Worte „Amen“ und „Halleluja“. Und in unseren Kirchen weist das Ewige Licht auf die Gegenwart des unsichtbaren Gottes hin, so wie in jeder Synagoge weltweit: eine Erinnerung an den Tempel in Jerusalem, den römische Soldaten im Jahr 70 unserer Zeitrechnung zerstört haben.
„Der Dialog und die Freundschaft mit den Kindern Israels gehören zum Leben der Jünger Jesu“ schreibt Papst Franziskus in seiner Enzyklika Evangelii gaudium. Die Freundschaft mit Rabbiner Abraham Skorka wuchs in der Zeit, als Jorge Bergoglio noch Erzbischof in Buenos Aires war.
Trennung der Wege
Vielfach ist es uns gar nicht bewusst, wie tief unser Glauben und Beten mit dem Judentum verwoben ist. Jesus hat als Lehrer die Tora ausgelegt – die heilige Weisung Gottes, wie sie in den fünf Büchern Mose niedergelegt ist. Er deutete sie in persönlicher Vollmacht mit dem Anspruch, als „Sohn Gottes“ so nahe beim Ewigen zu sein wie sonst niemand; so sollte auch seine Interpretation endgültig und ausschließlich Geltung haben. Waren Jesus, seine Jüngerinnen und Jünger und die frühen Gemeinden im ersten Jahrhundert noch weitgehend ein Teil des Judentums, so kam es in der Folge zu einem Prozess der Trennung zwischen Jesusanhängern und dem Judentum, vor allem weil dieses den Anspruch der Gottessohnschaft nicht mittragen konnte. Zudem übte die Anhängerschaft des Rabbi Jesus im römischen Reich eine große Anziehungskraft außerhalb des Judentums aus. Die frühe Kirche löst sich mehr und mehr von ihrem ursprünglichen Umfeld und streifte bewusst ihre jüdische Herkunft ab. Doch bis ins vierte Jahrhundert finden wir noch Berührungspunkte zwischen beiden Bekenntnissen.
Als Schwestern und Brüder gemeinsam unterwegs
Das für uns als Christinnen und Christen entscheidende Zeugnis der Auferstehung – dass Gottes Macht stärker ist als der Tod, dass der Ewige den nicht verlässt, der ihm dient – ist ein jüdisches Zeugnis. Wir bekennen es regelmäßig in der Tradition der Apostel, der Jüngerinnen und Jünger – allesamt Jüdinnen und Juden. Die Erfahrungen von Gottes Liebe und Barmherzigkeit, von Nächstenliebe und Feindesliebe und von der Leben stiftenden Kraft der göttlichen Weisung (die von christlicher Seite bisweilen verkürzt und abwertend als „Gesetz“ dargestellt wird) finden wir im Alten/ Ersten Testament (das im Judentum „Tanach“ genannt wird). Wir praktizieren dies (hoffentlich) Seite an Seite mit unseren jüdischen Schwestern und Brüdern heute.
Respekt vor dem Namen Gottes
Die untrennbare Verbindung der Kirche mit dem Judentum wird nun auch in unserer neuen Bibelübersetzung deutlicher. Der heilige Gottesname JHWH ist im hebräischen Text mit vier Buchstaben wiedergegeben. Nur einmal im Jahr hat ihn der Hohepriester im Allerheiligsten des Tempels ausgesprochen. Ansonsten wurde er stets umschrieben: Man las „Herr“ (adonai), „der Ewige“ (Moses Mendelssohn in seiner Übersetzung) oder ein Personalpronomen, etwa DU oder ER (Martin Buber und Franz Rosenzweig). In unserer bisherigen Übersetzung stand dort „Jahwe“, was zweimal falsch war: denn erstens gilt in der jüdischen Tradition streng, den Gottesnamen nicht auszusprechen und zweitens weiß man ja nicht, wie die vier Buchstaben mit Selbstlauten verbunden waren. Aufgrund dieser Unklarheit entstand ja auch der Name „Jehova“. In unserer neuen Übersetzung kennzeichnet stets HERR (in Blockbuchstaben) den Gottesnamen JHWH und hebt ihn besonders aus dem Text heraus. Dass der Ewige dadurch wieder in ein ausschließlich männliches Bezugsfeld gesetzt wird, ist eine Kehrseite dieses Fortschritts.
Am Fest der Torafreude (simchat tora) tragen Jüdinnen und Juden die wertvollen Torarollen (handgeschriebene Pergamentrollen der fünf Bücher Mose) tanzend durch die Synagogen und Straßen: Freude über Gottes Weisung unter den Menschen.
Neuanfang mit dem Konzil
Seit 1965, mit dem Konzil hat die Kirche einen Neuanfang in den christlich-jüdischen Beziehungen gesetzt. Es ist die Reaktion auf eine schuldbeladene christliche Geschichte der Abwertung und Verachtung des Judentums und ein Beitrag zu Frieden und Wahrhaftigkeit. Ganz besonders aber ist uns dadurch eine neue, vertiefende Dimension für unseren Glauben geschenkt worden.
Markus Himmelbauer