Pfarrer P. Johannes zum Karfreitag
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Gerade diese Alltäglichkeit hindert aber oft daran, die Ungeheuerlichkeit dieses Zeichens wahrzunehmen. Es stellt einen Galgen dar, auf dem ein unschuldig zum Tode Verurteilter hängt, und zwar so, dass er stundenlang in entsetzlichen Qualen auf den erlösenden Tod warten muss. Die furchtbarsten Leiden sind in diesem Kreuz präsent. Dabei geht es nicht um Krankheiten, die natürlicherweise zum Tod führen, sondern um die grausamsten Ideen, deren Menschen fähig sind, um möglichst menschenunwürdige Leiden zu schaffen.
Jesus leidet mit den Leidenden und stirbt mit den Sterbenden.
Der Mensch ist von Natur aus sterblich. Zugleich ist der Gedanke für ihn unerträglich, dass sich das irdische Leben mit all seinen Freuden, Wünschen, Ängsten, Sehnsüchten und Plänen in nichts auflösen sollte. Alles, was in dieser Welt an kreativer Leistung vollbracht wird, wo gewaltige Kraftanstrengungen große Erfolge erzielt haben, alle Entdeckungen und Erfindungen sollten sinnlos, absurd, wertlos sein? Man muss sich um der Menschenwürde willen dagegen wehren! Und doch gehen wir alle auf den sicheren Tod zu!
Dabei stellt man zugleich fest, dass der moderne Mensch drauf und dran ist, selbst all das zu vernichten, was er geschaffen hat. Wenn man genauer hinschaut, ist es eigentlich die Todesangst, die dazu führt, dass man immer mehr haben will und sich selbst den Boden wegreißt, auf dem man steht. Vor allem Schaffen in der Welt wäre es wichtig, sich die irdische Vergänglichkeit vor Augen zu halten und zu bejahen. Wie aber ist das möglich?
Jesus leidet mit denen, die an der Todesangst der Mächtigen zu Grunde gehen.
Jesus ist der neue Abel! Wir erinnern uns: Kain hat seinen Bruder Abel erschlagen, weil er gefühlt weniger Anerkennung von Gott bekam als sein Bruder. Die Gier nach Anerkennung und nach Absicherung seiner Position ist bis heute der Hauptgrund für alle Ausbeutung, Entwürdigung und Ermordung von Mitmenschen. Man hat Angst, zu kurz zu kommen und sieht den Mitmenschen als Konkurrenten.
Das Bekenntnis Jesu vor Kajaphas, dass er der Sohn Gottes ist und man ihn zur Rechten der Macht sehen wird, muss bei den damals Mächtigen Panik ausgelöst haben. Das Gefühl des Kain hat sie überwältigt. Ähnlich mag es bei Pilatus gewesen sein, als der Herr das römische Machtgehabe durch das Wort von der Königsherrschaft, die nicht von dieser Welt ist, in ihre Schranken gewiesen hat. Es ist so schwer, wahrzunehmen, dass die göttliche Liebe eine Würde verleiht, gegen die alles menschliche Gemächte erbärmlich ist.
Das Wort „Eitelkeit“ hat eine doppelte Bedeutung. Hinter vielem Machtgehabe verbirgt sich doch das Bedürfnis, anerkannt, wichtig, unentbehrlich und einflussreich zu sein. Dabei weiß jeder, dass es damit früher oder spät zu Ende gehen wird. Hinter brutalem Vorgehen steckt panische Angst und Verdrängen des sicheren Wissens, dass man auch selbst dem Tod und damit der unendlichen Hilflosigkeit verfallen ist. Damit wird schon deutlich, dass im Grunde alles Auftrumpfen eitel ist. – Eitel im sinn von Täuschung, Schein, Lüge.
Gemäß Johannespassion soll sich Jesus vor dem Hohepriester rechtfertigen, indem er seine Lehre vorträgt. Seine Botschaft lässt sich aber nicht auf Lehre reduzieren. Das ganze Leben Jesu, seine Zeichen und Wunder sowie seine Worte sind eine Einheit und müssen erlebt werden. Über eine Lehre kann man streiten und sie zunichtemachen. Das glaubwürdige Leben aber lässt sich nicht wegdiskutieren. „Frag die, die mich gehört, und die gesehen haben, was ich getan habe!“ Diese Antwort muss Schockwirkung gehabt und einen Diener dazu gebracht haben, den Herrn zu schlagen. Der Herr betont, dass hinter seiner Aussage kein Unrecht stehen kann, das Verhalten der Gerichtsassistenz führt den Prozess gegen Jesus sofort ad absurdum.
Ostern ist Antwort auf die Verzweiflung!
Ostern überwindet die Angst des Kain: Gott macht keinen Unterschied. Man kann sich bei Gott gar nicht beliebt machen, weil er alle in seine Liebe eingeschlossen hat. „So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab.“ Der schwerstbehinderte Mensch, der ärgste Sünder, das verhungernde afrikanische Kind, die von einem Macho verdroschene Frau und alle Benachteiligten, zu kurz Gekommenen und Entwürdigten sind Gott genauso kostbar wie der reichste Milliardär der Welt. Vor Gott braucht sich niemand zu beweisen.
Ostern ist die Antwort auf die Todesangst. Auf den Tod geht jeder Superstar genauso zu wie der im Rollstuhl sitzende an multipler Sklerose Erkrankte oder der hoffnungslos Krebskranke mit wuchernden Metastasen, der den Tod schon als Erlösung sieht. Jesus hat uns eine Ewigkeitsperspektive eröffnet, die zwar das Leiden nicht verringert. Der Karfreitag bleibt, solange es die Welt gibt, Realität. Das Kreuz wird uns immer begleiten. Es ist aber nicht der Schlusspunkt. Jesus eröffnet uns die Perspektive einer Herrlichkeit, die alles Schlimme in der Welt von Ostern her klein erscheinen lässt.
Ostern entlarvt aber auch alle angemaßte irdische Macht als Ohnmacht, und in die neue Welt wird man nichts mitnehmen können, was auf der Habenseite des Kontos steht, sondern nur, was man verschenkt hat. Nur die Liebe ist österlich. Was man gegeben hat, wird gutgeschrieben. Dabei zählt ein Maßstab, den Jesus mit dem Scherflein der Witwe anspricht, die mehr gegeben hat als die vielen Reichen. Wuchern heißt dann verschenken. Es wird nur mehr eine Frage geben: Was hast du mit deiner Zeit, mit deinen Talenten, deiner Arbeitskraft und deiner Kreativität gemacht? Hast du sie in Liebe verwandelt? Die Liebe nämlich bleibt. Sie hat Ewigkeitswert. Im Ostergeheimnis leuchtet die Liebe auf. Wie sagt der österliche Herr, der liebende verherrlichte Auferstandene? „Für euch hingegeben!“
Anmerkung: Die „Gedanken zum Karfreitag“ 2020 ergänzen die Überlegungen.
Der Text wird auch im PDF-Format angeboten, mit der Bitte, ihn auszudrucken und an die Nächsten und Näheren weiterzugeben, die kein Internet haben.