Pfarrer P. Johannes zum 4. Sonntag im Jahreskreis
An diesem und dem nächsten Sonntag hören wir, wie Jesus einen Sabbat in Kapharnaum verbracht hat. Diesmal erzählt uns Markus, was sich während des Gottesdienstes ereignet hat. Jesus predigt aber ganz anders als die Schriftgelehrten, nämlich mit göttlicher Vollmacht. Ein Besessener beginnt aufzuschreien und wird von Jesus geheilt, woraufhin alle Leute erschrecken und die Vollmacht noch viel gewaltiger spüren.
- „Die Menschen waren voll Staunen über seine Lehre; denn er lehrte sie wie einer, der Vollmacht hat, nicht wie die Schriftgelehrten.“
Markus vermittelt uns, dass Jesus nichts zu inszenieren braucht, dass er ohne besondere Rhetorik auf die Zuhörer mit unbeschreiblicher Kraft wirkt und in ihnen etwas auslöst, was neu ist. Hier ist ein Geheimnis zu spüren. Offensichtlich verstehen alle Jesus deshalb so unmittelbar, weil er eine tiefe Herzenssehnsucht berührt.
Die Verkündigung Jesu löst aber noch etwas anderes aus. Ein Gottesdienstteilnehmer beginnt aufzuschreien. Offensichtlich war dieser wie an jedem Sabbat als völlig normaler Besucher anwesend und ist niemals auffällig gewesen. Keiner wäre bisher auf die Idee gekommen, diesen Menschen als krank zu bezeichnen. Es scheint, dass die Worte Jesu die Ursache für den Ausbruch waren.
- „Was haben wir mit dir zu tun, Jesus von Nazaret? Bist du gekommen, um uns ins Verderben zu stürzen? Ich weiß, wer du bist: der Heilige Gottes.“
Es ist gut, an dieser Stelle einige Bemerkungen zum Begriff der „Besessenheit“ zu machen: Gerade laut Markusevangelium scheint die Zahl der Besessenen ja enorm hoch gewesen zu sein, sodass einem jederzeit ein solcher Mensch begegnen konnte, mag auch das Volk solche Situationen als unangenehm empfunden haben.
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- Man wusste damals noch nichts von Viren und Bakterien und auch nicht von Nervenleiden. Krankheiten stellte man sich als das Herrschen von bösen Geistern vor. Das galt auch für die verschiedenen Behinderungen oder auch Epilepsie. Die Heilungen durch Jesus wurden weithin als Exorzismen verstanden.
- Eine andere Art von Besessenheit ist jedoch auch heute häufig wirksam. Es ist das Beherrschtsein von Ideologien, Begierden, Ängsten, Zwängen. Diese können unauffällig und normal erscheinen und trotzdem brandgefährlich sein. Ich möchte gar nicht von Verschwörungstheoretikern reden, ganz normale Politiker wie sogar ein Präsident der USA kommen in der Öffentlichkeit mit irrationalen Behauptungen zum Teil recht gut an. Es können auch die unreflektierten Gewohnheiten des Großteils der Bevölkerung sein, die in Summe zu einer unaufhaltbaren Naturzerstörung führen, aber im Alltag ganz unauffällig sind.
Wenn also bei den Worten Jesu jemand aufschreit, kann dieser Mensch für die damalige Gesellschaft als völlig normal gegolten haben. Was dieser konkrete Mann sagt, ist ja gar nicht so abwegig, und heutzutage fast täglich zu hören. Es ist doch für viele normal, dass sie mit Jesus nichts zu tun haben wollen. Auffällig ist, dass der „Besessene“ Jesus als den „Heiligen Gottes“ anerkennt, ihn aber gerade deshalb so unerträglich findet. Jesus hat also recht. Er spricht mit Vollmacht aus, was jetzt gesagt werden muss. Aber gerade das ist zutiefst bedrohlich für eine stabile Weiterentwicklung der Wirtschaft, der Machtpolitik, Jesus gefährdet das gesellschaftliche Gleichgewicht! Nochmals: DER „HEILIGE GOTTES“ IST EINE SCHLIMME GEFAHR FÜR EINE STABILE GESELLSCHAFT!! Aber ist nicht genau das „normale Leben“ die größte Gefahr für die Zukunft der Welt?
- „Da drohte ihm Jesus: Schweig und verlass ihn!“
Übersetzen wir diesen Befehl einmal als Ermutigung an den vom Ungeist beherrschten Menschen: Jesus sagt dem, der hier aufschreit: Mensch, lass dich nicht von fremden Mächten beherrschen! Hab Mut, deinem Gewissen zu folgen. Wehre dich dagegen, nur das zu glauben, zu wollen und zu tun, was die Mehrheit sagt, glaubt und tut, oder was nach oberflächlichem Geschmack bequem erreichbar ist, oder wozu Angst und Verzweiflung dich drängen. Folge dem, was dir dein Herz sagt und wozu dich die tiefste Überzeugung drängt! Geh das Wagnis ein, du selbst zu sein. Wirf weg alles, was dich von außen beherrscht und dir deine Persönlichkeit raubt!
Sollten wir nicht die „bösen Geister“ als die negativen Kräfte sehen, die den Menschen zu einem billigen, würdelosen Leben verführen wollen, die ihm einreden, dass Besitz, Ruhm und irdische Macht die eigentlichen Götter wären, denen man sich unterwerfen müsse? Könnte es nicht eine moderne Art von Besessenheit sein, wenn man meint:
→ Dass nur Sonderlinge Rücksicht auf die Ärmsten der Welt nehmen und nicht akzeptieren wollen, dass Flüchtlinge einfach keinen Platz bei uns haben….
→ Dass es schräge Vögel sind, die Mitleid mit gequälten Tieren wie Hühnern in Legebatterien haben und auch nicht akzeptieren wollen, dass Rinder und Schweine als Wirtschaftsfaktoren und nicht als Lebewesen mit einer Tierwürde zu sehen seien...
→ Dass die Natur dazu da ist, ausgebeutet zu werden und dass es eigentlich als höchsten Gott nur die Gewinnmaximierung gibt?
Auffallend ist im heutigen Evangelium das Erschrecken des Kirchenvolkes, das durch die Heilung des Besessenen ausgelöst wird! Dass es verschiedene Formen von Unheil in der Welt gibt, ist zwar schlimm, aber normal. Dass jetzt der Heilige Gottes selbst am Werk ist und das Unheil von Grund auf beseitigt, löst bei den durchaus frommen Leuten ein Erschrecken aus. Dass sich das Göttliche jetzt mit Macht zeigt, macht zugleich deutlich, dass es fundamentale Umkehr braucht, ja, dass nichts so bleiben kann, wie es bisher war!
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