Pfarrer P. Johannes zum 5. Sonntag in der Osterzeit
Am heurigen 5. Sonntag in der Osterzeit wird aus dem Beginn der großen Abschiedsrede Jesu im Johannesevangelium gelesen. Die wunderbar tröstlichen Worte: „Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen“, und „Ich gehe, um einen Platz für euch vorzubereiten“, werden ja oft auch bei Begräbnisgottesdiensten gelesen. Die zweite große Aussage Jesu ist: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben.“ Ich lade ein, darüber - auch mit Bezug auf alttestamentliche Texte - ein wenig zu meditieren.
1. Ich bin herabgestiegen, um sie … hinaufzuführen in ein … Land, in dem Milch und Honig fließen.“ (Ex 3,8)
Diese Verheißung gibt Gott Mose beim brennenden Dornbusch. Wenn wir die Geschichte weiterverfolgen, so wird Israel zunächst aus dem Sklavenhaus in Ägypten befreit, kommt aber nach dem Durchzug durch das Schilfmeer in die Wüste. Die Bibel schreibt von 40 Jahren, die diese mühselige Wanderung dauert. Es gibt dann den zweiten Durchzug, diesmal durch den hochwasserführenden Jordan, von dem im Buch Josua erzählt wird (Jos 3). Das Leben in Kanaan ist aber beileibe kein gelobtes Land, kein Land der Ruhe, keine Erlösung. Es gibt Kriege, Grausamkeiten und Irrglauben, Entführung und Fremdherrschaft. Eigentlich ist die ganze Menschheit immer unterwegs durch teils sehr schwere Zeiten. WO IST DENN DIESES GELOBTE LAND?
2. „Ich gehe, um einen Platz für euch vorzubereiten
Jesus deutet hier seinen Tod und seine Auferstehung an. Dieser Platz, den Jesus vorbereitet, ist nicht in der irdischen Welt in irgendeinem Land. Der österliche Christus bereitet den Platz für uns vor und wird wiederkommen, um uns abzuholen.
Jesus streicht allerdings im nächsten Satz gleich alle irdischen Vorstellungen durch, wie er es so oft tut, was gerade das Johannesevangelium betont. (Siehe beispielsweise die Frau am Jakobsbrunnen, die sich normales Wasser vorstellt, Jesus aber gibt ein ganz anderes Wasser. Oder in Joh 6, wo Jesus vom Essen spricht, die Leute dann sagen: Gib uns immer dieses Brot, und Jesus sie mit seiner Antwort vor den Kopf stößt: „Ich bin das Brot des Lebens“). Im heutigen Evangelium sagt Jesus zunächst: Den Weg dorthin kennt ihr ja, worauf Thomas sagt: Wir wissen nicht wohin du gehst. Wie sollen wir da den Weg kennen? Darauf sagt Jesus: ICH BIN DER WEG.
3. Auf dem Weg:
Wir Menschen, gerade in der Wohlstandswelt, haben unsere Wohnungen und auch verschiedene Wege: Schulwege, Wege zum Einkaufen, zum Arbeitsplatz, zu Freizeiteinrichtungen. Sie führen schließlich immer wieder zurück in unsere Wohnungen. Es gibt Laufstrecken, Fahrradstrecken – manchmal auch verbotene, wie durch den Kürnbergwald, schließlich Bergtouren, Urlaubsreisen…. Oft werden solche Wege auch spontan gewählt.
Es gibt auch Wege zu neuen Zielen: Ein junger Mensch wird meist irgendwann entscheiden, von seinem Elternhaus endgültig auszuziehen. Biblisch gesehen, sind Menschen immer wieder berufen worden, ihre Heimat zu verlassen: Abraham, Josef, Mose, Ezechiel …. Die Bibel nimmt uns, während wir diese Stellen lesen, geistlich auf diese Wege mit. Und wenn Jakob nach seiner Flucht vor Esau nach langer Zeit wieder heimkommt, hat sich viel in seinem Leben verändert. Er ist in der Zeit der Fremde als Persönlichkeit gewachsen, ja, er ist jetzt den Herausforderungen gewachsen, die noch auf ihn zukommen.
In einem Menschen, der sich existentiell auf den Weg macht und sich von den Eindrücken und auch Beschwerden des Weges prägen lässt, beginnt der Weg die Persönlichkeit zu formen. Ein ganz klares Faktum: Wer lange Zeit körperlich nichts getan hat und ein paar Kilo Übergewicht hat, wird auch einen kurzen Weg als beschwerlich erleben. Wenn er aber Tag für Tag trainiert, wird es immer leichter. Seine Kraft nimmt zu, und was anfangs mühsam war, erledigt er mit Leichtigkeit, er wird auch Übergewicht verlieren und schließlich hohe Berge besteigen können. Am anstrengendsten sind die ersten Tage. Die Entscheidung, sich auf den Weg zu machen, kostet Überwindung.
Noch etwas: Wer nur die alltäglichen Wege geht, dem erschließt sich nichts Neues. Er ist im gewöhnlichen gefangen. Wer ungewöhnliche Pfade beschreitet, dem begegnet so vieles, was ihn eine neue Sichtweise lehrt und ihn als Persönlichkeit ungemein bereichert.
Das gilt schließlich auch für den Weg im übertragenen Sinn, für den geistlichen Weg. Was vielleicht zunächst ängstigt, vermag, wenn man es schafft sich aus dem Alltag herauszureißen, ganz neue Dimensionen zu eröffnen, und schließlich wird (wie es Reinhard May in einem Lied besingt) manches, was uns vorher groß und wichtig erschien, plötzlich nichtig und klein.
4. Jesus sagt: „Ich bin der Weg!“
Nach diesen Betrachtungen können wir das Wort Jesu vielleicht besser verstehen. Ich darf noch einen Vergleich geben: Es gibt Wege, die kann ich allein nicht gehen. Für einen gefährlichen Berggipfel brauche ich einen Bergführer. Er weiß, wie ich Hürden überwinden kann in Situationen, die für mich allein ausweglos wären. Er kennt auch Gefahren, die mir drohen könnten, die mir selbst aber gar nicht bewusst sind.
Jesus ist den Weg gegangen, der uns allen nicht ausbleibt. Jesus kennt den Weg, den wir alle, genauso wie Thomas, eben nicht kennen. Jesus sagt aber noch mehr: Unser geistlicher Weg ist letztlich er selbst. Erfüllt von seinem Geist, haben wir im Glauben das Ziel schon erreicht, zu dem wir, irdisch gesehen, vielleicht noch viele Jahre unterwegs sind. Der Kolosserbrief formuliert es so: „Ihr seid mit Christus auferweckt; darum strebt nach dem, was im Himmel ist, wo Christus zur Rechten Gottes sitzt“ (Kol 3,1).
5. Nächsten Sonntag ist Muttertag
Die Mutter ist jedenfalls für das Kind der erste Wegbereiter. Ich habe das Bild vor mir, wie die Mutter das Kind gehen lehrt und es ermutigt. Ich sehe vor mir auch die Freude, in der das Kind die ersten Schritte geht. Vielleicht tritt die Mutter ein bisschen zurück, aber das Kind vertraut hundertprozentig, dass die Mutter da ist und es auffängt, wenn die Anstrengung zu groß wird. – Ein wunderschönes Symbol, eine Einladung, sich auf den Weg zur Selbstständigkeit, ja auch zur Selbstbestimmung zu machen. Dieses Bild mag das Wort Jesu noch verständlicher machen: Es geht einerseits um Selbstvertrauen: „Ihr kennt den Weg!“ Andererseits: Habt keine Angst, „ich bin der Weg.“ Dem entspricht auch das letzte Wort der Abschiedsreden. „Dies habe ich zu euch gesagt, damit ihr in mir Frieden habt. In der Welt seid ihr in Bedrängnis; aber habt Mut: Ich habe die Welt besiegt“ (Joh 16,33).
Bibeltexte zum 5. Sonntag in der Osterzeit
Der Text wird auch im PDF-Format angeboten, mit der Bitte, ihn auszudrucken und an die Nächsten und Näheren weiterzugeben, die kein Internet haben.