Pfarrer P. Johannes zum Karfreitag
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Liebe Pfarrgemeinde!
Einen extremeren Gedanken als den Karfreitag kann es für die Menschengemeinschaft nicht geben. Karfreitag steht für das Entsetzlichste, was passieren kann. Der Gedanke, dass der Messias selbst zum Tod verurteilt und hingerichtet wird, ist dem Judentum so unerträglich, dass der Kreuzestod Jesu für sie der Beweis ist, dass Jesus nicht der Messias gewesen sein kann. Und der Islam, der Jesus von Nazareth als großen Propheten verehrt, muss im Kreuzestod Jesu eine Verwechslung sehen. Es kann nicht Jesus von Nazareth gewesen sein, der hier gekreuzigt wurde.
„Wir dagegen verkündigen Christus als den Gekreuzigten: Für Juden ein empörendes Ärgernis, für Heiden eine Torheit, für die Berufenen aber, Juden wie Griechen, Christus, Gottes Kraft und Gottes Weisheit“ (1 Kor 1,23-24).
Auf der Predigtkanzel unserer Stiftskirche ist der Ordenspatron der Zisterzienser, Bernhard von Clairvaux, mit den Leidenswerkzeugen Jesu dargestellt. Dass sein theologischer Gegner, Abaelard, auf dem Boden liegend, Bernhard unterlegen sichtbar gemacht werden soll, ist zwar äußerst bedenklich, aber zumindest eine Aussage wird in dieser Darstellung deutlich: Man kann den Kreuzestod Jesu nicht mehr vernünftig erklären. Keine Philosophie, auch keine religiöse Lehre könnte auf die Idee kommen, einen so entsetzlichen Tod ihres Gründers zur Basis ihres religiösen Bekenntnisses zu machen. Und wenn der Glaube noch so sehr den vernünftigen Verstand braucht, hier ist die Grenze der Vernunft erreicht.
Als erste Lesung zum Karfreitag hören wir eine äußerst rätselhafte Stelle aus dem Buch Jesaja, das vierte Gottesknechtlied: Da ist von einem Menschen die Rede, der verachtet, geringgeschätzt wird, ja, der geschlachtet wird wie ein Lamm, und von dem es niemand geahnt hätte, dass er wegen unserer Sünden gestorben, wegen unserer Missetaten zermalmt worden ist, und dass zu unserem Heil die Strafe auf ihm lag. Durch seine Wunden sind wir geheilt. Ganz rätselhaft ist dann der Schluss: Weil er sein Leben in den Tod preisgab, wird er lange leben …
Dieser Text, so wird vermutet, wurde etwa 550 Jahre vor Christus in Babylon von einem unbekannten Verfasser aus der Jesajatradition verfasst, dem sogenannten Deuterojesaja. Aus mehreren Äußerungen Jesu, vor allem aus den Leidensweissagungen lässt sich schließen, dass Jesus, menschlich gesehen, sich immer mehr selbst als dieser leidende Gottesknecht verstanden hat, als der, an dem sich diese Weissagungen des Buches Jesaja erfüllen werden.
An dieser Stelle soll die Ungeheuerlichkeit der Kreuzesbotschaft deutlicher bewusst gemacht werden, ja, die schiere Unmöglichkeit, die Kreuzesbotschaft, die jedem normalen Menschen ein Ärgernis und eine Torheit sein muss, tatsächlich zu glauben. Hier möchte ich die Worte von Heinrich Fries verwenden (Fundamentaltheologie, S. 268 f.): Jesus offenbart seine Göttlichkeit genau in einer Situation, in der er die äußerste Gottesferne erlebt. (Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen!). Dort, wo keine Rede von Allmacht Gottes mehr ist, wo das Widergöttliche scheinbar siegt, spricht Gott sein Geheimnis am deutlichsten aus. „Das Kreuz und der Kreuzestod, scheinbar der völlige Zusammenbruch aller Erwartungen, Hoffnungen und Zielsetzungen, das Zeichen tiefster äußerer Schmach und Erniedrigung, werden zum Zeichen der Offenbarung Gottes.“
Eine Erfahrung von Elie Wiesel von der Hinrichtung eines Kindes in einem Konzentrationslager mag das verdeutlichen. Die Gefangenen mussten an einem verurteilten, mit dem Tod kämpfenden jungen Menschen vorbeimarschieren. Einer flüsterte immer wieder: „Wo ist Gott, wo ist Gott?“ Und dann schreibt Elie Wiesel, er hörte eine Stimme in sich antworten: „Wo er ist? Dort – dort hängt er, am Galgen…“.
Sämtliche alten Gottesvorstellungen dürfen wir gehörig aus unserem Bewusstsein streichen, alle Gottesvorstellungen, mit denen manche Menschen Macht ausgeübt haben, Kindern Angst eingejagt haben, politische Systeme bis hin zu Kriegen gerechtfertigt haben…. Ich habe in mehreren Gesprächen mit Atheisten, die mir beweisen wollten, dass es keinen Gott gibt, gesagt: An den Gott, von dem du sagst, dass es ihn nicht gibt, an den glaube ich selbst auch nicht.
Der Karfreitag sagt uns: Gott steht immer auf der Seite der Schwachen, der Verfolgten, der Unterdrückten. Er leidet mit den Leidenden, er weint mit den Weinenden. In Jesus zeigt uns Gott, dass er, wie er einst beim Dornbusch zu Mose sagte, sieht, wie die Armen unterdrückt werden, und dass er ihren Klageschrei hört, dass er herabsteigt, um sie zu befreien. Natürlich wünschen wir uns, dass Gott der Not direkt abhilft. Das tut er nicht. Christus, der Sohn Gottes, stirbt am Kreuz.
Was aber dann kommt, ist so unerwartet anders! Es offenbart, dass die Unterdrücker, die Henker, die Machtgierigen letztlich auf verlorenem Posten stehen. In dieser irdischen Welt werden lauter scheinbare Siege errungen. Da ist nichts dahinter. Kajaphas und Pilatus werden vom Auferstandenen nicht einmal ignoriert, und Pilatus steht nur wegen der historischen Festlegung im Glaubensbekenntnis. Der Sieg des Gekreuzigten ist jenseits alles irdisch Vorstellbaren, offenbart uns aber, dass die sichtbare kleine Welt erst von der Ewigkeitsperspektive ihren Sinn und ihren Auftrag bekommt.
Der Text wird auch im PDF-Format angeboten, mit der Bitte, ihn auszudrucken und an die Nächsten und Näheren weiterzugeben, die kein Internet haben.