Pfarrer P. Johannes zum 1. Adventsonntag
Liebe Mitchristen!
Es ist ein großer Unterschied zwischen der Zeit im physikalischen Sinn, der Zeit, die mit Uhren gemessen und nach der Kalender gemacht werden – und der Zeit, in der etwas passiert, das mein Leben radikal ändern kann! Im neutralen Sinn ist der vor uns liegende Zeitraum „Futurum“, im existentiellen Sinn aber „Adventus“. In diesem Sinn reden wir von Erwartung, Sehnsucht, Hoffnung.
Im Evangelium hören wir heute den Aufruf „Seid wachsam!“, und Jesus veranschaulicht ihn mit einem drastischen Bild: Wenn der Hausherr wüsste, wann der Dieb kommt, würde er wach bleiben und nicht zulassen, dass man in sein Haus einbricht.
Auch Paulus schreibt im Römerbrief, wie wir es am heurigen ersten Adventsonntag hören: „Brüder, es ist Zeit, vom Schlafe aufzustehen!“ Das Heil naht. Wir sollen uns dringend darauf einstellen.
Für mich war eine Aussage des französischen Existenzphilosophen Albert Camus im Roman „Die Pest“ erschreckend, in der er feststellt: „Die Welt ist voll von wachen Schläfern.“ Sie leben nur dahin, tun, was alle tun, denken nicht über ihr Leben nach und wollen gar nicht eigenständige Persönlichkeiten sein. Das passt genau zum Wort Jesu im heutigen Evangelium, in dem er die Situation vor der Sintflut in den Blick nimmt: „Wie die Menschen in jenen Tagen vor der Flut aßen und tranken, heirateten und sich heiraten ließen, bis zu dem Tag, an dem Noach in die Arche ging, und nichts ahnten, bis die Flut hereinbrach und alle wegraffte, so wird auch die Ankunft des Menschensohnes sein.“ (Mt 24,38 f.)
In der Volksschule haben wir das Wort Jesu aus seinem Gespräch mit Nikodemus gelesen: „Wenn jemand nicht von oben geboren wird, kann er das Reich Gottes nicht sehen“ (Joh 3,3). Wir können dieses Wort durchaus verstehen vom Bild des Paulus her: Wir müssen vom Schlaf aufstehen.
Wenn wir vom Schlaf erwachen, ist das ein wenig wie eine Neugeburt. Wir dürfen einen neuen Tag erleben. Aber wir dürfen nicht „in den Tag hineinleben“, wie es so üblich ist, sondern wir müssen uns als eigene Persönlichkeit dem stellen, was der Tag uns schenken will. „Von oben geboren“ wird man nicht automatisch, es ist Gnade und Bereitschaft in einem. Große Wachsamkeit ist Voraussetzung. Sie verlangt vor allem, dass man dem Alltäglichen nicht mehr Interesse schenkt, als wirklich nötig ist. Das große göttliche Heilsangebot ist zunächst nicht spektakulär. Denken wir an die Geburt Jesu: Da wird in einem Stall ein Kind geboren. Nur die Hirten sind bereit für die Botschaft der Engel, und sie brechen nach Betlehem auf, um das göttliche Wunder zu sehen. Alle anderen leben weiter in den Tag hinein.
Die adventliche Grundhaltung verlangt große Aufmerksamkeit. Die Gefahr ist groß, das Entscheidende zu übersehen, weil es sich nicht aufdrängt. Die kostbarsten Augenblicke sind eher wie eine Einladung, die man annehmen kann, die man aber vielleicht gar nicht wahrnimmt, weil sie nicht in das Schema passt, in der man das Leben zu gestalten gewöhnt ist.
Der Text wird auch im PDF-Format angeboten, mit der Bitte, ihn auszudrucken und an die Nächsten und Näheren weiterzugeben, die kein Internet haben.