Pfarrer P. Johannes zum 4. Fastensonntag
- „verloren“?
In unserer alltäglichen Arbeit sollen wir „bei der Sache“ sein. Für unsere hingebungsvolle Tätigkeit benutzen wir Werkzeuge, die während der Arbeit unauffällig bleiben, solange sie da sind und funktionieren. Auffällig wird der Gegenstand, der entweder beschädigt ist oder überhaupt fehlt. Das Verlorengegangene rückt gerade durch sein Fehlen ins Bewusstsein, ja, wird sogar aufdringlich. Wir wenden ihm unsere Aufmerksamkeit zu, wir suchen oder reparieren es. Das Auto wird als Fahrzeug aufdringlich, wenn es nicht anspringt. Der Computer macht Ärger, wenn das Internet nicht funktioniert.
Wie sehr wir im Alltag „bei der Sache“ sind, kann in einem kurzen Gespräch deutlich werden: „Danke, dass du mich nach Linz mitnimmst. Wo stehst du denn?“ „Ich stehe auf dem Parkplatz. Treffen wir uns in zehn Minuten beim Auto!“ Der Gesprächspartner identifiziert sich so sehr mit seinem Fahr-Zeug, dass er es auch ausspricht: „Ich stehe auf dem Parkplatz.“ Was wäre, wenn dieses Fahrzeug dann nicht anspringt oder gar gestohlen ist?
- Der verlorene Sohn:
Viele Jahre war alles selbstverständlich. Die beiden Söhne arbeiteten im Haushalt und auf den Feldern mit. Die Krise tritt ein, als der jüngere Sohn sein Erbteil fordert und wegzieht. Der Vater merkt erst jetzt durch seinen Schmerz, dass dieser nicht mehr da ist. Seine Sorge ist nun viel mehr bei dem, der weg ist, als vorher.
Die Beziehung zum älteren bleibt unauffällig, alltäglich. Um den jüngeren sorgt er sich, nach ihm hält er täglich Ausschau. Der brave ältere Sohn macht keine Sorgen. Der Vater merkt leider nicht, dass genau dieser jetzt auch verloren geht, indem er sich nur mehr an das klammert, was sich gehört, was anständig, vorbildlich und damit lobenswert ist.
- Das Fest für den Heimkehrer:
Fakt ist, dass jemand, der ein schlimmes Verbrechen begangen hat, kaum an Vergebung glauben kann. Er kann sich selbst nicht verzeihen. Der verlorene Sohn will gar nicht mehr als Sohn anerkannt werden, er betrachtet sich selbst so als Abschaum, dass er die Position als niedrigster Sklave schon als Vorzug sieht im Vergleich zu seinem Elend bei den Schweinen.
Der Vater, der immer auf ihn gewartet hat, wendet dagegen alles auf, um ihm die Sohneswürde neu zu geben. Er versorgt ihn und veranstaltet ein gewaltiges Fest, sogar mit Musik und Tanz, wie erst im Nachhinein klar wird.
Wir kennen das bei Jesus: Dem Gelähmten sagt er die Vergebung zu, die in der Heilung der Lähmung vor den Augen der Schriftgelehrten bestätigt wird, und bei Zachäus lädt er sich selbst zum Essen ein, worauf der Zorn der Anständigen entbrennt. Vergebung ist bei Jesus verschwenderische Zuwendung.
- Der verlorene ältere Sohn und der verlorene Vater:
Am Zorn des älteren Sohnes wird deutlich: Hier ist die Beziehung weiter rein sachlich verlaufen. Der brave Sohn hat alles richtig gemacht. Er hat nach den Prinzipien gehandelt, die für das Gelingen des Betriebes wichtig waren, er hat alles versorgt und damit den Vater entlastet. All das war für ihn bisher selbstverständlich und keiner Rede wert. Die Wirtschaft ist gut gelaufen, es gab keine Probleme. Der gewaltige Aufwand für den jüngeren Sohn, dessen Erbteil, konnte ausgeglichen werden.
Das Verhalten des Vaters bei der Rückkunft des jüngeren Sohnes, dieses elenden Versagers, ist aber unerträglich. Der Vater kann es auch nicht argumentieren.
Der Ärger ist nachvollziehbar, und doch offenbart sich im Verhalten des Vaters etwas, was dem älteren Sohn bisher immer fremd war: Ein Mensch ist keine Sache, und hier gelten nicht nur Vorschriften und Gesetze. Liebende Zuwendung ist etwas völlig anderes, vor allem eine andere Art von Gerechtigkeit. Liebe kann nicht verurteilen, sie will heilen. Dazu muss sie aber im Herzen ankommen.
Der Aufwand, den der Vater mit dem Fest betreibt, damit die Vergebung bei dem verlorenen jüngeren Sohn ankommt, ist aber offensichtlich klein im Vergleich mit dem Aufwand, den er für den älteren leisten müsste. Kann es vielleicht der vom Egoismus geheilte jüngere Sohn schaffen, dass sich der Vater und der ältere Sohn gegenseitig wiederfinden?
Der Text wird auch im PDF-Format angeboten, mit der Bitte, ihn auszudrucken und an die Nächsten und Näheren weiterzugeben, die kein Internet haben.