"Das Jahr steht auf der Höhe"
„Das Jahr steht auf der Höhe, die große Waage ruht...“
Die Mitte des Jahres haben wir bereits überschritten, das Sternbild des Sommers, die große Waage, am Himmel sichtbar. Ein beeindruckendes Bild.
Das Sternbild besteht nur aus ganz wenigen und unscheinbaren Sternen, man muss genau hinschauen, um es zu erkennen. Es sieht aus wie ein Drache, die Kinder im Herbstwind steigen lassen, oder auch wie ein Kreuz. Es ist gleich viel Zeit auf der Waagschale. Die Waage erinnert mich auf das Heute zu achten und die Zeit zu nutzen. Es ist sozusagen Halbzeitpause. Viel ist passiert im ersten Halbjahr. Persönliche oder berufliche Entscheidungen wurden getroffen. Jubiläen wurden begangen. Träume haben sich erfüllt oder sind geplatzt. Doch es gibt noch eine zweite Hälfte. Ich frage mich: wie werde ich die Zeit nützen oder mit was füllen? Wonach halte ich Ausschau, woran habe ich Freude und was trägt mich?
Das Jahr mit seinen unterschiedlichen Jahreszeiten, mit dem wechselnden Stand der Sonne, ist von jeher ein Symbol gewesen für das Werden und Vergehen, für Veränderung, für einzelne Personen und für eine ganze Gesellschaft.
Auch das Kirchenjahr nimmt diese Symbolik auf.
Es ist sicher kein Zufall, dass wir Ostern am 1. Sonntag nach Frühlingsbeginn feiern.
Schon Israel feierte Pascha als seine Befreiung aus Ägypten zu dieser Zeit.
Dass die Christen im 4. Jahrhundert das Bedürfnis hatten, nun auch das Geburtsfest Jesu zu feiern, wählte man die Wintersonnenwende, die Zeit um den 24. Dezember. Denn wenn die Sonne wieder an Kraft gewinnt und langsam stärker wird, ist es sinnvoll ein Fest anzusetzen.
Davon abhängig wurde auch der Geburtstag Johannes des Täufers ermittelt.
Er war nur ein wenig älter als Jesus. Und sein Wort;“Er, Jesus, muss wachsen, ich aber muss abnehmen“ legt es nah, seinen Geburtstag auf Ende Juni zu legen, dann wenn die Tage langsam kürzer werden.
Genau diese Symbolik nimmt unser Lied auf.
Der Text stammt von Detlev Block, ein evangelischen Pfarrer und Lyriker und vor allem, das merkt man dem Lied an, ein leidenschaftlicher Astronom. Die Sterne faszinierten ihn. Es wurde zum ersten Mal 1979 veröffentlicht. Die Melodie stammt von einem alten Liebeslied aus dem 15. Jh.
In jedem Vers kommt aber zugleich das Buch der Bibel mit ins Spiel.
Wenn wir Sommer hören, dann denken wir an Garten- Feste, Lagerfeuer, an Konzerte unter freien Himmel, an Grillen und Chillen in der Natur bis Mitternacht. Um so überraschender ist, dass dieses Lied von Veränderung und von Abschied und Vergänglichkeit spricht.
1. Strophe:
Das Jahr steht auf der Höhe,die große Waage ruht.
Nun schenk uns deine Nähe und mach die Mitte gut,
Herr, zwischen Blühen und Reifen und Ende und Beginn.
Lass uns dein Wort ergreifen und wachsen zu dir hin.
Zu Beginn zwei große Bilder: Das Jahr markiert durch den höchsten Stand der Sonne am Tag und das Sternenbild der großen Waage in der Nacht.
Und das was sich hier am Sternenhimmel zeigt, zeigt sich auch auf der Erde. In der Mitte von Blühen und Reifen, zwischen Anfang und Ende. Im zweiten Vers bitten wir Gott inständig um seine Nähe, denn manchmal kommen wir in Versuchung die Orientierung zu verlieren. Dann ist es gut, dass wir jemanden haben der uns zur Mitte führt. Ich soll in meine Mitte finden, an dem Ort wo Gott im Verborgenen bei mir ist. „Lass mich da sein, wo du bist.“
Aber das was uns Beständigkeit verleiht, das ist das Wort Gottes, das Wort der Bibel, aber auch das Mensch gewordene Wort Gottes, Jesus Christus. ER der alle Wechsel der Zeiten überdauert! Nun hier, das Geheimnis des Mit-sommers in der 2.Strophe:
Kaum ist der Tag am längsten, wächst wiederum die Nacht.
Begegne unseren Ängsten mit deiner Liebe Macht.
Das Dunkle und das Helle, der Schmerz, das Glücklich sein,
nimmt alles seine Stelle in deine Führung ein.
Dann, wenn der Tag am längsten ist, dann wird wiederum die Nacht größer und stärker. Traditionell wird die Nacht verstanden,als etwas, das ängstigt, was Bedrohliches; aber sie gehört mit zum Leben. Das Dunkel und das Helle, beides ist umfangen von der Macht der Liebe Christi. Auch wenn wir in den Nächten unseres Lebens, diese Liebe nicht immer spüren.
3.Strophe:
Das Jahr lehrt Abschied nehmen schon jetzt zur halben Zeit.
Wir sollen uns nicht grämen, nur wach sein und bereit,
die Tage loszulassen und was vergänglich ist,
das Ziel ins Auge fassen, das du, Herr selber bist.
Schon in seiner Mitte, nicht erst im Herbst und im Winter, schon jetzt mitten im Sommer, weist das Jahr auf de Vergänglichkeit hin. Wir sollen wach sein und bereit. Diese Worte erinnern an die Gleichnisse Jesus vom Reich Gottes: Der Hausherr der wegen einer Hochzeit sein Haus verlassen hat und wenn er wiederkehrt und zu den Knechten sagt, sie sollen wach und bereit sein. „Selig die Knechte, die der Herr bei seiner Ankunft wach findet...“ Amen, amen ich sage euch, der Herr wird sie schürzen, er wird sie zu Tisch bitten und bewirten.
Loslassen sollen wir, loslassen der Dinge die vergänglich sind, das gelingt, so sagt das Lied, wenn wir Christus als das Ziel ins Auge fassen, und zwar nicht einst und dann, sondern hier und jetzt.
Er ist das Ziel, der Fixstern auf der Reise durch unsere Jahre und Tage.
4.Strophe:
Du wächst und bleibst für immer, doch unsere Zeit nimmt ab.
Dein Tun hat Morgenschimmer, das unsre sinkt ins Grab.
Gib, eh die Sonne schwindet, der äußre Mensch vergeht,
dass jeder zu dir findet und durch dich aufersteht.
Die Strophe beginnt mit den Worten des Täufers; „Er, Christus, muss wachsen, ich aber muss abnehmen..“(Joh.3,30) Das gilt nicht nur für den Täufer, das gilt für alle Menschen.
Gottes Tun hat „Morgenschimmer“. Es ist in jedem seiner Werke so frisch und neu wie am ersten Schöpfungsmorgen:“Es wurde Abend und es wurde Morgen, der erste Tag und Gott sah, dass es gut war“ heißt es in der Genesis. Das Tun des Menschen dagegen hat keine Dauer,“das sinkt ins Grab“ - ,Windhauch, alles ist eitel, alles ist nichtig. Die berühmte biblische Einsicht aus dem Buch Koheleth: „Alles hat seine Zeit.“ Das Lied endet mit der Bitte: Eh die Sonne sinkt, der äußre Mensch vergeht, vor dem Tod also, dass wir alle das Ziel auch finden mögen. Damit wir auferstehen können einst und dann am jüngsten Gericht, aber auch schon Jetzt im Hier und Heute, inmitten dieses irdischen Lebens, in den Momenten stiller Zeit, in den sommerlichen Nächten unter den Sternen, bevor die Sonne ganz verschwindet. Amen.