Sie werden ein Herz und eine Seele
Nicht der „ungläubige Thomas“ soll heute im Mittelpunkt stehen. Ich möchte die Aufmerksamkeit auf die Lesung aus der Apostelgeschichte richten. Kurz und bündig schildert sie uns, welche Konsequenzen der Glaube an den Auferstandenen hatte:
„Die Gemeinde der Gläubigen war ein Herz und eine Seele. Sie hatten alles gemeinsam. „Es gab keinen unter ihnen, der Not litt…Jedem wurde soviel zugeteilt, wie er nötig hatte“ - heißt es da.
Die Umwelt war ganz überwältigt von der jungen Christengemeinde. So ganz anders lebten die auf einmal. Die Art und Weise ihres Zusammenlebens hat eine Qualität, die Staunen erregte. Der Grund: Sie waren überzeugt:
„Er lebt! Sein Geist ist lebendig. Er ist in unserer Mitte!“
Und viele schlossen sich ihnen an. Die Begeisterung war groß, damals.
Und bald wurden überall christliche Gemeinden gegründet.
Sicherlich hat Lukas bei seinem Bericht stark idealisiert. Es ist nicht alles so harmonisch gelaufen in der jungen Kirche. Da braucht man in der Apostelgeschichte nur weiter zu lesen. Aber man merkt das Staunen, das die Anhänger Jesu, Männer wie Frauen, nach dem Osterereignis auslösten: „Seht, wie sie einander lieben!“
Welche Konsequenzen hat es heute, für uns, wenn wir bekennen: „Er lebt!“ „ Er ist auferstanden!“ „Er ist in unserer Mitte!“ – Ist das ein bloßes Lippenbekenntnis oder verändert es etwas? Ganz konkret: an unserer persönlichen Lebenspraxis, an unserem Umgang miteinander?
Verändert „Ostern“ die Welt?
Da möchte ich eine kleine Geschichte erzählen:
„Es war einmal ein guter Mensch. Er hatte Mitleid mit dem hässlichen Gewürm der Raupen, wie sie sich Stunde für Stunde vorwärts plagten, um mühsam einen Stängel zu erklettern und ihr Fressen zu suchen. Keine Ahnung von sonst etwas. Und der gute Mensch dachte: „Wenn diese Raupen wüssten, was aus ihnen werden kann, was in ihnen steckt, was ihnen als Schmetterling blühen wird: Sie würden ganz anders leben, froher, zuversichtlicher, freier, mit mehr Hoffnung. Sie würden erkennen: „Das Leben besteht nicht nur aus Fressen und der Tod ist nicht das Letzte“.
So dachte der gute Mensch und er wollte es ihnen sagen, den Raupen: „Ihr werdet frei sein! Ihr werdet eure Schwerfälligkeit verlieren! Ihr werdet mühelos fliegen und Blüten finden! Ihr werdet schön sein“. – Aber die Raupen hörten nicht. Das war nicht ihre Sprache.
Und als der gute Mensch nochmals anfing: „Euer Puppensarg ist nicht das Letzte. Ihr werdet euch verwandeln, Flügel werden euch wachsen, ihr werdet in der Sonne tanzen…“ Da sagten sie: „Du spinnst! Du hältst uns nur vom Fressen ab!“
Ich frage mich:
„Spinnt“ man wirklich, wenn man vom Leben mehr erwartet als nur die Befriedigung materieller Bedürfnisse?
Ist es wirklich nur ein „Hirngespinnst“, von einem Leben, befreit von aller Mühsal, befreit von Leid, befreit sogar vom Tod zu träumen?
Ist es verrückt, hinter der scheinbaren Wirklichkeit ein neues „erlöstes“ Leben zu erahnen? Ist es wirklich verrückt, über unser manchmal so mühseliges Dasein hinaus zu hoffen und alles, was uns niederdrückt und einengt, womit wir uns das Leben schwer machen, als das „Vor-letzte“ und nicht als das „End-gültige“ zu sehen?
Nein, es ist nicht „verrückt“, über das scheinbar Unverrückbare hinauszudenken, Grenzen aufzusprengen, über den Horizont hinauszuenken,
an „Auferstehung“, an neues, wahres und „end-gültiges“ Leben zu glauben.
Es war keine „Spinnerei“, damals, als die junge Christengemeinde sich so zeigte, dass man von ihr sagte: „Schaut euch die an: ein Herz und eine Seele sind sie, sie haben alles gemeinsam, keiner unter ihnen leidet Not. Seht, wie sie einander lieben.“ - Es war die Konsequenz ihres Osterglaubens.
Ich bin überzeugt, wir können auch heute - als Konsequenz unseres Osterglaubens - unsere Umwelt zum Staunen bringen, wenn man uns anmerkt:
- dass wir uns nicht mit „am Boden kriechen“ und „nach Futter suchen“ zufrieden geben,
- dass wir Visionen haben, Visionen von einer Welt, wie sie sein könnte, ja sein müsste,
- dass wir uns im wahrsten Sinn des Wortes „beflügeln“ lassen von einem „Geist“ – dem „Heiligen Geist“ – der uns eine unzerstörbare Hoffnung ins Herz gelegt hat
- und dass wir Menschen sind, die jetzt schon „auferstehen“, einen „Aufstand“ wagen, gegen alles Tote, Erstarrte, Niederdrückende.
Ostern, liebe Gemeinde, ist die Einladung, dass wir uns einüben in eine Lebenspraxis, die uns befreit, uns erlöst und immer wieder „auferstehen“ und „leben“ lässt. Jetzt schon – und einmal für immer.
„Die Menge derer, die gläubig geworden waren, war ein Herz und eine Seele“. – Wäre doch schön, wenn man das auch von uns sagen könnte. Amen