"Wie ist das mit der gepriesenen Gerechtigkeit Gottes?"
Liebe Mitchristen!
Mehr Lohn für mehr Arbeit. Leistung muss sich wieder lohnen. Ich investiere meine Arbeitskraft und Zeit, also steht mir eine angemessene Vergütung zu!
So ist das im Wirtschaftsleben. Wie ist das im religiösen Leben?
Geht es da auch um Leistung, die sich bezahlt machen muss?
Was bringt mir die christliche Lebenshaltung, mein Bemühen um ein Leben in der Nachfolge Jesu, fragen sich manche. Das haben sich auch die Jüngerinnen und Jünger Jesu gefragt. Sollte es da nicht mehr für die Fleißigen geben, bevorzugte Behandlung, Nachzahlungen für Überstunden, Boni für besonders gute Ideen? Lob und Anerkennung dafür, alles hinter sich gelassen zu haben, um Jesus nachzufolgen? Oder auch in unserem Denken: Belohnung für Pilgern, Meditation und Fasten? Zuschläge für fleißige Beter:innen und Mitarbeiter:innen der Pfarrgemeinde?
Fragen tun sich da auf!
Wie ist das mit der gepriesenen Gerechtigkeit Gottes?
Warum bekommt der Verbrecher am Kreuz im letzten Augenblick das Versprechen Jesu, dass er noch am selben Tag mit ihm im Paradies sein wird?
Warum die bevorzugte Behandlung des kleinen Giftzwerges Zachäus in Jericho, oder das Fest für den verlorenen Sohn unter den Augen des braven älteren Bruders; die Privataudienz für Thomas am zweiten Ostersonntag, weil er nicht glauben kann? Warum darf Paulus, der grausame Christenverfolger, die Missgeburt, als Spätberufener aufrücken in die Apostelschar, die als Ganztagesarbeiter und Menschenfischer drei Jahre lang in der Nachfolge Jesu aktiv und damit immer auch in Gefahr waren?
Im heutigen Evangelium begegnet uns ein großzügiger und barmherziger Gutsbesitzer, der so manche durch seine Großzügigkeit vor den Kopf stößt.
Das Evangelium lenkt heute unseren Blick vor allem auf das unermüdliche Hinausgehen des Gutsbesitzers, der für Gott steht, um Arbeiter für seinen Weinberg zu suchen. Immer wieder geht er auf den Markt, um Arbeiter für seinen Weinberg anzuwerben. Er vermittelt den Eindruck, dass es ihm primär gar nicht um den Erfolg seines Unternehmens geht, wofür er Arbeitskräfte braucht, sondern um die am Marktplatz ohne Beschäftigung herumlungernden Leute. Der Gutsbesitzer zeichnet sich auch durch einen fairen Lohn aus, auf den er sich mit allen angeworbenen Tagelöhnern geeinigt hat. Sein Wort hat Handschlagqualität – auch für jene, die nicht allzu viel geleistet haben, wohlgemerkt nicht durch ihre Schuld!
Am Ende des Tages kommt es zur großen Überraschung. Alle erhalten den gleichen, fairen und vereinbarten Lohn. Es wird eine Großzügigkeit sichtbar, die jedes menschliche Kalkül übersteigt. So ist Gott. Großzügig und voll Erbarmen. Und unberechenbar gütig gegenüber allen. Davon profitieren auch wir.
Wer könnte denn behaupten, dass er zu allen Stunden seines Lebens „voll für Gott“ gearbeitet hätte. Wer sich zu schnell aufregt, sollte eher in Ruhe nachdenken, ob er nicht ebenso in vielen Phasen seines Lebens auf die Barmherzigkeit anderer und ebenso auf die Barmherzigkeit Gottes angewiesen war. Diejenigen, „die immer voll gehackelt haben“ verstehen am Ende des Tages die Welt nicht mehr. Wofür haben sie sich denn angestrengt, wenn alle gleich gut behandelt werden?
Ist es nicht ein großes und meist unverdientes Glück, wenn man sein Leben lang etwas Sinnvolles tun konnte? In einem verlässlichen und erfolgreichen Betrieb mitarbeiten zu dürfen, etwas gestalten zu können und damit einen Platz in der Gesellschaft zu haben, ist unendlich wertvoll. Noch dazu in einem Land wie Österreich, in dem es stabile demokratische Verhältnisse gibt und in dem die Nachkriegsgeneration unglaublich viel geleistet hat, damit meine Generation und unsere Nachkommen im Wohlstand leben können.
Die Gleichnis Erzählung Jesu ist eine echte Herausforderung für die Frommen in der jüdischen Gesellschaft, die ein Leben lang nach den Geboten des Herrn gelebt haben. Und somit auch für uns. Sie müssen erleben, dass die Nichtsnutzigen, die offensichtlichen Versager, die öffentlich bekannten Sünder und alle anderen aus der Gemeinschaft Ausgeschlossenen durch Jesus Zugang zu Gott bekommen. Anstatt sich mit diesen vielen Verlorenen mitzufreuen – dass sich ihnen nun auch das Himmelreich öffnet, verschanzen sie sich im vorwurfsvollen Vergleich und berufen sich auf ihre Verdienste vor Gott. Das Entscheidende in unserem Leben ist aber niemals das, was wir tun und leisten, sondern die Beziehungen, in denen wir leben.
Das gilt 100% auch für unsere Beziehung zu Gott. Jesus möchte mit der Erzählung von den unterschiedlichen Arbeitern im Weinberg die Herzen seiner Zeitgenossen erobern. Er möchte sie an die große Barmherzigkeit Gottes heranführen und zu „Mitarbeitern“ machen, zu Mitstreitern für die barmherzige Sache Gottes.
Auch für Jesaja in der ersten Lesung ist das ein wichtiges Thema:
Sucht den Herrn, er lässt sich finden,
ruft ihn an, er ist nah!
Der Frevler soll seinen Weg verlassen,
der Übeltäter seine Pläne.
Er kehre um zum Herrn,
damit er Erbarmen hat mit ihm,
und zu unserem Gott;
denn er ist groß im Verzeihen.
Der Leistungsdruck in allen gesellschaftlichen Bereichen, die vielfältigen Erwartungen an ein glückliches und erfolgreiches Leben – so wie es uns in den Massenmedien vorgeführt wird, bringen viele Menschen zur innerlichen Erschöpfung. Der neidvolle Blick auf den Nachbarn, auf sein Vermögen und seine Erfolge trägt noch zusätzlich zu einem allgemeinen Un-Wohlbefinden bei. Das Evangelium von Gottes Barmherzigkeit kann davon befreien. Es entfaltet seine heilsame Kraft – wenn es gehört und aufgenommen wird. Es gibt den nötigen Schub, unsere Engherzigkeit zu überwinden. Es kann uns anstiften, dass wir ebenso hinausgehen auf die vielen Markplätze unserer Gesellschaft, um Ausschau zu halten nach Menschen, die auf sich allein gestellt keinen Sinn mehr finden. Der barmherzige Gott braucht uns als seine Helfer/innen, damit niemand sein Leben lang irgendwo herumhängen muss – ohne angesprochen und damit wertgeschätzt zu werden. In dieser Hinsicht könnte jede/r von uns auch ein/e Arbeiter/in im Weinberg des Herrn werden.
Liebe Mitchristen,
die Evangelien der letzten Sonntage und auch das heutige sind für uns Christen eine große Herausforderung, weil es um Verzeihen, Dankbarkeit, Barmherzigkeit und Mitmenschlichkeit geht. Schlüsselbegriffe und Haltungen, die für jeden einzelnen und für unsere ganze Gesellschaft von großer Bedeutung sind und über unser Glück oder Unglück entscheiden.
Amen.