Fastentücher - einst und jetzt
Fasten der Augen
Tag aus Tag ein flimmern Millionen Bilder vor unseren Augen. Die Flut der Bilder lassen uns kaum zur Ruhe kommen. Auf der anderen Seite ist die Gewöhnung ein Hindernis, Kostbares in seinem Wert recht zu schätzen. Oft ist es gerade eine Änderung, die uns den Wert erkennen lassen. Dies hat man in der Kirche gesehen und entsprechend gehandelt. Als die Kirchen immer kostbarer zur Ehre Gottes mit Statuen und Bildern ausgestaltet wurden, war der Blick der Gläubigen oft vom verkündeten Wort und vom heiligen Geschehen abgelenkt. Dann wiederum waren die Menschen an diese Schönheit so gewöhnt, dass sie diese gar nicht mehr in dieser Schönheit wahrnahmen.
Besonders kostbar wurden die Kreuze geschmückt, ehe man den Gekreuzigten auf dem Kreuz darstellte. Eine „Crux gemmata“ war häufig vergoldet und mit Edelsteinen und Perlen bestückt, ein strahlendes Kreuz, das den Sieg Christi über Sünde, Tod und Teufel verkündete. Man kann sich vorstellen, dass bei der Enthüllung des Kreuzes am Karfreitag der leuchtende Sieg des Herrn am Kreuz sichtbar verkündet wurde.
Geschichte der Fastentücher
Schon im frühen Mittelalter hat man begonnen, in der vierzigtägigen Fastenzeit Kreuze, Reliquienschreine, Bilder und Statuen zu verhüllen, um durch das Fasten der Augen den Blick für die künftige Herrlichkeit neu zu gewinnen, die sich im Blick auf die wieder enthüllten Gegenstände darstellen konnte. Etwa seit dem 13. Jh. ist anzunehmen, dass Fastentücher von den Britischen Inseln bis Süditalien ziemlich allgemeine Verbreitung gefunden hatten.
Wie die ältesten dieser Verhüllungstücher ausgesehen haben, ob sie schmucklos oder schon bemalt waren, darüber geben uns die Quellen keine Auskunft. Aber eines fällt auf: Ob der Größe dieser Fastentücher ist anzunehmen, dass sie den ganzen Raum der Kirche teilten und der Altarraum dem Blick der Gläubigen entzogen war, auch während der Gottesdienste. Auch waren die Fastentücher nicht immer in einem Stück, sondern in Längs oder Querbahnen, da so große Breiten nicht gewebt werden konnten. Das zeigen mittelalterliche Fastentücher, die eine wunderbare Bemalung aufweisen.
Die Fastentücher spielten bis hinein in die Liturgie eine Rolle, etwa wenn sie bei der Messe nach dem Evangelium hochgezogen und nach dem Vater unser wieder bis zum Boden heruntergelassen wurden. Anderswo wird berichtet, dass während der Matthäuspassion in der Karwoche an der Stelle, wo es nach dem Tod Jesu heißt, dass der Vorhang des Tempels mitten entzwei riss, das Fastentuch mit großem Lärm heruntergelassen wurden.
Übrigens: Noch heute sind in den Kirchen der armenischen Liturgie die mit Bildern ausgemalten Wände währen der Fastenzeit mit Tüchern verhüllt, dann aber in der Osternacht, wenn die Auferstehung des Herrn verkündet wird, durch die uns die Herrlichkeit des Himmels geöffnet wird, lassen Kinder alle Verhüllungstücher von den Wänden fallen, so dass die Kirche in all ihrer Pracht wieder erstrahlt.
In der Barockzeit wurden die Fastentücher kleiner, meist nur mit einem Passionsmotiv.
Im Josefinismus verwendete man überhaupt nur einfache violette Tücher bis sie im 20. Jh. fast gänzlich aus den Kirchen verschwanden. Doch hat in den letzten Jahrzehnten eine Wende eingesetzt. Oft sind es kleine Fastentücher, vermehrt kommen aber auch wieder große, die oft künstlerisch gut gestaltet sind. Eines soll jedenfalls erreicht werden: Mit dem Fasten der Augen tritt durch die Fastentücher die biblische Verkündigung wieder in den Mittelpunkt der Betrachtung.
Motive auf den Fastentüchern
Während die ältesten Fastentücher schmucklose, meist naturfarbene Vorhänge waren, wurden sie später mit ornamentalem Schmuck ausgestattet und ab dem 14. Jahrhundert wurden die Fastentücher mit biblischen Bildern aus dem Alten und Neuen Testament bemalt. Das Bildprogramm wurde wohl von den Bildern in den Vorhallen der Kirche übernommen und dienten auch hier wie dort wohl der Katechese.
Denn es ist anzunehmen, dass gerade in der Vorbereitungszeit vermehrt Glaubensunterricht und Fastenpredigten gehalten wurden. In der Barockzeit verschwanden den großen Fastentücher weithin und wurden von Vorhängen oder Vorsatzbildern vor dem Altarbild abgelöst. Diese zeigten eine Szene aus der Passion.
Das Bildprogramm der mittelalterlichen Fastentücher enthält aus dem Alten Testament vor allem Bilder von der Schöpfung, dem Sündenfall, die Arche Noach, den Auszug der Hebräer aus Ägypten und Mose, der das Wasser aus dem Felsen schlägt. Aus dem Neuen Testament neben der Menschwerdung Jesu die Hochzeit von Kana, die Vertreibung aus dem Tempel, Heilungen und vor allem das Leiden und die Auferstehung des Herrn. Manche Bilder enden sogar mit dem Weltgericht. Aufs Ganze gesehen stellen wir fest, dass die Bilder letztlich im Zentrum das österliche Geheimnis haben.
Das Fastentuch der Stadtpfarrkirche Steyr, das 1997 aufgefunden wurde, stellt die schmerzhafte Mutter Maria mit dem toten Leib ihres Sohnes auf dem Schoß, so als ob sie hinweisen möchte: Das alles hat Jesus für euch getan.
Neuere Fastentücher haben verschiedene, meist neutestamentlichte Themen wie den barmherzigen Vater oder den barmherzigen Samariter, die meisten aber greifen vor allem die Bilder von Passion und Auferstehung auf, also das österliche Geheimnis.
So sehen wir, dass lebendiges Brauchtum auch in unseren Tagen viele überlieferte aufgreifen, weiterentwickeln und ausbauen können. Eine schöne und lohnende Aufgabe in der Kirche.
Roland Bachleitner
in: Pfarrblatt "Pfarrgemeinde aktuell" Nr. 1/2009