Kreuz und Hahn
Manche haben schon verwundert gefragt, warum auf dem Turm der Stadtpfarrkirche kein Turmkreuz steckt. Dieser wird nach oben abgeschlossen mit einer steinernen Kreuzblume, durch Blitzschläge teilweise beschädigt, und von einer vorgoldeten Kupferrosette bekrönt.
Weniger auffällig ist der Hahn auf dem Giebel des Kirchendaches, oft einfach als Wetterhahn bezeichnet, auch wenn er sich nicht dreht. Doch warum sitzt der krähende Hahn auch dem Kirchendach? Nur um anzuzeigen, aus welcher Richtung der Wind weht? Das merkt man doch wohl auch ohne einen Wetterhahn. Da muss etwas anderes dahinter sein.
Dieses andere finden wir ebenfalls auf dem Giebel des Kirchendaches, allerdings im Westen: ein schlichtes, vergoldetes Kreuz. Und das Kreuz mit dem Hahn in Verbindung gebracht, gibt uns die Erklärung zu unserer Frage.
Ist Ihnen aufgefallen, dass unsere Stadtpfarrkirche wie die meisten Kirchen aus dem Altertum und dem Mittelalter bis herauf in die Neuzeit so gebaut wurden, dass sie nach Osten hin ausgerichtet sind? Und auf dem Ostgiebel der Kirche sitzt auch der Hahn ganz in der Haltung des Krähens. Und der Hahn kräht, wenn der Morgen kommt und die Sonne aufgeht. Als es noch kein elektrisches Licht und keinen Wecker gab, da war es der Hahn, auf den man sich verlassen konnte, wann es Zeit zum Aufstehen war.
Im Altertum und Mittelalter war die im Osten aufgehende Sonne das Symbol für die Überwindung der Finsternis. Während im Westen, wo die Sonne versinkt, die Dunkelheit aufsteigt. Und darum war der Westen Symbol für die aus dem Dunkeln hervorkriechenden Mächte der Finsternis.
Der Hahn im Osten wendet sich der aufgehenden Sonne zu. Und die aufgehende Sonne ist Symbol für Christus, der unser Licht ist. So wird die Osterkerze in der Osternacht in die dunkle Kirche mit dem Ruf hereingetragen: „Lumen Christi = Das Licht Christi!“
Diese Nacht ist auch die Nacht der Taufe. Beim Apostel Paulus findet sich ein Zitat aus einem urchristlichen Taufhymnus: „Wach auf, du Schläfer, und steh auf von den Toten, und Christus wird dein Licht sein“ (Eph 5,4). Der Hahn, dem Licht zugewendet, wird zum Symbol dafür, dass wir in der Taufe mit Christus auferweckt worden sind. Und der Hahn auf dem Kirchendach soll uns erinnern, dass wir nicht schlafen sollen, sondern als wache Christen in der Zeit leben, wachsam und nüchtern.
Wachsam müssen wir sein und nüchtern genug, um das Böse rechtzeitig zu erkennen und ihm zu widerstehen, wie Petrus meint: „Seid nüchtern und wachsam! Euer Widersacher, der Teufel, geht wie ein brüllender Löwe umher und sucht, wen er verschlingen kann. Leistet ihm Widerstand in der Kraft des Glaubens!“ (1 Petr 5,8-9a). Unser Blick muss sich also auf Christus richten. Er soll uns für das Leben Orientierung geben. Übrigens: Vom Wortlaut her bedeutet Orientierung, sich nach Osten ausrichten, der aufgehenden Sonne (sol oriens) zu.
Wenden wir uns dem Kreuz im Westen der Kirche zu, ist es Symbol für die Abwehr gegen das Böse und seine Mächte. Das sehen wir auch in der Legende vom Leben der heiligen Margareta von Antiochia. Das Fest der Patronin unserer Margaretenkapelle wird am 20. Juli gefeiert. Margareta wird mit einem Drachen und einem Kreuz in der Hand dargestellt. Eine Legende erzählt, ein Ungeheuer habe sie bedroht, sie aber streckte ihm ein Kreuz entgegen und der Drache zerplatzte.
Nach einer anderen Version dieser Legende hat das Ungeheuer Margareta verschlungen. In dessen Inneren machte Margareta das Zeichen des Kreuzes und das Untier barst entzwei und Margareta entstieg unversehrt seinem Inneren. Beide Versionen lehren, dass wir in der Kraft des Glaubens die Macht des Bösen überwinden. Diese Bedeutung steckt auch dahinter, wenn Gipfelkreuze, Kreuze an Wegkreuzungen oder Wetterkreuze errichtet werden.
Die uralte Symbolik von Ost und West, die sich in der Ausrichtung der Kirchen darstellt, findet sich auch in der Feier der Taufe. Im Altertum haben die Katechumenen vor der Taufe – wie bis heute vor jeder Taufe – das Glaubensbekenntnis abgelegt. Nach Westen gewandt haben sie auf die Fragen, dem Bösen abzusagen, mit „Ich widersage“ geantwortet, anschließend nach Osten gewandt das Bekenntnis zu den Fragen nach ihrem Glauben mit „Ich glauben“ kundgetan. Später haben bei der Kindertaufe die Paten stellvertretend diese Antworten übernommen.
Mit der Einzeltaufe von Kindern möglichst bald nach der Geburt ist diese Form des Bekenntnisses verschwunden. Aber noch heute werden in der orthodoxen Kirche die Antworten nach den Fragen zur Absage an das Böse nach Westen hin gesprochen, die Fragen des Glaubens nach Osten hin.
Im letzten sind die Symbole von Kreuz und Hahn von Ost und West eine Aufforderung an uns, uns im Leben nach der Botschaft des Evangeliums zu orientieren.