Manfred Kalchmair
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Sehr geehrte Ehrengäste, geschätzte Sierningerinnen und Sierninger!
Bereits zum zweiten Mal löst in Sierning ein Buch Gedenken an längst Vergangenes aus. War es vor rund 20 Jahren das Buch von Erich Hackl, „Abschied von Sidonie“, das die Gemeinde dazu veranlasste, den Kindergarten nach Sidonie zu benennen und ein Denkmal für sie zu errichten, so ist es heute die Arbeit von Frau Bernt-Koppensteiner, die uns gemeinsam mit der Pfarre dieses Mahnmal errichten ließ.
Nur wer weiß, woher er kommt, weiß, wohin er geht! Dieses Zitat von Theodor Heuß wird heute sehr oft Reden vorangestellt. Vor allem Reden, die sich damit beschäftigen wie wichtig es ist, sich Entwicklungen bewusst zu werden, um die Zukunft zu meistern.
In den meisten Fällen sprechen wir dann aber von Ereignissen aus der Geschichte, derer wir uns gerne erinnern. Die guten Taten, die schönen Traditionen und die tollen Menschen auf die wir stolz sind.
Jede Medaille hat aber zwei Seiten. Es gibt auch Ereignisse, derer wir uns schämen, die wir vergessen wollen und Menschen die Schuld auf sich geladen haben. Auch das gehört zu unserem Leben und auch daran müssen wir uns erinnern. Nur wenn man auch diesen Teil der Geschichte kennt, wird der Weg in die Zukunft ein guter sein.
Heute ist ein Tag, an dem wir uns gemeinsam an ein Stück jener Vergangenheit erinnern, die nicht so gut war. Es ist ein Teil der Geschichte unserer Heimat über den lange nicht gesprochen wurde. Zu viele Menschen hatten Schuldgefühle und wollten nicht, dass in den alten Wunden gebohrt wird.
Ich erinnere mich an einen Satz, den ich in meiner Jugend immer wieder hören musste, als ich begann Fragen über die Zeit des Nationalsozialismus zu stellen. Lasst uns diese Zeit doch endlich vergessen, das ist schon so lange her.
Ich gehöre einer Generation an, deren Geschichtsunterricht mit dem Ersten Weltkrieg zu Ende war. Wir konnten vieles was zwischen 1918 und 1945 geschehen war nicht verstehen, wollten es aber gerne wissen. Es gab allerdings kaum Antworten. Ja, es ist besser geworden! Heute kann man darüber sprechen und die Zeit wird mit den Abstand von 70 Jahren betrachtet klarer.
Nachdem Karl Reiter im Sommer das Denkmal errichtet hat, haben mich einige Bürgerinnen und Bürger angesprochen und mich gefragt ob denn ein solches Denkmal notwendig sei. Die Zeit, so meinten sie, wird doch nicht wiederkommen.
Ja, auch ich will nicht glauben, dass diese Zeit sich wiederholt. Wir leben heute in einem Staat der ein sicheres Sozialsystem hat. Der niemanden zurücklässt. Niemand muss sich darüber Sorgen machen wie er seine Familie ernährt, wenn er seine Arbeit verliert. Niemand braucht Angst davor zu haben, dass er sich die Heilung seiner Krankheit nicht leisten kann. Kein alter Mensch muss für seinen Lebensunterhalt betteln gehen. Das Fehlen dieser Sicherheit war vielfach der Grund, dass Menschen auf die Verlockungen des Nationalsozialismus hereingefallen sind. Aber ich bin überzeugt wir müssen wachsam sein.
Denn heute werden in Europa mit dem Hetzen gegen Menschengruppen wieder Wahlen gewonnen. Flüchtlingsquartiere werden abgebrannt. Es gibt einen europäischen Staatsmann, der sein Land stolz für Migrationsfrei erklärt. Der die Flüchtlingsbewegung als von finsteren Mächten gesteuert sieht und niemand schreit auf!
Ich erinnere mich an ein Bild als der damalige Außenminister Alois Mock mit dem ungarischen Ministerpräsidenten stolz den Zaun durchschnitt, der unsere Länder fast fünfzig Jahre trennte. Heute ernten aber wieder jene Applaus, die Zäune errichten.
Es gibt ein Lied der Popgruppe STS das folgenden Refrain hat:
Es fangt genauso an, sagt der alte Franz
Es is des gleiche Lied, es is derselbe Tanz
Es fangt genauso an, wie vor sechzig Jahr`
Und es war´n damals am Anfang auch nur a paar
Mit diesen düsteren Gedanken will ich Ihnen keine Angst machen. Ich will sie zum Nachdenken bringen und das soll auch unser Mahnmal!
Ich bin Karl Reiter, Frau Bernt-Koppensteiner, Herrn Ramsmaier, Pfarrer Sperker und allen am Projekt beteiligten dankbar, dass wir heute dieses gemeinsame Zeichen setzen können. Ein Zeichen gegen das Vergessen. Für eine Entschuldigung aber auch für das Verzeihen. Mit dem Mahnmal lösen wir heute eine Schuld ein, die viel zu lange bestanden hat. Ich bin glücklich, dass wir diesen Schritt endlich setzen können. Wir wollen damit bewusst machen, dass wir auch bereit sind, uns den Schattenseiten unserer Gemeindegeschichte zu stellen.
Wir sind stolz auf die Menschen, die in dieser unsäglichen Zeit geholfen haben, die Flüchtlinge versteckt haben, die Vorbeiziehenden Brot gegeben haben oder die ein Zigeunerkind bei sich aufgenommen haben.
Ihnen wollen wir danken.
Wir wissen aber auch, dass es jene gegeben hat, die Flüchtlinge verfolgt haben, die sich weggedreht haben und die die kleine Sidonie ausgeliefert haben.
Ihnen wollen wir verzeihen.
Wir werden aber diese Seite der Medaille niemals vergessen!