Das versteckte Kreuz
Einst war es ein guter, alter Brauch, Häuser und Höfe in die Obhut von Bildstöcken, Kapellen oder Kreuzen zu stellen. Oder es wurden sogenannte Wegkreuze aus den unterschiedlichsten Motiven errichtet, z. B. aus Dankbarkeit, in Erfüllung eines Gelübdes, in Gedenken an ein besonderes Ereignis oder an Unfallopfer, manchmal auch als Haltepunkt für Prozessionen.
Bei so gut wie jeder Wanderung trifft man auf die stummen Zeugen der Vergangenheit, die auch heute noch die Schönheit und Stimmung der Landschaft prägen. Diese spirituellen Orte – oft umgeben von Baumgruppen – laden uns ein, innezuhalten, zur Ruhe zu kommen und ein Gebet zu sprechen.
Jubiläumskreuz Alte Landstraße / Fall, 2024
Das erst auf den zweiten Blick erkennbare hölzerne Feldkreuz am Schnittpunkt der ehemaligen Landstraße und einer alten, vielleicht schon von den Römern benützten Straße von Fall nach Schönering (nahe der Straße zum Kraftwerk Ottensheim/Wilhering) ist eines dieser besonderen Orte.
WIR BLICKEN ZURÜCK
Es war im Jahr 1982, als die Goldhaubengruppe Wilhering bei einer Zusammenkunft im Gasthaus „Zur Alm“ unter der Leitung von Obfrau Anna Löckher den Vorsatz fasste, sich künftig verstärkt um die Pflege der Wegkreuze und Kleindenkmäler zu kümmern. Auch konkrete Pläne wurden sogleich geschmiedet – unter anderem die Errichtung eines Wegkreuzes.
Zeitungsausschnitt vom 9.12.1982
Die Baumschule Matula stellte ein Stück Grund bei der Weggabelung Alte Landstraße / Fall zur Verfügung, und aus dem Erlös eines Weihnachtsbasars konnte das Projekt finanziert werden.
Segnung des Jubiläumskreuzes am 15.8.1983
Zu Mariä Himmelfahrt, am 15. August 1983, segnete Pfarrer Johann Kaserer im Rahmen einer Feldmesse mit Kräuterweihe das Jubiläumskreuz, das an die 1150 Jahr-Feier der Pfarre Schönering erinnern soll.
Neu errichtetes Jubiläumskreuz 1983: Gefertigt wurde das Kreuz von Johann Pointinger aus Mühlbach. Findlinge bildeten hinter dem Kreuz einen Halbkeis, und eine Bank lud zum Verweilen ein.
Das Kreuz trägt eine Tafel mit folgendem Gedicht:
Was will das Kreuz, das am Wege steht?
Es will dem Wanderer, der vorüber geht,
das Wort der Demut sagen!
Du sollst dem Herrn das Kreuz nachtragen.
Was will das Kreuz, das am Wege steht?
Es will dem Wanderer, der vorüber geht,
das Wort des Trostes sagen!
Der Herr hat deine Schuld getragen.
Was will das Kreuz, das am Wege steht?
Es will dem Wanderer, der vorüber geht,
das Wort der Wahrheit sagen!
Das Kreuz wird dich in den Himmel tragen.
Malermeister Josef Schwarzberger schrieb dieses Gedicht nach einem Entwurf von OSR Konsulent Franz Gruber.
2008 wurde der Platz beim Jubiläumskreuz von Hermann Löckher neu gestaltet.
TRADITIONEN RUND UM DAS KREUZ
Seit dem Jahr 1983 wurden beim Jubiläumskreuz Fall unzählige kirchliche Feste gefeiert. Viele von uns werden sich vor allem an die schönen Kräuterweihen erinnern, die von den Goldhaubenfrauen ausgerichtet wurden und stets mit Ausschank und Verköstigung verbunden waren. Eine logistische Meisterleistung aller Beteiligten!
Weinsegnung durch Pfarrer Johann Kaserer im Jahr 1985
Gruppenfoto der Schöneringer Goldhaubenfrauen am 15. August 2012
Die letzte Hl. Messe beim Jubiläumskreuz wurde 2012 gefeiert. Das Kreuz ist aber weiterhin ein beliebtes Ziel für gemeinsame Andachten, zuletzt bei der Maiandacht der kfb und KMB im Mai 2024.
PFLEGE DES WEGKREUZES
Nach einer Umgestaltung des Platzes beim Jubiläumskreuz durch Hermann Löckher im Jahr 2008 übernahmen mehrere Goldhaubenfrauen die Pflege. Unser großer Dank gilt hier in erster Linie † Maria Krenmair, Anna Hollaus und Melitta Stumpner (Obfrau für viele Jahre), die sich unermüdlich und ehrenamtlich um das Jubiläumskreuz kümmerten und auch im Jahr 2012 für eine Neubepflanzung sorgten!
Seit einigen Jahren pflegen Diakon Joachim Podechtl und seine Frau Doris liebevoll diesen besonderen Ort.
Ein herzliches Dankeschön für diesen wertvollen Dienst!
Anna und Hermann Löckher
Auch wenn sich die Tradition rund um das Jubiläumskreuz im Laufe der Jahrzehnte stark verändert hat, bleibt dieser spirituelle Platz bei der Weggabelung in Fall weiterhin ein Ort der Begegnung, der zum Innehalten und Kraft tanken einlädt.
Text: Edeltraud Schubhart, Fachteam Öffentlichkeitsarbeit
Recherchen: Eva Riepl, Obfrau Goldhaubengruppe Schönering
Fotos: Anna Löckher, Pfarrfotograf Wilfried
ORT DER BEGEGNUNG
„Niemand ruft deinen Namen an, keiner rafft sich dazu auf, festzuhalten an dir. Denn du hast dein Angesicht vor uns verborgen und hast uns der Gewalt unserer Schuld überlassen.“ (Jes. 64,6)
Diese von Schuld beladenen Worte hat der Prophet vor fast 3.000 Jahren verfasst. Eine Mahnung, die nicht passender sein könnte, in einer Zeit der Anonymität, der Vereinsamung und Wortlosigkeit.
Das Kreuz ruft zu Wachsamkeit auf.
Hell wach zu werden für Begegnungen innerhalb der Familie, an öffentlichen Plätzen, im Autobus und in der Straßenbahn, mit Nachbarn und Arbeitskolleg*innen oder am Krankenbett. Offen zu sein für Zuhören, für ein freundliches, ein tröstendes, ein aufmunterndes Wort.
Wachsamkeit in der Begegnung ermöglicht Heilung in Beziehungen und schafft neue Hoffnung, die in der Einsamkeit schlummert.
Unser Wegkreuz in Fall ist ein Ort der Begegnung – verschwiegen und geduldig, es trägt alle Last und erfreut sich jeder Dankbarkeit. Begegnung mit mir selbst in Gebet und Meditation. Begegnung mit Anderen, die einen Spaziergang genießen oder mit ihren Kindern Gottes schöne Natur bestaunen. Die sich sportlich ertüchtigen mit Laufschuhen, dem Fahrrad oder mit ihrem vierbeinigen Freund auf einem gemeinsamen Weg sind.
Seit kurzem hat der Steinkranz des Denkmales eine ganz besondere Bedeutung bekommen, hoffnungsvoll werden wundervoll bemalte Steine, Botschafter des Friedens darauf abgelegt, die im regen Austausch der wortlosen Begegnung Freude schenken.
Der alte Baumbestand rund um den Ort des Friedens schafft ein Gefühl der Geborgenheit, die Holzbank unter dem Kreuz lädt ein zur Rast, zum Verweilen. Sich auf ihr niederzulassen und sich einzulassen lehrt Gelassenheit.