Gedanken zum Stefanitag
Liebe Brüder und Schwestern!
Ich habe heute einen Stein mitgebracht. Ein Stein wie dieser ist vielleicht alleine geworfen zu klein, um damals bei der Steinigung des Heiligen Stephanus einen lebensgefährlichen Schaden hinterlassen zu haben. Aber nimmt man viele dieser Steine und wirft sie mit aller Wucht, dann kann das schon ein ziemlich grausamer Anblick werden. Und das ausgerechnet am Tag nach dem Weihnachtsfest! Es war doch gerade alles so schön! Weihnachtsschmuck, Lichterketten, ein kleines Kind in der Krippe. Leuchtende Kinderaugen unter einem schön geschmückten Christbaum. Und dann plötzlich: Blut, Gewalt, Tod. Man könnte sich jedes Jahr wieder fragen, warum der Gedenktag des Heiligen Stephanus genau am Tag nach Weihnachten gefeiert wird.
Vielleicht ist der Tag gerade deshalb so gewählt, weil eben nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen ist. Denn wir wissen genau, was mit diesem Kind in der Krippe passieren wird. Wir wissen genau, was es alles erleiden muss, bevor es seinen großen Triumpf – die Auferstehung – erleben darf. Hass, Gewalt, Verleugnung, ja und auch der Tod waren für Jesus nichts Unbekanntes. Er hat alles selbst durchlebt. Und dennoch hört man von ihm nie auch nur ein Wort gegen seine Feinde. Im Gegenteil. „Liebt eure Feinde“ – das ist es, was Jesus uns immer wieder predigt. Und auch Stephanus ruft es uns heute ins Gedächtnis. Auch von ihm hört man kein Wort des Hasses. Stattdessen: „Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht an!“ Welche Größe muss ein Mensch besitzen, um in seiner Todesstunde noch für die Menschen zu beten, die ihn da gerade umbringen wollen!
Ein Stein, der spricht nicht. Nicht von selbst. Aber ein fliegender Stein auf einen Menschen geworfen sagt sehr viel aus. Nun könnte man natürlich sagen: Puh, ein Glück, dass es bei uns heutzutage keine Steinigungen mehr gibt. Das überlassen wir lieber anderen Völkern und Religionen, die weit weg von uns sind. Mit denen wollen wir nichts zu tun haben. Steinigung, das ist gegen jede Menschenrechtsverordnung.
Aber – es müssen nicht immer nur Steine sein, die verletzen. Die wehtun, die nachhaltig schädigen. Auch ohne Steine steinigen wir Menschen: durch Nichtbeachtung, Vorurteile, Verleumdung. Es passiert jeden Tag. In Familien, der Nachbarschaft, in Büros oder Parlamenten. Und vor allem auch in den sozialen Netzwerken. Solche Steinwürfe bringen zwar niemanden direkt zu Tode, aber sie verletzen ungemein. Und wie schnell vergessen wir, wo wir als Steinewerfer andere treffen, oftmals ist es uns vielleicht nicht einmal bewusst.
Ein kleiner Stein. Der tut noch nicht viel. Aber immer mehr Steine mit voller Wucht auf einen Menschen werfen – das führt zu Verletzung, zu Gewalt, zu Tod. Machen wir es anders. Machen wir es wie Stephanus, wie Jesus. Hören wir auf mit dem Steinewerfen. Ein einziger kleiner Stein, der nicht geworfen wird, kann einen großen Unterschied machen.
Amen