13.-15. Jahrhundert |
Die Pfarre Reichenthal im Mittelalter
Historische Quellen zur Geschichte der Pfarre Reichenthal im Mittelalter haben sich im Pfarrarchiv nicht erhalten. Aus anderen Informationsquellen wissen wir aber trotzdem einige Dinge aus dieser Zeitepoche, die sicher niemals so „dunkel“ war, wie es allgemein behauptet wird. Die Entstehung eines organisierten Seelsorgeraums in Reichenthal wird in den Zusammenhang mit der Entstehung des Ortes selbst in Verbindung zu bringen sein. Hier war wahrscheinlich das frühe 13. Jahrhundert die entscheidende Phase, wo in unserer Gegend, d.h. im Nordwesten der sogenannten Riedmark, eine intensive Kolonisationstätigkeit vor sich ging, an der offensichtlich die böhmischen Rosenberger und ihre Lehensleute waren. Die Vorstellung einer modernen Grenze zwischen Österreich und Böhmen gab es damals noch nicht.
Die Pfarre Reichenthal war ursprünglich und bis ins 18. Jahrhundert hinein Filiale der Mutterkirche Waldburg, die ca. 1230 zum ersten Mal erwähnt wird. Man nimmt an, dass in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts eine zeitweise Verlegung des Pfarrsitzes nach Reichenthal stattgefunden hat. Dies könnte auch im Zusammenhang mit der Entstehung der Herrschaft Waldenfels zu sehen sein, die mit guten Gründen in diese Zeit passen würde und mit Waldburg zusammenhängen dürfte.
Die erste Nennung des Ortes Reichenthal datiert ins Jahr 1357, die Pfarre wird erstmals 1365 genannt. Im Jahre 1383 erfahren wir erstmals Konkreteres: Die Witwe Anna von Wald, Besitzerin von Waldenfels, stiftete für eine Wochenmesse auf dem von ihr in der Kirche Reichenthal errichteten St. Georgsaltar eine Geldabgabe von ihrem Gut in Kohlgrub, das ein Hänsel Jäger bewirtschaftete. Der Pfarrer oder sein Vikar sollen das Geld für die Messe (immer am Mittwoch) verwenden, bei Säumigkeit müssen diese dem Zechmeister (Verwalter der Kirchenkasse) für das Kirchenlicht „zur Strafe“ Wachs geben.
Zur Herrschaft Waldenfels gehörten als Rechte die Ausübung der Vogtei (Schutz) und des Patronates über die Kirchen Waldburg und Reichenthal, womit Rechte und Pflichten für die jeweiligen Herrschaftsbesitzer verbunden waren (Vorschlagsrecht für den Pfarrer, Verwaltung, Einkünfte etc.). Der Reihe nach waren dies zunächst rittermäßige Adelige wie die Waldburger, die niederösterreichischen Wald und Zinzendorfer, die Passauer Lehensleute Geiselberger und Hager und von 1396 bis 1449 die herrenmäßigen Starhemberger.
Über die inneren Zustände in der Pfarre, die wirtschaftlichen Verhältnisse, das Aussehen der Kirche usw. wissen wir aus dieser Zeit, die von zahlreichen kriegerischen Auseinandersetzungen an der böhmisch-österreichischen Grenze geprägt war (Fehden Adliger und die Hussitenkriege), nichts. In der folgenden Zeit ab dem späten 15. Jahrhundert wird dies anders, die Quellen fließen reichlicher und das Bild der Pfarre kann mit mehr Inhalt gefüllt werden.
(Orig. Pergamenturk. OÖLA Linz, Stadtarchiv Freistadt Urk. 1383 Mai 12; Ausschnitt)
[I]ch Anna, Herrn Otten von Wald saelig, dem Got gnad, wittib und all mein erben vergehen offenlich und tuen kunt mit dem brief umb den alter, den wier gestifft und auferhebt haben von unserm aigenhaften guet, daz uns got velihen hat, in der kirchen ze Reichental bei Waldenvels in den eren der heiligen Drivaltigchait, unser frawen Marie und doch sunderlich in eren des heiligen herren sand Jeorgen, in des nam wier in weichen haben lassen, daz wier auf denselben alter ein ewigen wochenmess gestifft haben, die man all wochen ainest an dem mitichen darauf sprechen sol, und haben darumb zu derselben mess gewidemt und geben einen yedem pharrer ze Reichental ain guet, gelegen auf der Cholgrueb in derselben pfarr, da zder zeit Haensel Jaeger aufgesezzen ist, da man iaerleichen von dyenet sechs schilling Wienner phenning ...
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16. Jahrhundert |
Die Pfarre Reichenthal in der Reformationszeit
Mit dem Begriff „Reformation“ (von lat. reformatio = Wiederherstellung, Erneuerung) bezeichnet man eine kirchliche Erneuerungsbewegung vom frühen 15. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts, die zur Spaltung des Christentums in verschiedene Konfessionen (katholisch, lutherisch, reformiert) geführt hat und u.a. mit dem Namen Martin Luther („95 Thesen“) eng verbunden ist. Im Land ob der Enns fielen die neuen Lehren und Ideen sehr rasch auf einen fruchtbaren Boden; v.a. beim Bürgertum und dem Adel fanden sie große Verbreitung. In Freistadt gab es schon in den 1520er Jahren eine Wiedertäufergemeinde (eine eher radikale reformatorische Gruppe), in Leonfelden dürften über Jahrzehnte protestantische Geistliche gewirkt haben und auch in Reichenthal war es kaum anders, denn die Besitzer der Herrschaft Waldenfels, die Polheimer (bis 1572), und ihre Nachfolger, die Stängl (bis 1636), waren eifrige Protestanten.
Im Jahre 1525 ereignete sich ein großer Bauernkrieg, bei dem soziale und wirtschaftliche Missstände und weniger die Religion die maßgebende Rolle spielten. Reichenthal war davon nur am Rand berührt, einzelne Untertanen beteiligten sich aber am Aufstand, wie ein Vermerk in einem Waldenfelser Urbarregister von 1537 über einen Caspar Ruesamer aus Schöndorf, der bestraft wurde, zeigt. Noch heute erinnert ein Stein am Eingang zur Schenkenfeldener Kirche an diese Bauernrevolte: „Das gepaw ist gemacht in der pawren krig 1525 W.H.“ Einen zweiten großen Bauernkrieg brachten die Jahre 1595–1597, in der die Herrschaft Waldenfels und die Gegend um Freistadt in hellem Aufruhr gestanden ist. Das Problem waren die oftmals überhöhten Abgaben und Dienste, die an die Herrschaften abzuliefern waren. Der Kampf um religiöse Ideen geriet da schnell in den Hintergrund, v.a. bei den Herrschaftsbesitzern, deren Schlösser belagert wurden.
Diese Zeit war jedoch keineswegs nur eine Zeit des Niedergangs. Unter den Polheimern kam es zu der großartigen und viel beachteten Kirchengestaltung mit dem berühmten Flügelaltar in Waldburg. Über die Kirche in Reichenthal wissen wir noch wenig, aber immerhin den Namen eines ersten Pfarrers zum Jahr 1526: Thomas Schwandtner zeichnete als Pfarrer von Waldburg die Einkünfte seiner Pfarre Waldburg mit der Filialkirche Reichenthal auf. Nur noch zwei weitere Pfarrer kennen wir aus dem 16. Jahrhundert: Bartholomäus Schinnagl (um 1550) und Daniel Cnuppius (1590–1603).
Im Jahre 1507, am 27. Juni, wurde die Kirche Reichenthal (mit ihr ein Altar und der, wie es heißt, „alte“ Friedhof) neu eingeweiht, was auf einen Umbau und/oder Erweiterung einer älteren Kirche hinweist. Im Jahr 1871 (also vor unserer jetzigen Kirche) konnte man noch das aus der Zeit um 1500 erhaltene Presbyterium (alle anderen Teile sind jünger) beschreiben, „das aus einer Vierung und aus dem von fünf Seiten des Achtecks gebildeten Chorschluss gebildet wird. Die Gewölberippen des nach aussen durch Strebepfeiler gestützten Presbyteriums ruhen auf Halbsäulen, die an den Wänden herablaufen; in der Vierung wie im Chorschlusse rankengezierte Schlusssteine.“
Grundriss der Kirche (um 1871) mit noch erhaltenem spätmittelalterlichem Presbyterium (links) (Abb. Pfarrchiv).
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17. Jahrhundert |
Die Pfarre Reichenthal zur Zeit der Gegenreformation
Zur Zeit der sog. Gegenreformation versuchte die katholische Kirche im Zuge des Konzils von Trient seit etwa 1545, den sich etablierenden Protestantismus, auch mit Hilfe des von ihr gestützten katholischen Kaisers zurückzudrängen; daneben gab es aber auch nach innen Reformbestrebungen (Katholische Reform). In der Pfarre Reichenthal wurde dies schlagend, als der kaiserliche Reformationskommissar Konstantin Grundemann im Jahre 1636 die Herrschaft Waldenfels von den evangelischen Stangl kaufte. Für den protestantischen Bevölkerungsanteil bedeute dies nun: Bekenntnis zur katholischen Religion oder Auswandern mit Verlust des Besitzes. Nun wurde genau Buch geführt, z.B. 1640: „Hans Raindtmayr, Zimmergeselle aus Lahrndorf, hat sich zur hl. katholischen Beichte und Kommunion nur einmal eingestellt, ist aber hernach samt seinem Weib heimlicherweis hinauf ins Reich gezogen und hat sich allda wiederum auf lutherisch speisen lassen und ist also von der hl. alleinseligmachenden kath. Religion wieder abgefallen.“ Die Pfarre Reichenthal soll – Genaues weiß man nicht – gespalten gewesen sein: Stiftung und die umliegenden Dörfer wären demnach katholisch, Reichenthal und Liebenthal evangelisch gewesen, und ein „Protestantensteig“ soll über das Niederholz zum Schloss geführt haben. Noch Mitte des 18. Jh.s emigrierten Untertanen nach Siebenbürgen, so manche „im Irrglauben halsstarrig verharrende, dem heil. Misssionswerk sehr gefährliche und nachteilige Person“ saß vereinzelt noch im Schlosskerker.
Nicht von ungefähr kommt es, dass im Jahre 1637 in der Pfarre Reichenthal die Tauf-, Trauungs- und Sterbebücher einsetzen. Nicht lange danach wurde ein Pfarrhof gebaut (1665; vgl. den Türstein am Alten Pfarrhof) und wohl der Status der Pfarre Waldburg als Mutterkirche von Reichenthal de facto zurückgedröngt. Auch die Namen von Priestern aus dieser Zeit kennen wir: 1619-1627 Georg Vogel, der ein evangelischer Prädikant gewesen sein dürfte, ca. 1627 Gregor Crisp. Weigetsperger, der während der Bauernunruhen in Freistadt Zuflucht gesucht hatte, ca. 1636 Johann Georg Linzerer und 1636-1663 M. Stephan Bentz.
Es war dies eine unruhige Zeit, so ereignete sich, besonders auch in der Umgebung von Reichenthal, ein großer Bauernkrieg (1636; u.a. Schlacht beim Miesenwald). In vielen Teilen Europas tobte der Dreißigjährige Krieg (1618-1648).
Totenbuch (1637-1676) der Pfarre Reichenthal (Pfarrachiv)
1637
Den 15. tag Maij ist Hanßen Aichberg(er) im aigen Reichenthaal ein Kind gestorben.
Den 3. Junij ist des Michael Schräml mensch od(er) thirn zu Liebenthaal gestorben.
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18. Jahrhundert |
Die Pfarre Reichenthal im 18. Jahrhundert
Das 18. Jahrhundert gilt als der Beginn eines modernen Zeitalters, Schlagworte wie absolutes Regieren der Fürsten, Aufklärung und Französische Revolution prägen die geistige und politische Geschichte in dieser Zeit. In Österreich herrschten nach wie vor die Habsburger, Kaiserin Maria Theresia und ihr Sohn Joseph II. führten Reformen im Schulwesen (Schulpflicht), in Bezug auf religiöse Toleranz, Verwaltung und Rechtswesen ihres riesigen Staates durch. Das Leben für die einfache Bevölkerung auf dem Land war hart, der Höhepunkt der sog. „Kleinen Eiszeit“ (um 1750) traf die Bauern besonders. Eingebettet in den Kreislauf des Arbeits- und Kirchenjahres meisterten sie den Alltag „zwischen Gott und der Welt“.
Abgesehen von älteren Kirchenmatriken beginnen erst jetzt im Pfarrarchiv die geschichtlichen Quellen zu fließen. So finden wir nun erste chronikalische Nachrichten über diese Zeit in der Pfarrchronik, Unterlagen über fromme Stiftungen und besonders Akten und Bücher über die Kirchenvermögensverwaltung. Wie heute musste schon damals jährlich Rechnung über die Finanzgebarung der Pfarre gelegt werden („Kirchenrechnung“). Die Pfarre mit ihrer Pfründe war ein Wirtschaftskörper, der auch mit Geld- und Naturaldiensten einer bestimmten Zahl von Untertanen der Herrschaft Waldenfels versorgt wurde. Eine ganze Reihe von Verzeichnissen über diese „Steuern“ haben sich erhalten (sog, „Zehentregister“). Schriftgut wie Kirchenstuhlregister, Kircheninventare, Kommunikantenberichte weisen auf den Bereich des Kirchengebäudes und der Seelsorge hin. Verordnungen vom Landesfürsten und des Bischofs wurden gesammelt und auf pfarrlicher Ebene umgesetzt, wie zahlreiche „Zikulare“ und „Kurrenden“ zeigen.
Das 18. Jahrhundert brachte nun auch die rechtliche Durchsetzung des (schon länger de facto bestehenden) Pfarrstatus gegenüber der eigentlichen Mutterkirche Waldburg mit sich; nach Waldburg kam nur alle 14 Tage ein Kaplan aus Reichenthal, was zu einigen Differenzen führte. 1784 wurde der Status Waldburgs als Lokalie verbessert, erst 1859 erhielt es wieder einen eigenen Pfarrstatus. In diese Zeit fällt auch die endgültige Fixierung der Reichenthaler Pfarrgrenzen. Nach dem Kriterium der raschesten Erreichbarkeit wurden Häuser anderer Pfarren (aus St. Peter Häuser aus Vierhöf und Schwarzenbach, aus Rainbach solche aus Stiftung und Eibenstein, aus Schenkenfelden eines aus Miesenbach, aus Hirschbach eines aus Thierberg, aus Oberhaid zwei aus Allhut, aus Waldburg solche aus Lahrndorf und Schöndorf) der Pfarre Reichenthal zugeschlagen – womit ein gut abgerundetes Pfarrgebiet mit einer im Zentrum liegenden Kirche entstand.
Über die nun in geschlossener Reihe bekannten Pfarrer dieser Zeit soll in einem künftigen Kapitel gehandelt werden.
Seite aus einer Kirchenrechnung von 1773, feinsäuberlich in ein Buch geschrieben. Später bediente man sich gedruckter Formulare, heute übermittelt man die Daten in elektronischer Form ... .
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19. Jahrhundert |
Die Pfarre Reichenthal im 19. Jahrhundert
Das 19. Jahrhundert wird manchmal auch als „langes 19. Jahrhundert“ bezeichnet – als Epoche zwischen der Französischen Revolution 1789 und dem Beginn des 1. Weltkriegs 1914. Die Industrialisierung setzte umwälzende gesellschaftliche Veränderungen in Gang, die Nationalstaaten kamen auf, die Städte wuchsen, neue Verkehrsmittel wurden erfunden, das Bürgertum und die Arbeiterschaft entfalteten sich, der Adel verlor an Bedeutung. Für die Landbevölkerung war die Aufhebung der Untertänigkeit 1848 ein bedeutendes Ereignis, die politischen Ortsgemeinden wurden eingeführt, Bezirkshauptmannschaften eingerichtet uvm.
Die Pfarre Reichenthal und die Herrschaft Waldenfels blieben aber weiterhin noch durch das Patronat verbunden, im Pfarrarchiv finden sich daher noch viele Dokumente, die das Siegel der „Vogtei Waldenfels“ tragen, z.B. Inventare der ganzen Pfarrpfründe mit genauen Beschreibungen der Gebäude (Kirche, Pfarrhof), Grundstücke, Einnahmen, Schulden, Stolgebühren und: schöne Listen, was sich alles an Dokumenten im Pfarrarchiv, das es natürlich schon damals gab, findet. Um den Überblick über die Pfarrbevölkerung zu behalten, legte man „Seelenbeschreibungen“ an, heute würde man wohl „Katholikendatei“ dazu sagen. Weiterhin sind viele Stiftbriefe erhalten, denn auch im 19. Jahrhundert waren Mess-Stiftungen oder Stiftungen für bestimmte Einrichtungen recht beliebt. Eine solche Einrichtung war etwa das „Pfarrarmeninstitut“, das Kaiser Joseph II. 1783 generell einführte und wichtige Funktionen der örtlichen Fürsorge erfüllte. Darüber berichten v.a. die zahlreich dazu erhaltenen Rechnungsakten. Da seit 1885 die Pfarrer verpflichtend Pfarrchroniken zu führen hatten, werden auch in dieser Hinsicht die Unterlagen dichter. Schon früher hat sich Pfarrer Augustin Swoboda, auf diesem Feld betätigt und 1820 zwei historische Journale verfasst, dazu wichtige Rechtsdokumente abgeschrieben. Die Reihe der Pfarrer, über die sich nun auch „Personalakten“ erhalten haben, war im 19. Jahrhundert folgende: Joseph Ortner (1787-1808), ein Lahrndörfler, Ignaz Grünewald (1806-1813), Augustin Swoboda (1814-1847), Karl Schwarz (1847-1850), Franz Schimbeck (1850-1860), Wolfgang Reichl (1882-1905) – über sie alle soll eigens berichtet werden.
Das wichtigste Ereignis der Pfarrgeschichte war der Neubau der bereits viel zu klein gewordenen Pfarrkirche, deren Neuerrichtung ein enormes finanzielles und organisatorisches Projekt darstellte. Dementsprechend dick ist das einschlägige Aktenfaszikel, das die „Bauakten“ sammelt: Ein Kirchenbaufonds wurde gegründet (1861), Kostenvoranschläge eingeholt, Pläne gezeichnet, Rechnungen bezahlt. So wurde 1890 der Spatenstich und ein Grundstein gelegt (heute rechts neben dem Sakristeieingang zu sehen), schon 1894 war das Gotteshaus so weit fertig, dass Bischof Doppelbauer die Kirchweihe vornehmen konnte. Viel war dabei dem Beharren des Pfarrers Wolfgang Reichl zu danken, der auch die Schulkinder beim Bau einspannte – in den Emporen wurde dieser Fleiß bildlich festgehalten, wie heute vielleicht nicht mehr jeder weiß. 1895 wurde die Orgel geweiht, 1899 der erweiterte Friedhof, den man schon ein paar Jahrzehnte früher ganz neu angelegt hatte und ebenfalls in diesem Jahr der neue Hochaltar, wie wir ihn heute kennen. Eine großartige Kirche war entstanden!
Situationsplan der neuen Kirche 1886 (schraffiert über den alten Gebäuden).
Aus einer „Seelenbeschreibung“ von 1872, wo häuserweise die Bewohner abgezählt und beschrieben wurden (Eltern, Kinder, Dienstboten, Alter ...).
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20. Jahrhundert |
Die Pfarre Reichenthal im 20. Jahrhundert
Mit dem 20. Jahrhundert nähern wir uns dem Bereich der sogenannten „Zeitgeschichte“, das ist jene Epoche, die zumindest ein Teil der heutigen Zeitgenossen noch miterlebt hat. Die großen Ereignisse waren der Erste Weltkrieg 1914–1918, der anschließende Zusammenbruch der Habsburgermonarchie, das Entstehen totalitärer Ideologien mit dem folgenden Zweiten Weltkrieg 1939–1945 und dem Holocaust, der Kalte Krieg, der Europa durch den Eisernen Vorhang trennte, der Aufbau der EU, schließlich die Öffnung nach Osten 1989/90 und aktuell die Automatisierung durch Computer und Elektronik mit einer rasanten Entwicklung der Informations- und Internetgesellschaft durch Massenmedien und soziale Netzwerke (Facebook u.a.).
Auf der Pfarrebene war das Leben der Menschen zunächst noch von intensiver Glaubenspraxis und Frömmigkeit geprägt, das katholische Vereinswesen erlebte vor 1938 eine Blütezeit. So gab es den Katholischen Volksverein, eine (Marianische) Frauenkongregation, den Burschenverein und einen Christlich-deutschen Gesangsverein. Exerzitien wurden gepflegt, so im Mai 1929 zum ersten Mal 4-tägige „Burschenexerzitien“ im Haus der Marienschwestern, die seit 1907 den Kindergarten im ehemaligen „Gilhoferhaus“ (heutiger neuer Pfarrhof) führten. Die Männer folgten im gleich Anschluss, schon ein Jahr vorher gab es dieses Angebot für Mädchen und Frauen, die nun jedes Jahr – meist 50 bis 70 Personen – unter Anleitung diese geistlichen Übungen durchführten. Schwierig und traurig zugleich war die Situation für viele Familien, die in den Kriegen Angehörige verloren (31 Opfer im Ersten, 92 im Zweiten Weltkrieg) – seitlich beim Haupteingang in der Kirche wird ihrer bis heute gedacht, auch die Pfarrchronik ist voll von ihren Todesnachrichten Gefallener.
Für die Geschichte unserer Kirche ist erwähnenswert, dass 1917 und 1942 kriegsbedingt die Glocken abgenommen werden mussten, 1925 das Presbyterial- und das Kriegerfenster errichtet wurden, 1936 das elektrische Licht Einzug hielt. In diesem Jahr war bereits Josef Glöckl (geb. 1893) Pfarrer, der auf Ignaz Pötscher (1922–34) gefolgt war. Erst 1973 wurde Glöckl von Anton Renauer abgelöst und war noch lange, bis zu seinem Tod 1988, als Seelsorger in Reichenthal tätig. Ein Jahr zuvor, 1987, war mit Ernst Grundemann übrigens der letzte Patronatsherr verstorben, womit eine zweite prägnante Persönlichkeit die geschichtliche Bühne verließ.
Nach dem Krieg änderte sich Vieles, 1945 wurde eine Kath. Jugend aufgebaut, 1974 die Jungschar gegründet. Die Mitwirkung der Laien in der Gestaltung des Pfarrlebens erfuhr durch die Einführung des Pfarrgemeinderates 1973/74 eine neue Dimension, die sich im Zuge des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962–65) mit einer in die Moderne aufbrechenden Kirche herausbildete. Viel wurde nun unter Pfarrer Renauer an der „neuen Kirche“ gebaut, nicht nur sprichwörtlich: In dieser Zeit riss man den Stall beim alten Pfarrhof ab (1976), deckte das Kirchendach neu (1974), baute ein elektrisches Geläute ein (1975) und renovierte die Fassaden (1976), baute die Aufbahrungshalle (1978), errichtete die Heimatvertriebenen-Gedenktafel (1983) und erneuerte das Kircheninnere (1984).
Die jüngste Zeit wird bald ebenso zu Geschichte werden. Welche Pfarrgeschichte die Zukunft schreibt, liegt an uns Menschen, die sie gestalten, eben „mitbauen“ – jeder für sich und im gemeinsamen Tun haben wir täglich aufs Neue die Chance dazu. Nutzen wir sie!
Kath. Pfarrjugend 1949
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