Im Jahr 1765 waren die Grenzsteine zwischen dem Hochstift Passau und dem Herzogtum Österreich quer durch die Pfarre Gottsdorf gesetzt worden. Fürstbischof Leopold Card. Firmian und Kaiserin Maria Theresia hatten sich auf diese Grenze gütlich geeinigt. Zehn Jahre später stellte die „allergnädigste Monarchin“ das Ansuchen an den Passauer Fürstbischof, er möge die österreichischen Gebiete aus seinen Pfarreien ausgliedern, damit sie österreichischen Pfarreien eingegliedert werden könnten. Das Ansinnen betraf die passauischen Pfarren Gottsdorf und Wegscheid, die einen bedeutenden Anteil an österreichischen Untertanen besaßen.
Der Pfleger von Rannariedl, Franz Xaver Lötsch, erhob Einspruch, weil es wegen Entlegenheit nicht möglich sei, die österr. Untertanen schon bestehenden Pfarren zuzuteilen und regte deshalb an, sowohl im Schlosse Rannariedl als auch zu Oberkappel eigene Seelsorger anzustellen.
Die Pfarrer von Wegscheid und Gottsdorf aber wandten sich gegen ein solches Vorhaben,
das keine seelsorgliche Verbesserung bringen, sondern nur Kosten verursachen würde und von den Leuten gar nicht gewünscht werde. Weiters argumentierte der Pfarrer von Gottsdorf,
„dass der Rannafluß über die ganze Pfarrlänge hin eine Grenze zu Oberkappel ist, über welche bei anhaltendem Regen oder losbrechendem Eis ohne Lebensgefahr nicht zu kommen ist und wirklich aus Gelegenheit des Kirchganges schon etliche Personen ertrunken sind.“ Ein eigenes Vikariat in Rannariedl lehnte er ab, weil „ohnehin alle Sonn- und Feiertage daselbst eine heilige Messe gelesen und alle Sonntage eine christliche Unterweisung und Unterrichtung der Jugend abgehalten werde.“ Das bedeutendste Gegenargument war wohl die finanzielle Lebensunfähigkeit der neuen Vikariate und die Gefährdung der alten Pfarren in ihrem wirtschaftlichen Bestand, wenn die österreichischen Gebiete abgetrennt würden. Zudem sei in Rannariedl kein Pfarrhof vorhanden. Die vormals vom Herrn Grafen von Clam seinem Schlosskaplan eingeräumte Wohnung sei einem Geistlichen, der eine eigene Wirtschaft führen müsste, nicht angemessen. Außerdem sei für einen anzustellenden Mesner oder Schulmeister kein Unterhalt vorhanden.
Es ging um 151 Häuser unserer Gemeinde, die aus Gottsdorf ausgegliedert werden sollten:
Rannariedl: 3; Rannamühle: 1; Kramesau: 1; Schattenthal: 3; Oberufer: 1; Hochwurz: 1;Dorf: 18; Hochstraß 3;
Pühret: 3; Lacken: 3; Preinmühle : 2; Eitzendorf : 9; Maisreith : 6; Au: 2; Grub: 7; Edt: 2; Großmollsberg: 11; Kleinmollsberg 5; Haizendorf: 5; Leithenmühl: 2; Neustift: 37; Oberaschenberg: 6; Unteraschenberg: 6; Hengstberg: 2; Langmühl: 2; Grubberg: 1; Kappelhäusel: 2; Hochmühl: 1; Horsthäusel: 1; Dietmannsdorf: 4; Raschmühl: 1.
Pfleger Lötsch wurde beauftragt zu erheben, wie weit die Ortschaften von Rannariedl und Oberkappel entfernt sind, danach sollten die Ortschaften später den neu errichteten Pfarreien zugeteilt werden. Aber Kardinalbischof Firmian konnte bis zu seinem Lebensende die Ausgliederung der Dörfer aus der Pfarre Gottsdorf verhindern.
Aus den Dokumenten vom 13. Oktober 1775 ist ersichtlich, daß die Schloßkapelle Rannariedl nicht bloß Privatkapelle der Burgherren war, sondern offenbar von den umliegenden Orten (Rannamühl, Kramesau, Schattenthal, Oberufer, Dorf, Hochstraß , Lacken und Pühret) als Gottesdienststelle genutzt wurde, wobei sogar die Christenlehre erteilt wurde - sie war also Seelsorgsstelle! Damit war es auch nicht nötig, dass die Bewohner dieser Orte den weiten Pfarrweg nach Gottsdorf auf sich nahmen, da der Vikar von Gottsdorf ohnehin zu ihnen nach Rannariedl kam. Bischof Firmian konnte mehrmals darauf verweisen, dass „die Pfarrholden mit dieser Situation höchst zufrieden seien.“ Maria Theresia achtet den Einspruch des Kardinal Firmian, zumal dieser nicht nur zu ihren Ratgebern zählte, sondern auch mit ihrer Hilfe Fürstbischof von Passau geworden war.
Fürstbischof von Passau: Leopold Ernst Cardinal Graf von Firmian:
In unserer Gemeinde stehen mehrere Wegweiser mit der Aufschrift „Bischof Firmian Weg“. Mit Verlaub ist zu sagen, dass er selbst diese Beschilderung wohl als Herabsetzung empfunden hätte. Einen Kardinal, der zugleich Fürst des römischen Reiches war und gleichberechtigt zwischen anderen Fürsten und Königen saß, betitelt man nicht einfach bloß als Bischof. Leopold Ernst stammte aus der vornehmen Tiroler Familie der Grafen von Firmian. Sein Onkel Leopold Anton von Firmian war Fürsterzbischof von Salzburg. Leopold Ernst wurde von den Jesuiten erzogen; 1723 wurde er Domherr in Passau, später auch in Salzburg und Trient. Mit 31 Jahren wurde er Bischof von Seckau. Sein ehrgeiziges Ziel wäre der erzbischöfliche Stuhl in Salzburg gewesen. Mit Hilfe Maria Theresias erlangte er schließlich 1763 das Fürstbistum Passau. Als Bischof bemühte sich um eine gute Ausbildung der Priester und visitierte in kurzer Zeit alle seine Pfarreien, als Fürst errichtete eine Pensionskasse für seine Hofbediensteten und unterstützte seine Untertanen großzügig während einer zweijährigen Hungersnot. 1765 schloß er den Staatsvertrag mit Österreich, der an früherer Stelle schon mehrmals besprochen wurde. Die äußere Krönung seines Lebens war seine Ernennung zum Kardinal im Jahr 1772. Als Fürst pflegte er durchaus einen barocken Lebenswandel und war begeisterter Jäger. Die Mühlviertler Bauern empfanden ihn als harten Jagdherren. Sein Jagdschloss in Schöffgattern bei Mollmannsreith, das heute ein Bauernhaus ist, erinnert noch an den Jäger Firmian. Auch in der zur Herrschaft Rannariedl gehörenden Ortschaft Vorderwollaberg errichtete er sich ein Jagdschlösschen und ließ dort einen Fasangarten anlegen.
Unsere Kirche bewahrt ebenfalls ein Erinnerungsstück an den letzten für Rannariedl zuständigen Passauer Bischof auf: ein Barockkelch mit der Fußgravour: „Leopold Ernst Card. Graf von Firmian 1781“. Dieser Kelch war wohl ein Geschenk an die Schloßkapelle Rannariedl gewesen.
In den letzten Lebensjahren mußte sich Kardinal Firmian neulich mit der Abtrennung der österreichischen Gebiete aus seinen Pfarreien auseinandersetzen, denn Maria Theresias Sohn, Kaiser Joseph II., kannte keine persönlichen Rücksichten auf den Passauer Fürstbischof. Ende 1782 erreichte Oberkappel die Auspfarrung aus Wegscheid. Daraufhin verlangte die Wiener Regierung die Auspfarrung aller österreichischen Untertanen aus der Pfarre Gottsdorf. Am 31. Jänner 1783 erging vom Mühlkreisamt der Befehl, bis zur Gründung der Expositur Rannariedl mehrere Ortschaften nach Oberkappel zuzuteilen.
Da sowohl der Kirchweg nach Oberkappel als auch in die Schlosskapelle Rannariedl weit und beschwerlich war, wollten viele bei der alten und näher gelegenen Pfarre Gottsdorf verbleiben. Sie argumentierten, daß die geistlichen Herren von Gottsdorf bis jetzt ganz hervorragend für dieses Gebiet gesorgt hätten und es noch nie vorgekommen sei, dass ein Kranker oder Sterbenden ohne priesterlichen Beistand geblieben ist. Um eine Zuteilung der Rannariedler Dörfer nach Oberkappel zu vereiteln, stellte der Pfleger von Rannariedl, Franz Xaver Lötsch, am 22. Februar 1783 einen ständigen Geistlichen für die Schlosskapelle Rannariedl an, den Zisterzienser Pater Alberik Mayr aus dem Stift Engelszell, der später Kurat von Rannariedl werden sollte.
Am 13. März 1783 starb Fürstbischof Kardinal Firmian. Noch am selben Tag ritt der Pfleger von Schärding los nach Wien um Kaiser Joseph II. die Todesmeldung zu überbringen. Als er am 15. März in Wien ankam, nutzte Joseph II. die Gunst der Stunde, da Passau ohne Bischof war, und ordnete sofort die Abtrennung der österreichischen Gebiete aus der Diözese Passau an.
Am 24. März 1783 beschloss der Passauer Geistliche Rat die Auspfarrung von 13 Rannariedler Dörfern (inkl. Neustift) mit 864 Seelen aus Gottsdorf und am 31. Juli 1783 gab das regierende Domkapitel in Passau seine Zustimmung dazu.
Rannariedl gehörte nun zur ebenfalls im März neu errichteten Diözese Linz. Die Untertanen dankten es dem Kaiser schlecht und drängten mit übertriebenen Entfernungsangaben abermals darauf, bei Gottsdorf verbleiben zu dürfen. Im Juli machte der Kaiser das Zugeständnis, dass österreichische Untertanen bei der passauischen Pfarre verbleiben könnten, wenn eine inländische nicht in der Nähe wäre. Am Bestand der neu errichteten Expositur Rannariedl ließ er aber nicht rütteln.
Rannariedl - Pfarre ohne Kirche und Schule ?
Damit war Rannariedl aber eine Pfarre ohne Kirche und Schule. Gewiss war es naheliegend, die Schlosskapelle als Pfarrkirche zu nehmen. Aber dagegen sprach ein anderer kaiserlicher Erlass, dass niemand weiter als eine Stunde in seine Kirche zu gehen haben solle. Rannariedl war also zu abgelegen. Dasselbe galt für den größten Ort Neustift. Er war genauso abgelegen für die südlichen Dörfer. Den Unterschied machte wohl die Tatsache, dass eben im Schloss bereits eine Kapelle sich befand, die „nichts kostete“. Das hatte mehr Gewicht als die Entfernung.
Hätte man damals eine neue Kirche an zentralem Ort gebaut, hätte der größte Grundbesitzer die finanzielle Hauptlast des Kirchenbaus tragen müssen und das wäre die Herrschaft Rannariedl gewesen. Inhaber der Herrschaft war bis 1803 immer noch der Fürstbischof von Passau als Grundeigentümer.
Es wäre aber wohl zu viel verlangt gewesen, hätte er seinem geraubten Pfarrgebiet auch noch eine Kirche finanzieren müssen. Deshalb hat sein Pfleger in vorausschauender Klugheit dem Kaiser Josef II. die Schlosskapelle unentgeltlich überlassen, als Draufgabe dazu das alte Pflegerstöckl, das nicht benutzt wurde, weil der Pfleger ohnehin in Altenhof saß. Es war groß genug für eine Schule, Lehrer- und Pfarrerwohnung. Und schließlich bot der Pfleger noch eine völlig wertlose Waldparzelle als Friedhof an, der für eine Pfarre nötig war. Alles unentgeltlich und großzügig !? Aber diese Großzügigkeit hatte einige große Nachteile für die Pfarre, wie sich erst im Nachhinein herausstellen sollte:
Das bedeutete für die junge Pfarre, dass sie über Nacht zwar alle für eine Pfarrei nötigen Gebäude und Einrichtungen überlassen bekam, aber für deren Erhaltung alleine sorgen musste ohne auf den Beitrag des reichsten Pfarrbewohners, der Herrschaft Rannariedl, zurückgreifen zu können.
Die hatte sich für alle Zeiten und Nachfolger frei gekauft. Damit hatten sich die Pfarre und später die Gemeinde Rannariedl eine gewaltige Last aufgebürdet, die sie kaum tragen konnten. Und am Ende gehörte ihnen gar nichts. Nur die Frage der Erhaltung des Seelsorgers hatte sich inzwischen gelöst. Kaiser Joseph II hatte eine große Anzahl von Klöstern und Stiften aufgehoben, deren Besitz kassiert und aus diesen Einnahmen den „Religionsfond“ errichtet. Aus diesem Fond wurden auch die Pfarrer und Schulmeister von Rannariedl bezahlt. Ebenso musste der Religionsfond die jährlich entstehenden Schulden der Pfarre abdecken, wenn weder Pfarre noch Gemeinde zahlungsfähig waren. Es war schließlich Pfarrer Petrus Hödlmoser, der erkannte, dass mit der Schlosskapelle die Pfarre nicht zu retten sei, wenn es nicht gelingt, an einem zentraleren Ort eine gemeinsame Kirche zu bauen, die den seelsorglichen Verpflichtungen und Ansprüchen entsprechen würde.