Gedächtnis der Gottesmutter Maria
Predigt Fünfter Fastensonntag, 6.4.2025
Perikopen: Phil 3,8-14 Joh 8,1-11
Liebe Brüder und Schwestern im gemeinsamen Glauben!
Jesus hat nicht geschrieben, nur ein einziges Mal, nämlich im heutigen Evangelium von der Ehebrecherin. Da hat er in den Sand geschrieben. Was hat er da geschrieben? Es gibt eine theologische Deutung aufgrund eines Zitates aus dem Buch Jeremia, nach dem alle, die sich von Gott entfernt haben in den Staub geschrieben werden. Mir gefällt eine Deutung, die etwas weniger theologisch ist. Besser. Bei ihr möchte ich heuer stehen bleiben. Indem Jesus sich bückt und auf die Erde schreibt lenkt er die Blickrichtung auf den Boden. Jesus lenkt den Blick auf den Boden der Tatsachen, auf den Boden der Realität und das auf dreifache Weise.
Erstens: Jesus holt die Ankläger, die Schriftgelehrten und Pharisäer, auf den Boden der Realität. Diese hängen einerseits die Ehebrecherin hin, die freilich etwas getan hat, was nicht in Ordnung ist. Sie wollen sie bloßstellen. Andererseits wollen sie Jesus in eine Falle locken. Die Rechtslage ist eindeutig. Auf Ehebruch steht Steinigung. Hilft Jesus der Ehebrecherin, können sie ihm vorhalten, dass er sich nicht an das jüdische Gesetz hält. Hilft er ihr nicht, dann ist es wohl um seine Botschaft vom liebenden und barmherzigen Gott auch nicht so weit bestellt. „Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster ein Stein.“ Das sind die einzigen Worte Jesu. Vorher und nachher tut er nichts anderes, als auf die Erde schreiben, das heißt auf den Boden der Realität holen. Nach und nach gehen sie weg. Jesus hat die Ehebrecherin nicht verurteilt, und den Anklägern hat er einen klugen Rat gegeben: „Kommt auf den Boden der Tatsachen. Gesteht euch selber und den anderen Menschen ihre Unvollkommenheit zuerst einmal zu. Bleibt im Umgang mit anderen Menschen und mit euch auf den Boden der Tatsachen. Seid nachsichtig, seid barmherzig.“ Wir wissen nicht, ob die Pharisäer den Rat Jesu beherzigt haben. Der Evangelist sagt uns nur, dass sie nachdenklich weggegangen sind. Vielleicht würde so manch ernsthaftes Nachdenken über unser Leben, und das ist es, was viele Menschen überhaupt nicht mehr können – über das Leben Nachdenken- uns auf den Boden der Realität zurückholen.
Zweitens: Jesus holt die Angeklagte, die Ehebrecherin, auf den Boden der Realität. Jesus redet mit der Frau unter vier Augen. Er tut es nicht in der Öffentlichkeit. Wie viele Konflikte werden oft in der Öffentlichkeit ausgetragen, beziehungsweise nicht einmal richtig ausgetragen, sondern beredet und besprochen. Jesus sagt: „Geh und sündige von nun an nicht mehr.“ Unter vier Augen holt er sie auf den Boden der Tatsachen zurück. Er fordert die Frau nicht zu einem komplett fehlerfreien verhalten auf. Das bringt kein Mensch zusammen. Er fordert auf zu einem ehrlichen Bemühen Fehler zu vermeiden. Ehrliches Bemühen! Das meint Ehrlichkeit, d.h. zur Wahrheit stehen, auch zur Wahrheit des Lebens. Und Bemühen, und das hat mit Mühe zu tun, mit Arbeit an mir selber. Wir müssen schon an unseren Schwachstellen arbeiten.
Drittens: Auf dem Boden der Realität, heißt auch sich der Sünde stellen. Sündhaftes Verhalten begleitet in irgendeiner Form unser Leben. Das ist so. Vielleicht braucht es eine neue Klärung des Begriffs „Sünde.“ Dieses Wort haben viele von uns, auf Grund der fehlenden klärenden Vermittlung, in ihre persönlichen, sprachlichen Archivschränke versperrt und wollen damit nicht mehr belästigt werden. Das Wort ist unzeitgemäß, nicht mehr modern und gehört aus unserem Sprachschatz gestrichen, wird vielerorts argumentiert. Doch was ist damit eigentlich gemeint? Sünde meint das Absondern, das Sich-Lossagen von den Menschen und damit von Gott. Dietrich Bonhoeffer schreibt dazu in „Gemeinsames Leben“ (1938): „Die Sünde will mit dem Menschen allein sein. Sie entzieht ihn der Gemeinschaft. Je einsamer der Mensch wird, desto zerstörender wird die Macht der Sünde über ihn, und je tiefer wieder die Verstrickung, desto heilloser die Einsamkeit. Sünde will unerkannt bleiben. Sie scheut das Licht. Im Dunkel des Unausgesprochenen vergiftet sie das ganze Wesen des Menschen.“ Dieser Gedanke mit dem Alleinsein erscheint mir wichtig. In unserem Körper erkennen wir die „Vergiftungserscheinungen“ relativ rasch, am Tag nach einer Feier, an der es Maßlosigkeit von Essen und Trinken gab. Doch auch unsere Seele zeigt diese „Vergiftungen“, beispielsweise, wenn wir zumeist missmutig gelaunt sind, wenn wir an Herausforderungen unzufrieden herangehen, wenn wir des Lebens überdrüssig geworden sind, weil wir keinen Sinn mehr darin erkennen können, wenn wir uns in die Einsamkeit zurückziehen und mit niemandem mehr Kontakt haben wollen, wenn wir die Schuld bei anderen suchen, wenn wir permanent mit allem Möglichen unzufrieden sind und vielem anderen mehr. An dieser Stelle möchte ich wieder einmal über das Sakrament der Versöhnung sagen. Man will es nicht hören und man braucht es nicht mehr, das weiß ich, aber zumindest einmal im Jahr, in der Fastenzeit sei doch etwas dazu gesagt. Das Sakrament der Versöhnung möchte uns aus der Verstrickung dieser Absonderung von Gott herausholen, und zwar nicht, weil der Priester uns das sagt, sondern weil Gott selbst es ist, der uns stellvertretend durch den Priester diese Versöhnung zuspricht. Wir entlasten unsere Seele mit dem mühevollen Leid, das auf ihr liegt und können dann, durch die Gnade dieses Sakramentes, mit einem neuen Empfinden die nächste Etappe unseres Lebens meistern. Die Beichte ist nichts Geringeres als die Zusage des liebevollen, von Gott geschenkten Lebens auf Zukunft hin. Dazu braucht es aber zunächst ein Reflektieren des eigenen Lebens. Silvia Plasser hat dazu ein sehr praktikables 5-Finger-Modell kommuniziert. Sie verknüpft die fünf Finger einer Hand mit den dazugehörigen Fragen, die sich durchaus als Nachdenkmethode für das Sakrament der Versöhnung anwenden lassen. Mit dem Daumen verbindet sie die Fragen: Was gelingt mir in meinem Leben? Was läuft gut? Mit dem Zeigefinger signalisieren wir: Worauf möchte ich in meinem Leben hinweisen? Worauf möchte ich meinen Fokus legen? Der Mittelfinger steht für: Was widert mich in meinem Leben an? Was kostet mir Kraft und macht mich einsam? Mit dem Ringfinger fragen wir: Wie geht es mir in der Beziehung zu mir, zu meinen Mitmenschen und zu Gott? Und mit dem kleinen Finger schließlich fragen wir danach: Was soll noch wachsen? Was darf noch größer werden? Diese Fragen können zu einem Ritual werden, die mündlich oder schriftlich festgehalten werden. Damit kommen wir uns im Wahrnehmen und Erspüren unserer Seele näher. Durch das Sakrament der Versöhnung aber, werden wir zudem in die freiheitsschenkende Barmherzigkeit und Verzeihung unseres Gottes hineingenommen, der uns zeigt, dass wir Menschen nicht allein sind. Was immer uns Menschen im Leben nicht gelungen ist, was uns an uns selbst anwidert, was noch wachsen darf. Durch das Sakrament der Versöhnung nehmen wir mit Gott die Verbindung auf. Wir glauben daran, dass wir Menschen eingebettet sind in ein größeres Ganzes, in dem wir getragen sind. Wir glauben daran, dass wir Menschen in all unserem Tun und Denken nicht allwissend und vollkommen sind. Gott lässt uns teilhaben an seinem Leben und will uns in seine Liebe hineinführen. Das entlastet uns und lässt uns unseren Blick darauf lenken, was wesentlich ist: Die Liebe und Barmherzigkeit dort zu leben, wo uns das Leben vorgesehen und erwünscht hat.
Liebe Brüder und Schwestern!
Nur einmal hat Jesus geschrieben, nämlich auf den Boden. Er hat die Ankläger und die Angeklagte auf den Boden der Realität geholt. Beide mussten auf diesem Boden der Realität weiterleben. Auch wir müssen es. Es tut uns Gott, wenn wir uns der Realität der Sünde stellen, und wenn wir im Umgang damit eines wollen, nämlich Versöhnung und Barmherzigkeit Gottes. Er sagt auch uns: „Auch ich verurteile dicht nicht. Geh und sündige von nun an nicht mehr.“ Amen.