Gedanken zum Tag von Pfarrer Maximilian
Predigt 31. Sonntag im Jahreskreis, 3.11.2024
Perikopen: Dtn 6,1-6 Mk 12,28-34
Liebe Brüder und Schwestern im gemeinsamen Glauben!
Es ist einmal ein neuer Pfarrer in die Pfarre gekommen. Wie wird der wohl sein? Kein Wunder, dass die erste Predigt mit Spannung erwartet wurde. Wie der Zufall es wollte, war es Thema die heutigen Schrifttexte zu präsentieren: Liebe zu Gott und zum Nächsten. Es gab viel Lob von der versammelten Gemeinde. Als der Pfarrer am folgenden Sonntag die gleiche Predigt hielt, waren manche verwundert. Man vermutete, er habe aus Versehen noch einmal das Manuskript von der vorhergehenden Woche eingesteckt. Als aber am dritten Sonntag wieder die gleiche Predigt kam, reagierten die Gläubigen ungehalten und man stellte ihn zur Rede. Die Antwort des Pfarrers: „Wenn ihr die Liebe zu Gott und zum Nächsten praktiziert und damit Ernst macht, brauche ich diese Predigt nicht mehr zu halten; aber solange ihr nur zuhört und euch nicht ändert, werde ich euch weiterhin diese Botschaft Jesu ins Gewissen predigen.“ Drei Gedanken dazu.
Erstens: So was nennt man wohl „jemandem etwas einbläuen“. Der Duden erklärt es mit „jemandem mit Nachdruck etwas beibringen“. Die Volksetymologie ist nicht so zart, sondern leitet das Einbläuen von den blauen Flecken her, verursacht durch die Schläge mittels derer die Lektion erteilt wurde. Für die Sinnhaftigkeit stetiger Wiederholung hatte schon die alten Römer eine Redewendung „repetitio est mater studiorum“ – Wiederholung ist die Mutter der Studien. Daran mag sich der Pfarrer erinnert haben. Oder er hat sich schlicht und ergreifend eingehender mit der Lesung aus dem Buch Deuteronomium befasst. Denn da geht es ums „Beherzigen“. „Höre, Israel! Der Herr, unser Gott, der Herr ist einzig. Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft. Und diese Worte, auf die ich dich heute verpflichte, sollen auf deinem Herzen geschrieben stehen.“ Das „Höre Israel“ wird von Juden jeden Tag gebetet, ob es gute sind oder schlechte, morgens und abends. Es ist das erste Gebet, das Kinder lernen, und das letzte, das Sterbende sprechen. Es ist in jedem Gottesdienst das zentrale Gebet. Nie sollen Juden vergessen, dass Gott sie liebt.
Zweitens: Wir sind Teil der Liebesgeschichte Gottes mit uns. Das Alte Testament ist voll von Zeugnissen davon. Diese Liebesgeschichte Gottes mit den Menschen endet nicht mit dem Alten Testament, sie geht weiter mit Jesus. Wenn er im Evangelium auf die Frage des Schriftgelehrten nach dem wichtigsten Gebot antwortet: „Das erste ist: Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der einzige Herr. Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit all deinen Gedanken und all deiner Kraft. Als zweites kommt hinzu: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst,“ ist das nicht wirklich etwas Neues. Jesus führt zusammen, was im Buch Levitikus und im Buch Deuteronomium getrennt voneinander niedergeschrieben ist. Damit macht er deutlich, dass Gottes- und Nächstenliebe nicht voneinander getrennt werden können. Gottesliebe ohne Nächstenliebe funktioniert nicht. Die Liebesgeschichte Gottes geht weiter. Wir leben heute in einer Zeit in der immer wieder der Ruf laut wird, dass sich die Kirche nicht mehr in der Öffentlichkeit einmischen soll. So möge sich auf innerkirchliche Themen zurückziehen. Ich frage mich: Wenn ich das Doppelgebot der Liebe ernst nehme, kann ich das dann guten Gewissens tun? Wenn ich das nicht tue wird es problematisch. Ich muss die Menschen in den Blick nehmen, die der Liebe bedürfen: die Menschen, die nicht mehr mithalten können in unserer von Leistungsdenken geprägten Gesellschaft, weil sie alt sind, krank sind, erschöpft, ausgebrannt? Nächstenliebe hat mit den konkreten Menschen zu tun. Die Liebesgeschichte muss weitergeschrieben werden.
Drittens: Liebe ist (eben) nicht nur ein Wort, Liebe, das sind Worte und Taten. Diese speisen sich aus einer inneren Haltung, die uns aufmerksam, sensibel, den Menschen zugewandt und, wenn es darauf ankommt, kämpferisch durch die Welt gehen und handeln lässt. Das Doppelgebot der Liebe lädt ein, zu einer Grundhaltung der Liebe zu kommen, der immer Taten folgen müssen. Angesichts der Vertrauens- und Glaubwürdigkeitskrise, in der sich die Kirche befindet, gibt es Versuche, Wege zu finden, dass die Menschen die Botschaft Jesu wieder erreicht. Mag sein, dass es in manchen Ohren naiv klingt, aber ich sehe zuversichtlich im Doppelgebot der Liebe eine Chance, dass es wieder besser gelingen kann, unserem Auftrag gerecht zu werden. Voraussetzung ist sicher, dass die Menschen spüren, dass wir von dieser Liebe zu ihnen wirklich erfüllt und geleitet sind in unserem Reden und Handeln. Und Voraussetzung dafür ist, dass wir uns von der Liebe Gottes erfüllen lassen, sie beherzigen, jeden Tag neu.
Liebe Brüder und Schwestern!
Es gibt ein Buch mit dem Titel „Weißt du überhaupt, wie lieb ich dich hab?“ In diesem Bilderbuch unterhalten sich ein großer und ein kleiner Hase. Der große Hase soll raten, wie lieb ihn der kleine Hase hat. Der kleine Hase breitet die Arme aus und sagt: „So lieb hab ich dich.“ Der große Hase hat längere Arme, breitet sie aus und sagt: „Aber ich hab dich so lieb.“ Der kleine Hase sucht nach immer neuen Ausdrücken, um seine große Liebe zum großen Hasen zu zeigen. Er reißt die Arme hoch, macht Handstand, läuft im Zickzack und sagt schließlich: „Ich habe dich bis zum Mond lieb.“ Worauf der große Hase erwidert: „Bis zum Mond und wieder zurück haben wir uns lieb.“ Ja, es ist ein Kinderbuch, aber wir dürfen diese gute Botschaft immer vor Augen habe. „Ja, so stelle ich mir vor, dass Gott die Menschen liebt bis zum Mond und wieder zurück, einfach unendlich.“ Und er wartet darauf, dass wir antworten mit unserer Liebe zu ihm und zum Nächsten. Ich merke, das ist ein Gedanke, den ich mir gern zu Herzen nehme, ein Gedanke den ich mir selber einbläuen, muss damit die Liebesgeschichte Gottes mit uns weitergeht und durch Taten konkret wird. Freilich, fertig bin ich damit noch lange nicht. Amen.