Gedanken zum Tag von Pfarrer Maximilian
Predigt 10. Sonntag im Jahreskreis, 9.6.2024
Perikopen: Gen 3,9-15 Mk 3,20-35
Liebe Brüder und Schwestern im gemeinsamen Glauben!
Was geschieht im heutigen Evangelium? Wie reagiert Jesus drauf? Und was bedeutet das für uns heute? Diesen drei Fragen wollen wir nachspüren.
Erstens: Was geschieht im heutigen Evangelium? Ganz einfach. Jesus ist, das haben wir im Zusammenhang mit dem Streit um den Sabbat schon letzten Sonntag gehört, für die religiösen Autoritäten ein Störenfried. Was ist die bequemste Art einen Störenfried loszuwerden oder einen, der einem nicht passt, abzutun? Man erklärt ihn für verrückt. Anstatt sich mit ihm auseinanderzusetzen, hält man ihm vor: „Du tickst wohl nicht mehr richtig?" So ergeht es auch Jesus. Er wird genau in diese Ecke gestellt: „Er ist von Sinnen, so sagen die Verwandten Jesu, die eigens kommen, um ihn, wenn es sein muss auch „mit Gewalt“ – zurückzuholen, zurück in den Schoß der Familie, zurück in die Normalität, zurück in den Rahmen der Tradition, zurück zu dem, wovon sie meinen, so ist es richtig und so gehört es sich. Die Schriftgelehrten setzen noch einen drauf. Diese halten Jesus sogar für besessen, vom Teufel besessen. „Mit Hilfe von Beelzebul, dem obersten der Teufel“, so behaupten sie, „treibt er die Dämonen aus.“ In den Augen der Verwandten. verrückt! Nach dem Urteil der Theologen, im Bund mit dem Satan. Zwei Schubladen. Nicht eigentlich schuldig oder böse oder gar kriminell, aber doch gefährlich. Denn er tritt mit einer ganz neuen Lehre auf. Er hält sich nicht an die Ordnung. Er heilt am Sabbat. Er vergibt Sünden, was nur Gott allein zusteht. Er isst mit Zöllner und Sündern! Unmöglich! Er bricht sämtliche Tabus. Er schmeißt die Käufer und Verkäufer aus dem Tempel. Er stiftet Verwirrung. Man muss ihm das Handwerk legen! Man muss ihn aus dem Verkehr ziehen, rasch und unauffällig! Das geschieht im Evangelium.
Zweitens: Und wie reagiert Jesus? Auf zweifache Weise. Bei den Schriftgelehrten geht er zum Gegenangriff über. Ihnen gegenüber argumentiert er, dass der Satan bei all seiner Verblendung keineswegs so dumm ist und gegen sich selber kämpft. Man kann nicht im Namen des Teufels Teufel austreiben. Ein Unding. Das widerspricht sich. „Jedes Reich, das in sich uneins ist, zerfällt.“ Die Kritik seiner Gegner greift nicht, sie geht ins Leere. Außerdem, Jesu Heilswerk als Teufelswerk abzustempeln, verrät eine gehörige Verkennung und eine abgrundtiefe Bosheit. Und seine Verwandten? Ihnen gegenüber ist Jesus nicht ganz so scharf, aber doch sehr entschieden. Er distanziert sich von ihnen. Er relativiert die Blutsverwandtschaft. Im Reich Gottes, das er verkündet, sind die Bande des Blutes zweitrangig. Mutter, Schwester, Bruder, das sind für ihn die Menschen, die sich einlassen auf ihn und seine Botschaft. Menschen, die den Mut haben, ja zu sagen zur Torheit einer bedingungslosen Liebe, zur Torheit einer neuen Menschlichkeit, und schließlich zur Torheit einer Gewaltlosigkeit, die sogar dem Feind verzeiht und die unter Umständen das eigene Leben kostet. Der entscheidende Satz lautet: „Wer den Willen Gottes tut, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter.“ Solche Menschen, denen Gottes Wille mehr bedeutet, als die Normen erstarrten bürgerlichen Tradition, sind seine wahren Verwandten. Für solche Menschen vertauschen sich die Maßstäbe. Was der Welt töricht erscheint, wird ihnen zur Weisheit. Was der Welt schwach erscheint, wird ihnen zur Kraft.
Drittens: Was bedeutet das für uns? Ich würde sagen auch verrückt sein. Ist es Franz von Assisi nicht ähnlich ergangen? „Il pazzo“ – „Narr“ riefen ihm die Leute nach und hetzten Hunde auf ihn, als er in Assisi bettelnd von Tür zu Tür ging, nachdem er sich radikal von seinem Vater losgesagt und vor dem Bischof auf alles verzichtet hatte, sogar auf seine Kleider. Auch Elisabeth von Thüringen hatte, obwohl Landgräfin, auf der Wartburg einen schweren Stand und wurde für übergeschnappt, für verrückt erklärt, wenn sie Tag für Tag nach Eisenach hinunterstieg, um die Armen zu speisen und die Frierenden zu kleiden, wenn sie im Hungerjahr die Getreidespeicher öffnete, ihren Schmuck verkaufte und alles hergab, um den Hunger zu lindern, oder wenn sie bei gedecktem Tisch in Hungerstreik trat, wenn etwas von den Speisen auf der Tafel aus Erpressung oder anderen unrechtmäßigen Quellen stammte. Kein Mensch am Hof hat das verstanden. Man hat nur den Kopf geschüttelt, sich geärgert oder sich über sie lustig gemacht. Und als ihr Mann auf dem Kreuzzug an einer Seuche gestorben war, war für sie keine Bleibe mehr am Hof. Vertreibung? Flucht? Es blieb ihr nichts anderes übrig, als die Wartburg und damit die höfische Gesellschaft zu verlassen. Wird Jesus auch in unserer Zeit Menschen finden, die so in ihn und seine Sache „vernarrt“ sind, dass ihnen das Urteil ihrer Umgebung gleichgültig ist, Menschen, für die nur zählt, was Gott will und die ihr ganzes Leben nach ihm und seinen Weisungen ausrichten, egal was ihre Umgebung denkt und sagt? Menschen, die sich so verrücken, dass sie verrückt nach ihm sind? „Du bist doch verrückt, dich für einen kirchlichen Beruf zu entscheiden! Du bist doch verrückt, die Miete nicht zu erhöhen, obwohl du viel mehr herausschlagen könntest! Du bist doch verrückt, dich nicht scheiden zu lassen, wo du doch mit Sicherheit schon bald wieder einen anderen findest.“
Liebe Brüder und Schwestern!
Was Kritiker uns vorwerfen, ist nicht, dass wir Christen heißen, sondern dass wir es nach dem Beispiel Christi zu wenig sind. Hierin liegt das Dilemma. Als der große indische Staatsmann Mahatma Gandhi das christliche Evangelium las, war er vor allem von der Bergpredigt so fasziniert, dass er überlegte selbst Christ zu werden. Der Anblick des „gelebten Christentums“ hielt ihn zurück. Doch gehen wir nicht immer wieder den bequemeren Weg, passen uns an, finden Ausreden, suchen Kompromisse und machen Abstriche? Vielleicht sollten wir wieder mehr Mut haben, „verrückt“ zu sein, und die Botschaft Jesu an den Platz zu rücken, wo sie hingehört, in die Mitte unseres Lebens als den Maßstab und die Richtschnur für unser Denken, Reden und Tun. „Wer den Willen Gottes tut, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter!“ Unmissverständliche Worte, die auch heute nichts von ihrer Gültigkeit verloren haben. Nehmen wir sie zu Herzen! Und richten wir unser Leben danach aus! Jedenfalls ist in dem was im Evangelium geschieht, und was Jesus sagt die Anleitung zum Verrückt-Sein, ganz im Sinne Jesu. Amen.