Gedanken zum Tag von Pfarrer Maximilian
Predigt Allerheiligen, 1.11.2023
Perikopen: Offb7,2-4.9-14 Mt 5,1-12a
Liebe Brüder und Schwestern im gemeinsamen Glauben!
Um einen Zugang zum Fest Allerheiligen zu bekommen, das immer verbunden ist mit dem Gedenktag Allerseelen und der Erinnerung an die Verstorbenen, zu Beginn eine Geschichte: Die Augen der Kinder glänzten, als der berühmte Akrobat mit ihnen sprach. Die Kinder haben gerade die Nachmittagsvorstellung im Zirkus besucht. Sie sahen den Flieger oben auf dem Trapez. Es hat ihnen regelrecht den Atem verschlagen, als sie den Salto mortale sahen. Und nun saß er vor ihnen und fragte sie: „Was glaubt ihr, wer der Star des Trapezes ist?“ „Du!“, schrien Kinder. „Falsch!“, entgegnete der Akrobat, „der eigentliche Star, ist mein Fänger. Ich mache bloß ein paar Drehungen in der Luft. Er dagegen muss mich fangen, in jenem Bruchteil der Sekunde, wenn ich auf ihn in der Luft zusteuere. Ich strecke nur meine Arme aus, fliege und warte, dass er mich auffängt.“ Die Augen der Kinder wurden größer und größer. Sie glaubten, der Flieger will sie täuschen. „Und du? Du machst gar nichts?“, fragte schließlich eines der Kinder. „Eigentlich nicht“, sagte der Akrobat. „Wisst ihr was? Das wäre das Schlimmste, was ein Akrobat tun könnte, wenn er versuchen würde, den Fänger selber zu fassen. Da wird er nur seine Handgelenke verstauchen. Und die Handgelenke des Fängers auch. Der Akrobat springt, der Fänger fängt. Der Flieger muss vertrauen, der Fänger darf das Vertrauen nicht enttäuschen.“ Verdutzt saßen die Kinder da. Es scheint, sie haben den Worten des Fliegers doch nicht ganz geglaubt.
Erstens: Die Flieger und ihr Fänger. Die unzähligen Flieger auf dem himmlischen Trapez feiern heute ihr Fest, genießen heute den Applaus der Kirche, vermitteln aber uns allen die Botschaft, die schon der Flieger aus dem Zirkus den Kindern zu vermitteln suchte. „Glaubt ihr, dass wir die Stars des himmlischen Trapezes sind?“ Nein! Unser Fänger ist es. Wir haben bloß ein paar Drehungen auf dem Trapez der Weltgeschichte vollbracht, sind mehr schlecht denn recht durch die Lüfte der Zeiten und der Orte geflogen. ER unser Fänger musste uns auffangen. Ihm gebührt der Applaus. Das Einzige, was wir uns zugutehalten können, ist vielleicht, dass wir ihm vertrauten: vertrauten, dass er uns fangen wird. Gerade dieses Vertrauen machte uns selbstsicher bei unseren Sprüngen und Flügen. Deswegen überhört bitte nicht unseren Lobgesang auf ihn. Wir heben im Blick auf die Lesung unsere himmlischen Gläser hoch und singen: „Lob sei unserem Gott in alle Ewigkeit. Denn auch unsere Rettung kam von ihm, von dem, der auf dem Thron sitzt und von dem Lamm.“ Nicht wir selber haben uns beim Flug unseres Lebens aufgefangen! Wir können ihm nur vertrauen.
Zweitens: Sind alle aufgefangen? Der allzu harmonische Gesang der himmlischen Schar in der Lesung wird deutlich durch irdische Dissonanzen gestört. Die schmerzhaften Fragen bleiben. „Was ist mit jenen, die beim Flug ihres Lebens abgestürzt sind? Was mit jenen, die beim Sturz im Netz des sprichwörtlichen Fegfeuers gelandet sind, oder gar auf den harten Boden geprallt und im Abgrund der Hölle liegen? Was ist mit jenen, die beim Flug ihre Hände nicht ausgestreckt haben, weil sie das nicht wollten oder nicht konnten. Was ist mit jenen, die Hände des himmlischen Fängers nicht fangen konnten? Was ist mit jenen, die das Vertrauen verloren haben oder gar dieses Vertrauen niemals hatten?“ Ja, was ist mit jenen, die ihr Herzen nicht auf Heil hin programmiert haben, sondern auf Unheil, die bis zum Schluss ihr Herz nicht auf den Fänger, auf Gott eingestellt haben? Was ist mit ihnen? Haben wir eine Antwort?
Drittens: Unsere Antwort. Das Zwillingsfest Allerheiligen-Allerseelen möchte eine Antwort geben, die von Hoffnung getragen ist. Einerseits liegt die Antwort in dem, der im heutigen Lesungstext mit dem Namen: „das Lamm“ bezeichnet wird. Christus, der menschgewordene Sohn Gottes, fängt nicht nur von oben auf, er selber steigt hinunter bis auf den harten Boden, auf dem die missglückten Flieger landen. ER steigt herab, damit jene, die dort verletzt, verkrümmt, in der Einsamkeit der gescheiterten Flieger eingeschlossen liegen, nicht verloren gehen. „Er ist hinabgestiegen in das Reich des Todes,“ wie wir das im Glaubensbekenntnis sprechen. Zum anderen aber ist die Zahl der Flieger auf dem himmlischen Trapez – und auch das ist die Regel im Zirkus, wo die Flieger irgendwann selber zu Fängern werden – zu Fängern geworden. Auch Menschen fangen uns immer wieder auf, und kommen so der Heiligkeit näher. Die Feste Allerheiligen und Allerseelen rücken in unser aller Bewusstsein, das Vertrauen, dass die große Schar, die ja heute mit den himmlischen Gläsern den göttlichen Fänger feiert, dass diese himmlische Schar vom himmlischen Trapez aus die unzähligen verletzten Flieger, die ihre Hände nicht ausstrecken, aufzufangen hilft. Die himmlischen Akrobaten stehen ja uns allen, die wir uns noch im Modus des Fluges befinden, bei, sie treten für uns ein und helfen uns.
Liebe Brüder und Schwestern!
Das gilt uns allen, vor allem aber gilt dies für jene Situationen, in denen wir versucht sind, die Not anderer zu vergessen und uns bloß auf uns selber konzentrieren. So isolieren wir uns aus der Gemeinschaft. Die Heiligen reißen uns aus unserer Isolation heraus, und integrieren uns in der allumfassenden Gemeinschaft des „katholischen Himmels“. Eines haben wir ja auf jeden Fall mit der großen Schar im Himmel gemeinsam. Auch wir kommen aus der großen Bedrängnis, weil auch wir des Öfteren nicht mehr ein und aus wissen, weil uns oft die Luft ausgeht, weil uns das Alter oder Krankheiten zusetzen, weil wir gerade den Arbeitsplatz verloren haben und nun abzustürzen drohen in die Depression, weil wir sitzengelassen wurden vom Lebenspartner oder auch verlassen von Kindern. Wir alle sind noch diese Flieger, die unterwegs sind zum himmlischen Trapez, zu der großen Schar der Heiligen, wir, die wir trauern, hungern und dürsten nach Gerechtigkeit. Wir, die wir allzu oft das Vertrauen in die allmächtige Kraft des himmlischen Fängers verlieren, wir werden dauernd von jener großen Schar der längst im Himmel beheimateten Flieger unterstützt, die nun selber zu Helfershelfern des himmlischen Fängers geworden sind. Wenn das nicht ein Hoffnungsbild ist? Für uns, für die Unsrigen, für Lebende und Tote? Für die Armen Seelen eben! Vertrauen wir auf den Fänger. Amen