Hochkreuzkapelle
Der Pilger erhielt durch diese repräsentative Kapelle einerseits den Hinweis, dass ihn im Ort eine noch wesentlich bedeutendere Kirche erwartete, und andererseits, da sein Pilgerziel St. Wolfgang ja der Abtei Mondsee unterstellt war, er hiermit an eine zentrale Stelle seines Wegs gekommen war.
Seit wann die Kapelle an der heutigen Odilostraße besteht, weiß man nicht, denn der Stein mit dem Monogramm Abt Wolfgang Haberls und der Jahreszahl 1516 bezieht sich aller Wahrscheinlichkeit nach nur auf die Fresken der Fassade.
Abt Bernard Lidl erwähnt bei Abt Haberl außer der Ausstattung der Klosterkirche und der Kirche in St. Wolfgang zwar mehrere Kapellen, bei denen es aber nicht um die Hochkreuzkapelle gehen kann, wie die Friedhofskapelle im Stiftsgarten (1879 abgerissen) und eine Marienkapelle im Klosterbereich, die aber wegen des Marienpatroziniums ebenso ausscheidet wie die 1477 von Abt Benedikt Eck errichtete Maria- und Annakapelle. Ein Patrozinienwechsel wird auch von Wibiral als unwahrscheinlich angesehen. 1516 steht aber jedenfalls fest für die Fresken an der Fassade.
Aus den auch für die Folgezeit nur spärlich vorliegenden Dokumenten sind einige Punkte der weiteren Geschichte ersichtlich.
1711 fasste der Mondseer Maler Wolf Khödtl das Kruzifix neu und brachte hinter dem Kruzifix eine Wandmalerei mit der Stadt Jerusalem und an deren Seiten eine Geißelung und eine Dornenkrönung an, wobei diese Passionsszenen bereits 10 Jahre später renoviert werden mussten. Neuerliche, bald eintretende Schäden führten dazu, dass man diese Innenmalerei noch im 18. Jahrhundert übertünchte und als Ersatz bemalte Holztafeln anbrachte. Zwei weitere Bilder mit Dornenkrönung und Kreuztragung wurden an der Außenwand, wo die alten Fresken Haberls anscheinend auch bereits übertüncht waren, angebracht und zu ihrem Schutz der halbrunde Dachvorbau geschaffen, damals noch auf fünf Säulen.
Die nächste Erwähnung in den Akten des Pfarrarchivs ist ein Brand am 13. April 1827, bei dem offensichtlich der Dachstuhl abbrannte. Die Arbeiten danach umfassten einen neuen Dachstuhl, die Herstellung eines Rolldachs und Ausmalung.
Für 1833/34 sind weitere Malerarbeiten durch Malermeister Matthias Bauer von Mondsee an folgenden Teilen genannt:
Ölgemälde und Ausfassung der Statuen des Christus am Kreuz und der zwei Schächer
Ein Antependium mit Christus im Grab
Christus am Ölberg, Geißelung – kleinere zwei Bilder in den Bogennischen [d.s. die Tafeln hinter der Kreuzgruppe]
Anstreichen der drei Kreuze
Anstreichen des Eisengitters, schwarz mit goldenen Verzierungen
Ausmalen der Kapelle – zwei Bilder al fresco (Abendmahl, Fußwaschung), unter Beiziehung eines Maurers, Stricke zum Anbinden der zwei Schächer- Beistellung von Material und Arbeit von Tischlermeister Dölzer und Schlossermeister Winkler.
Wie man sieht mehren sich bereits verschiedene Malschichten und Bilder im Kapelleninneren.
Im Inventar von 1843 beschreibt Pfarrer Obermair das Aussehen der Kapelle: Nach den eigentlichen Inventarstücken ist zu lesen: „Die Kapelle ist rund gebaut, schön ausgemalen mit zwei Bildern: das Hl. Abendmahl und die Jünger zu Emaus, auf die Mauer gemalen, geziert und das Dach von außen mit hölzernen Säulen gestützt. Diese Kapelle dient den Andächtigen in der Fastenzeit zur besonderen Verehrung – Kalvarienberg.“
1846 kommen von Kooperator Gatterbauer (später Pfarrer) zu diesem Text noch Details hinzu: „ Die Kapelle ist rund gebaut und gemauert, hat vorn im Halbrundelle das Dach auf ziemlich großen Säulen aus Holz gestützt. Die Kapelle ist inwendig ausgemalen, auf den Seitenwänden das Hl. Abendmahl und die Jünger zu Emaus auf die Mauer gemalen. Die Malerarbeit ist vom hiesigen Maler Bauer. Diese Kapelle wird von der Pfarrgemeinde statt eines Kalvarienberges besucht.“ Die folgenden Inventare übernehmen diese Beschreibung fast wörtlich.
Erst 1959 befasst sich Restaurator Mucnjak-Hochland wieder mit der Kapelle und erstellt einen Kostenvoranschlag mit den nötigen Arbeiten:
„Kreuzigungsgruppe mit 3 überlebensgroßen Plastiken in der Art von Zürn (?)
Fassung, fehlende 8 Finger, 6 Zehen
4 große Tafelbilder mit Heiligen im Inneren
2 große Tafelbilder mit Kreuzwegstationen [d.s. die außen angebrachten Bilder der Dornenkrönung und Kreuztragung] Festigung, Ausbesserung der stark beschädigten Freskomalerei des 19. Jahrhunderts im Inneren [d.s. die oben unter 2) genannten Fresken Abendmahl, Fußwaschung – da die Inventare aber statt der Fußwaschung von den Emausjüngern reden, muss die Malerei nicht stark beschädigt, sondern bereits in unkenntlichem Zustand gewesen sein]
Abdeckung des Verputzes der vorderen Außenfront wegen Freilegung von alten Namensaufzeichnungen.“
Die Hochkreuzkapelle sah also damals folgendermaßen aus:
An der Wand hinter der Kreuzigungsgruppe waren spätbarocke, bemalte Tafeln, unter denen sich die übertünchten Secco-Malereien Khödtls befanden, an den Seitenwänden waren Fresken des 19. Jahrhunderts von Bauer. An der übertünchten Außenwand die beiden Bilder Dornenkrönung und Kreuztragung.
Und dann kam an der Fassade die große Entdeckung von 1967:
„An dieser Stirnwand wurden nach Entfernung der Tafeln unter mehreren Kalktüncheschichten Reste von Wandmalereien festgestellt. Auf einer Fläche von etwa 24 m² sind drei Darstellungen aus der Passion Christi und eine vierte, wegen starker Fragmentierung nicht eindeutig identifizierbare Szene herausgekommen. Die Felder waren durch zahlreiche Spitzhackeneinschläge, welche stellenweise tiefe, bis an das Mauerwerk heranreichende Löcher gebildet haben, beschädigt; an den unteren Partien ist eine besonders starke Versinterung festzustellen“. Diese Fresken, die der Wiener Kunsthistoriker Karl M. Swoboda einem der großen Meister der Donauschule, Wolf Huber zuschreibt, waren nach 450 Jahren wieder zu sehen!
Auf Grund der Schäden, die – trotz Vordach – durch das Wetter zu befürchten waren, wollte man die Fresken abnehmen und in „museale Verwahrung“ nehmen. Es muss seitens Pfarre, Gemeinde, Museum und Bevölkerung dagegen heftige Opposition gegeben haben, die durch den akademischen Maler Prof. Arthur Sühs unterstützt wurde. Sühs rät in einem Schreiben vom 3. Juni 1967 von einer Ablösung der Fresken ab, nicht nur weil das eine riskante Sache schien, sondern er schreibt: “Obendrein ist die Malerei an Ort und Stelle in Verbindung mit ihrer Architektur eine wertvolle Bereicherung und Sehenswürdigkeit für Mondsee.“ Landeskonservator Wibiral stimmt schließlich zu, die Fresken nicht abzunehmen, „obwohl keine unbeschränkte Lebensdauer gegeben ist“.
Bis zum folgenden Jahr 1968 wurde von Prof. Sühs die Freilegung, Sicherung, Verkittung der Spitzhackenlöcher, Fehlstellenretusche und Verputzarbeit ausgeführt.
Weitere Renovierungsarbeiten 1987 beziehen sich auf Malerarbeit (Spachteln, Streichen) und ab 1997 auf die Erneuerung des Daches, eine Großreparatur, die ein enormes Förderungs- und Spendenaufkommen erforderte.
1999 legte der Restaurierungsbetrieb Tinzl einen Bericht über den (bereits damals schlechten) Zustand der Fresken für eine Fortsetzung der Restaurierung vor. Bei der Befundung hatte sich herausgestellt, dass die von Prof. Sühs bei der Erstrestaurierung verwendeten Materialien (u.a. Zement) nicht geeignet gewesen waren und den Zustand schließlich noch weiter beeinträchtigt hatten. Zu diesem Zeitpunkt waren jedoch keine Mittel für die Restaurierung vorhanden.
Bis vor kurzem waren also an der Fassade die vier aufgedeckten Fresken von 1516 zu sehen, im Inneren die Kreuzgruppe und die beiden Bilder von der Außenwand an den Seitenwänden, deren Fresken des 19. Jahrhunderts offensichtlich übertüncht worden waren. Von den barocken Tafeln scheinbar keine Spur.
Wenn wir nun 2016 „500 Jahre Hochkreuzkapelle“ feiern, ist dies mit einer Restaurierung verbunden. Im Zuge der Vorarbeiten gab es eine sehr erfreuliche Entdeckung, die wiederum zeigt, dass man sogar Fußnoten in Publikationen genau lesen muss:
Wibiral schreibt “ Die ursprünglich an der äußeren Stirnwand hängenden Tafeln mit Dornenkrönung und Kreuztragung befinden sich jetzt an den Seitenwänden der Kapelle. Die Hintergrundtafeln zur Kreuzigungsgruppe, …in den seitlichen Lünetten .. und an den Wänden darunter…sind vorläufig im ehemaligen Kapitelsaal bei der Kirche untergebracht.“ Während der erste Satz nicht Neues war, kam in die Sache der Hintergrundtafeln, die sich inzwischen aber auch nicht mehr im Kapitelsaal befanden, plötzlich Klarheit: Bei der Restaurierung des Basilika hatte man bei der Räumung des Dachbodens nicht nur die Reste des Heiligen Grabes, das so großartig restauriert wurde, gefunden, sondern auch diese Tafeln entdeckt, ohne noch etwas über ihren ursprünglichen Standort zu wissen. Man hätte sie z.B. für Teile der „Fastenvorstellungen“ an den Altären halten können, wobei allerdings die halbrunden Formen der Lünettenbilder keine Vorstellung, wie das ausgesehen haben könnte, zuließen. Nun – mit dieser Fußnote Wibirals war das Rätsel gelöst und das ursprüngliche Inventar der Hochkreuzkapelle aus der Barockzeit ist wieder vollständig vorhanden!
Freilich werden diese Tafeln noch längere Zeit nicht zu sehen sein, da ihre Restaurierung viel Zeit erfordern wird. Die Abbildungen von S. 17-20 zeigen daher den Stand 2016 vor der Restaurierung und damit den katastrophalen Zustand, wie vor allem bei der Gefangennahme Jesu ersichtlich. Die großartige Restaurierung des gleichzeitig aufgefundenen Heiligen Grabes lässt aber die Hoffnung zu, dass auch die restaurierten Tafeln eines Tages in die Hochkreuzkapelle zurückkehren werden und damit die originale barocke Ansicht der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts wieder hergestellt sein wird.
Wie bereits Wibiral zutreffend bemerkte, sind die Fresken „der Wirkung der Atmosphärilien“ stark ausgesetzt und wurden in ihrer Erkennbarkeit von Jahr zu Jahr fragmentarischer. Jedoch nicht nur vom Standpunkt der Reichhaltigkeit an Kunstobjekten, sondern auch wegen der anfangs skizzierten historischen Bedeutung dieses „Eintrittstors“ der Pilger nach Mondsee schien es geboten, die Kapelle in ihrer künstlerischen Gesamtheit zu erhalten. Eine Entfernung oder Übermalung der Fresken im Hinblick auf die „Atmosphärilien“ hätte ihr die Einzigartigkeit, ja überhaupt jede besondere Bedeutung genommen.