Fünfter Fastensonntag
Evangelium (Joh 11,1-45)
Dass Marta tieftraurig ist, können wir gut nachfühlen. Auch dass sie den Vorwurf nicht verschweigen kann, verstehen wir. In nur vier Tagen kann man sich nicht damit abfinden, dass der Bruder nicht mehr da ist. Und dass der Freund und Helfer zu spät gekommen ist, hat Marta tief verletzt und gekränkt. Jesus ist nicht gekommen. Auch Gott hat nicht geholfen. Aber Marta fühlt noch etwas anderes. Eine Hoffnung, die immer noch Jesus etwas zutraut. Sein Wort ist ein Licht im Dunkel unserer Angst. Diese Hoffnung weckt Glauben.
Und alles ist so anschaulich und bewegend erzählt, dass wir durchaus den Eindruck haben, dass es sich hier um ein zwar wunderbares, aber geschichtlich gut gesichertes Ereignis handelt.
Doch die Fachleute erheben Einspruch. Sie bezweifeln die Geschichtlichkeit unseres Berichtes mit dem Hinweis darauf, dass nur Johannes eine Lazarus-Erweckung kennt, während die anderen drei Evangelisten nichts davon wissen. Und die Exegeten fragen mit Recht: Wie konnten Matthäus, Markus, Lukas ein so spektakuläres Geschehen, das sich vor allen Augen abgespielt hat, vergessen oder unterschlagen?.
Und dann ist da noch eine weitere Schwierigkeit, die es mit den Folgen der Lazarus-Geschichte zu tun hat. Nach Johannes gibt dieses Wunder für die jüdischen Kirchenmänner den Ausschlag, Jesus mit Gewalt zu beseitigen. Sie fürchten seinen wachsenden Einfluss auf das Volk und eventuelle politische Unruhen.
Aus diesen und ähnlichen Gründen tun wir gut daran, unser Evangelium nicht als Protokoll realer Vorgänge aufzufassen, sondern als THEOLOGIE IN ERZÄHLENDER FORM.
Wir haben also zu fragen: WAS IST DIE THEOLOGISCHE BOTSCHAFT unserer Geschichte? Besteht sie in der Rückholung eines Verstorbenen aus dem Totenreich?
Wenn man unseren Text aufmerksam liest, muss man bestätigen, was die Bibelausleger schon früh erkannt haben: Das Herzstück unserer Geschichte liegt in dem kurzen Gespräch, das Jesus vor dem Wunder mit Marta führt.
Marta geht Jesus entgegen und begrüßt ihn mit einem leisen Vorwurf, aber auch mit Vertrauen. Der Höhepunkt der Worte Jesu holt den "jüngsten Tag" in das Hier und Heute herein und erklärt feierlich: ICH BIN DIE AUFERSTEHUNG UND DAS LEBEN.
Mit anderen Worten: Jesus sagt: Wer seine ganze Hoffnung auf mich setzt, muss nicht bis ans Ende der Weltgeschichte auf seine Auferstehung warten. Er ist im Glauben bereits auferstanden. Das ewige Leben hat in ihm schon begonnen. Der biologische Tod ist für ihn unwesentlich geworden. Ob der Gläubige lebt oder stirbt, entscheidend ist für ihn nur eines: dass er sich mit mir verbindet, dass er vorbehaltlos mir gehört.
Wer den Sinn dieser Worte begriffen hat – man kann sie nicht oft genug und lange genug meditieren - , der spürt, dass die nachfolgende Totenerweckung theologisch zweitrangig ist. Entscheidend ist für Lazarus ja nicht, dass er von Jesus noch ein paar Jahre geschenkt bekommt und vom Geruch der Verwesung befreit wird, sondern dass er durch den Glauben an Jesus in ein Leben aufgenommen wird, das dem Zugriff des Todes entzogen ist.
GLAUBST DU DAS? Das ist heute die Frage an uns! Marta bekennt Jesus ohne Zögern als Messias und Sohn Gottes.
Bitten wir um die Gnade, ihr dieses Bekenntnis nachsprechen zu können und zu erfahren, dass die Freundschaft mit Jesus durch den Tod hindurchträgt.
Die Geschichte am Ende des öffentlichen Wirkens Jesu weist uns darauf hin, dass auch der Weg Jesu letztlich kein "Weg zum Tod" ist, sondern sein Weg durch den Tod hindurch zur Auferstehung und zum Leben.
Glaubst du das?
Sein Leben ist unser Weg, sein Wort ist unsere Wahrheit, sein Tod ist unser Leben.