Gedanken zum 1. Adventsonntag
„Sooft er auf die Tür starrt, sie bewegt sich ausschließlich dienstlich, keine Freunde, nie. Ist denn ein jeder Abgesang so glanzlos? Er stirbt das erste Mal, er weiß nicht wie.“ So besingt Konstantin Wecker in „Alles geht zu Ende“ den Bewohner eines Pflegeheims. Und weiter dann: „Bei Schwester Heike wagt er es, zu lächeln. Die streichelt manchmal zärtlich sein Gesicht. Sonst ist es still um ihn. Keine Besuche. Auch sein betuchter Sohn besucht ihn nicht.“ Warten kann ungemein bedrückend sein.
Wer könnte sagen, dass er/sie gerne wartet? Man wartet im Stau im Straßenverkehr, bei der Behörde, auf einen ärztlichen Befund. Wartezeit gilt als „verlorene“ Zeit. Nun wartet die ganze Welt auf das Ende der Pandemie. Wann wird der Impfstoff kommen oder ein Medikament? Dürfen wir zu Weihnachten Verwandte und Bekannte besuchen? Wird der Wintertourismus in Gang kommen? Wann wird das Leben wieder normal verlaufen? „Sorge, Traurigkeit und Ungeduld. Auch Aggression, Fahrlässigkeit und Gleichgültigkeit begleiten dieses Warten“, schreibt Bischof Scheuer in der jüngsten Nummer von Christ in der Gegenwart.
Der Advent meint eine Zeit des guten Wartens, eines Wartens, das dem Leben und der Liebe dient: warten, um das, was um uns vorgeht, überhaupt wahrnehmen zu können; warten, um für die Einzigartigkeit eines Menschen sensibel zu bleiben; warten, um zu spüren, was in mir vorgeht, was mich umtreibt, stört und ärgert, aber auch freut, berührt, motiviert. „Aufmerksamkeit bedeutet ein Warten auf das ... Unverfügbare. Warten braucht Zeit. Zeit brauchen heißt: nichts vorwegnehmen können, alles erwarten müssen, mit dem Eigenen vom anderen abhängig sein.“ (Simone Weil)
Der Advent als Wartezeit auf das Weihnachtsfest ist heuer ganz anders. Er ist (noch) karger, leiser. Der 2. Lockdown hat die Entstehung des Festivitätsgefühls durch die Beschränkung des öffentlichen Lebens stark gebremst. Und wenn die Straßen und Plätze auch mit Weihnachtsdekoration geschmückt sind, die weihnachtliche Stimmung dort wird gedämpft bleiben. Wird das auch unsere Weihnachtsfreude behindern – oder sie vielleicht sogar befördern?
„Wächter, wie lange ist noch die Nacht? Wächter, wie lange ist noch die Nacht“, so beginnt das sogenannte „Wächterlied“ im Buch Jesaja (Jes 21,11f). Jesaja weiß, was nächtliches Warten heißt. Warten hilft nachzudenken und Warten lässt Ausschau halten: Wann wird sich das Anbrechen des Morgens zeigen? Woher kommt uns ein Licht?
Warten ist auch eine Zeit des Betens. Liturgisch wird heuer der Advent mit flehentlichen Bitten Jesajas eingeläutet. In der 1. Lesung vom 1. Adventsonntag heißt es: „Warum lässt du uns, HERR, von deinen Wegen abirren und machst unser Herz hart, sodass wir dich nicht fürchten?“ Und weiter: „Hättest du doch den Himmel zerrissen und wärest herabgestiegen, sodass die Berge erzittern vor dir.“ (Jes 63,19) Eine gewaltige Bitte um den Advent Gottes, um das Kommen Gottes – drängend, ja fordernd. Nur eine unbändige Sehnsucht kann ihr Antrieb sein, was sonst, und die Hoffnung.
Könnte dieser heuer so besondere Advent auch eine Chance sein? Der Corona bedingte Verzicht auf Gewohntes und Liebgewonnenes, auf Nähe und unbeschwerte Begegnungen kann uns lehren, dass sich die Erfahrung des Lebensdunkels nicht durch selbstinszenierte Aufhellungen überwinden lässt.
Der Advent lehrt uns die Kunst, das, was uns im Letzten fehlt, offen zu halten – und es uns schenken zu lassen. Er stößt uns an, das passive Warten in ein aktives zu verwandeln. Das will heißen, unserer Sehnsucht nach Gottes Gegenwart Raum zu geben. Und dadurch dafür sensibel zu werden, wo ER – vielleicht auch nur in Augenblicken – in Vertrauen und Mut, in Gerechtigkeit und Frieden, in Dankbarkeit und Freude, in Solidarität und Menschlichkeit unter uns ist.
Christoph Baumgartinger