Der Abwesende ist anwesend
Liebe Mitchrist/innen!
„Sie haben den Herrn aus dem Grab weggenommen“ (Joh 20,2) –
Jetzt hat man IHN, der Maria von Magdala aus ihrem verdüsterten Leben herausgeholt hat, zuerst als Verbrecher hingerichtet und jetzt auch noch seinen Leichnam fortgenommen. Ein zweites Mal weggenommen hat man ihr den, der ihr Leben verändert hat. Sie wollte sein Grab besuchen, um ihn wenigstens als Toten anzutreffen. Doch das Grab ist nicht, was ein Grab üblicherweise ist. Denn am Ort, über den der Tod seine Hand hält, kommt sie seinem Leben auf die Spur. Seine Absenz schlägt um in seine Präsenz. Seine bedrängende Abwesenheit wandelt sich in seine belebende Gegenwart. Nein, nicht so, dass sie ihn greifen, fassen, halten könnte. Nein, so nicht. Aber er ist präsent. Seine Gegenwart bleibt auch, als er sich ihr mit „Halte mich nicht fest“ (Joh 20,17) erneut entzieht.
Ein schöpferischer Vorgang hat sich ereignet. ER, der die Welt ins Leben rief, rief den Zu-Tode-Gebrachten ins Leben. ER, den Maria von Magdala als weggenommen erleben musste, er ist ihr neu gegenwärtig. Seine Absenz wird zu seiner Präsenz, unzerstörbar.
Diese paradoxe Erfahrung der Gegenwart des Abwesenden war für die Theologie der Ausgangspunkt ihrer Lehre vom Heiligen Geist. Denn die Erfahrung, die Maria Magdalena am Grab gemacht hatte, machten Menschen auch später in nachbiblischer Zeit. Im Heiligen Geist ist Jesus gegenwärtig. Und diese seine Gegenwart ist eine ganz eigene Größe. Sie ist etwas anderes als Jesu Gegenwart vor dem Tod. Der Heilige Geist ist die verborgene und zugleich schöpferische Anwesenheit des Auferstandenen in der Geschichte der Menschheit. Das feiern wir.
Ostern war nicht. Ostern ist – immer dort, wo es uns geht wie Maria von Magdala und dann den Jüngern. Für sie war Ostern kein Hochamt – das soll uns heuer in besonderer Weise bewusst sein. (Was nicht heißt, dass man keines feiern sollte, wenn es möglich ist.) Ostern ereignet sich für sie am Grab. SEINE Gegenwart erfuhr sie partout dort, wo sie es nicht erwarten konnte. Ja, Ostern irritiert. Ostern weckt auf. Ostern ruft ins Leben.
Mit seinem Sterben hat Jesus alle Tiefen des Lebens durchmessen. Ostern hat deshalb unzählige Orte. SEINE Gegenwart scheint durch:
wo sich in vermuteter Ausweglosigkeit Zeichen eines Anfangs auftun,
wo sich im Überfordert-Sein der innere Ruf nach Selbstachtung Luft macht,
wo im Streit der Gedanke erwacht, es nicht dabei zu belassen,
wo in der Sprachlosigkeit der Trauer das Schweigen zu sprechen beginnt,
wo man angesichts des Unfassbaren zu einem Gebet greift,
wo ich das eigene Scheitern umfangen weiß vom wohltuend grundlosen Angenommen-Sein durch IHN,
wo ich spüre, „dass ich meine Liebe üben muss, jahraus und jahrein“ (Handke),
wo jemand erlittenes Unrecht samt den Verursachern Gott übergibt und sich davon löst,
wo Menschen sich in Krankenhäusern risikoreich investieren in die Sorge um Kranke,
...
– da leuchtet seine Gegenwart auf. Da ereignet sich – wenn auch leise – Ostern!