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Darin verarbeitet wird eine recht ungewöhnliche Darstellung des Sterbens (unten) und der Krönung Mariens (oben). Ungewöhnlich deshalb, weil üblicherweise die „Dormitio“ (Entschlafung) Mariens im Kreise der Apostel dargestellt wird. Dies hängt mit einer apokryphen Legende zusammen, wonach sich die Gottesmutter im Haus des Johannes und dessen Bruder Jakobus (am Berg Zion in Jerusalem) aufgehalten haben soll. Als ihre Zeit gekommen war, wurden die in alle Himmelsrichtungen entsandten Apostel herbeigerufen, um ihr in der Todesstunde beizustehen. Gegenständlich dürfte aber ein Zeitpunkt unmittelbar vor dem Eintreffen der Apostel erfasst sein. Denn einerseits ist sie nur von Johannes mit der Sterbekerze in der Hand und (vermutlich) Jakobus umgeben. Andererseits sitzt die Gottesmutter noch in einem Stuhl und liegt nicht im Sterbebett.
Derzeit (2024) befasst sich mit dem unteren Teil des Fensters ein Kunstprojekt von Cécile Belmont unter dem Titel „Näher“. Cécile Belmont wurde vor allem davon angesprochen, wie Johannes und Jakobus die Nähe der Sterbenden suchen und sich liebevoll um sie kümmern. Zum einen Johannes, der Maria die Sterbekerze näherbringt. Die Sterbekerze steht dabei mit Ihrem Licht für die Hoffnung auf das ewige Leben und die Wärme der Liebe Gottes. Der Rauch steigt hinauf in den Himmel und symbolisiert damit den Aufstieg unserer Seele. Gleichzeitig steht die Kerze aber für die Vergänglichkeit des irdischen Lebens. Diese Symbolkraft bietet Johannes der sterbenden Maria dar und spendet damit nicht nur ihr, sondern zugleich sich selbst Kraft und Mut. Dies zeigt sich daran, dass sich beide an der Sterbekerze festhalten und durch sie verbunden sind.
Zum anderen ist da Jakobus, der ganz bewusst Marias Nähe sucht, sie stützt und sie umarmt. Gerade er zeigt, auch wenn er „nur“ im Hintergrund ist, ganz besondere Anteilnahme. So traurig der Anlass sein mag, ist doch auffällig, dass im Sterben selbst von Differenzen geplagte Menschen wieder zusammenkommen, Nähe suchen und daraus Kraft gewinnen.
Durch die wechselseitige Empathie, spenden sich Hinterbliebene – selbst ohne weitwendige Worte, schon durch das bloße Dasein – enormen Trost. Dies wird oft unterschätzt und leider allzu schnell (manchmal schon mit dem Tod) vergessen oder durch vermeintlich Wichtigeres verdrängt. Gott gibt uns laufend Chancen, wieder zu ihm und zueinander zurückzufinden. Diese Chancen gilt es zu erkennen und sich zu trauen, sie zu ergreifen.
Der Tod eines geliebten Menschen kann eine solche Chance sein, eine Chance einander wieder näher zu kommen. Wir müssen nur den Mut aufbringen, diese Chance zu nutzen und wie einen Keim aufzuziehen. So mühsam und manchmal auch deprimierend das sein mag, nur dadurch können Früchte hervorgebracht werden.
Übrigens, wer sich fragt, was es mit dieser dritten Person in der Mitte auf sich hat: Bisher war es mir nicht möglich, sie zu identifizieren (die Fahndung läuft). Allerdings vermute ich, dass es sich dabei um den Heiligen Thomas handelt, der – nach der Legende – wieder einmal zu spät war und nach dem Tod und der Himmelfahrt Mariens von den anderen Aposteln (schon wieder) einen Beweis verlangte. So könnte ich mir zumindest vorstellen, dass er dann eben zu der zwischenzeitig in den Himmel aufgefahrenen und gekrönten Gottesmutter hinaufblickt.
Beitrag als PDF - erschienen im Pfarrblatt 2024-09, Seite 4
Links zum Kunstprojekt "Näher"