Fronleichnam
Wer Fronleichnam nicht kennt, der könnte am zweiten Donnerstag nach Pfingsten verwundert aus dem Fenster schauen, wenn eine Schar von Gläubigen singend und betend an seinem Haus vorbeizieht. Fronleichnam, im Kirchenkalender offiziell "Hochfest des Leibes und Blutes Christi" genannt, ist einer der volkstümlichsten und buntesten Feiertage im Kirchenjahr.
Das Wort "Fronleichnam" stammt aus dem Mittelhochdeutschen und setzt sich aus "vron" (Herr) und "lichnam" (lebendiger Leib) zusammen. Das Fest hat also nichts mit der Leiche Jesu zu tun, sondern die Kirche erinnert sich an diesem Tag an die Einsetzung des sogenannten Altarsakramentes. In der Eucharistie feiern die Katholiken die leibliche Gegenwart Jesu in Form von Brot und Wein. Eigentlich wäre der Gründonnerstag der geeignetste Zeitpunkt für Fronleichnam gewesen. Doch wegen der stillen Karwoche, zu der fröhliche Straßenumzüge nicht passen, wählte man den zweiten Donnerstag nach Pfingsten als Datum.
An Fronleichnam trifft sich die Gemeinde traditionell zu einem Gottesdienst mit anschließender Prozession. Dabei trägt ein Geistlicher den Leib Christi in Form der Hostie durch Straßen und Felder. Die Hostie befindet sich in einer Monstranz, einem mit Gold und Edelsteinen verzierten liturgischen Gefäß, das häufig überdacht ist von einem Stoffbaldachin, auch "Tragehimmel" genannt. Die Gemeinde folgt dem Priester, trägt Fahnen und Blumengestecke, singt kirchliche Lieder und hält an verschiedenen Stationen, die oft mit bunten Blumenteppichen verziert sind. Mit der Fronleichnamsprozession knüpfen die Christen an die lange katholische Tradition der Flurumgänge an, bei denen Gläubige schon im Mittelalter ihre Felder, Wälder und später auch Städte segneten.
Die Entstehung des Fronleichnamsfestes ist recht genau datiert: Der Überlieferung nach hatte eine junge Augustinernonne namens Juliana von Lüttich im Jahr 1209 eine Vision. Der Mond hatte einen Fleck, und dieser Fleck, so soll es Christus ihr erklärt haben, sei das im Kirchenkalender noch fehlende Fest zur Verehrung des Altarsakraments. Schon 1246 wurde das Fest Fronleichnam in Lüttich zum ersten Mal gefeiert. Ein Jahr nach dem eucharistischen Blutwunder von Bolsena (Mittelitalien) erklärte Papst Urban IV. Fronleichnam am 11. August 1264 zum offiziellen kirchlichen Festder. Zuvor war er Erzdiakon in Lüttich.
In der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts kam es auch in Deutschland zu den ersten Fronleichnamsprozessionen. Im Mittelalter hat sich der Brauch vielerorts weit verbreitet. In der Reformation war das Fest jedoch auch Anlass für bitteren konfessionellen Streit. Martin Luther nannte Fronleichnam das "allerschädlichste Jahresfest". Da das Fest keine biblische Erwähnung findet, war es in den Augen Luthers und seiner Anhänger eine Form von Gotteslästerung. Der Streit zwischen Katholiken und Protestanten soll sogar so weit gegangen sein, dass protestantische Bauern ihren stinkenden Kuhmist extra zum Fronleichnamsfest auf die Felder gestreut haben. Doch mit den Jahrhunderten ist der konfessionelle Streit um Fronleichnam einem toleranteren Umgang gewichen. Selbst auf evangelischen Kirchentagen gab es in den vergangenen Jahren mehrfach gemeinsame Fronleichnamsprozessionen.