Donnerstag 3. Oktober 2024
Pfarre Haslach an der Mühl

Gedenktafel-Enthüllung Josef Steffelbauer, 1918-1943

 

Gedenken statt Gedankenlosigkeit

Am Sonntag, dem 15. Mai 2022, erfolgte im Rahmen eines Festaktes in Haslach an der Mühl die Gedenktafel-Enthüllung beim Kriegerdenkmal für den Haslacher Deserteur Josef Steffelbauer, der am 12.2.1943 bei seinem Fluchtversuch aus der Deutschen Armee erschossen wurde.

Dieses Gedenkprojekt war aufgrund einer Initiative und durch das engagierte Betreiben des aus Haslach stammenden Schriftstellers und künstlerischen Fotografen Peter Paul Wiplinger zustande gekommen; ebenso wie das schon 2014 durchgesetzte Gedenkprojekt für die ermittelten 10 Haslacher NSEuthanasie-Opfer der NS-T4-Tötungsaktion („Unwertes Leben“).

Bürgermeister BR Dominik Reisinger, Univ.-Prof. Dr. Peter Gstettner vom Mauthausenkomitee Kärnten/Koroška und Prof. Peter Paul Wiplinger eröffneten den Festakt in der Kirche. Die Enthüllung der Gedenktafel nach einer Rede der Historikerin, Frau Mag. Ludmilla Leitner, mit Segnung durch den Herrn Pfarrer Mag. Gerhard Kobler fand dann im Freien vor dem Kriegerdenkmal statt.

„Der Krieg kennt keine Helden, der Krieg kennt nur Opfer“ betonte Bürgermeister Reisinger in seiner Rede. Dr. Gstettner verwies auf das auch in der Nachkriegszeit verankerte Bild von der Unehrenhaftigkeit der Deserteure und auf das gewollte Vergessen dieser NS-Opfer. Mag. Leitner wiederum spannte einen weiten historischen Bogen über die Opfer aller Kriege zu allen Zeiten. Und Peter Paul Wiplinger brachte seine Ausführungen auf den Punkt mit den Worten: „Helden sind maximal jene, die das befohlene Töten verweigern; dies im Bewusstsein ihres damit eingegangenen Lebensrisikos und des in vielen Fällen auch verlorenen eigenen Lebens.“

Peter Paul Wiplinger wies auch vor allem darauf hin, dass die Wahrheit einer Zeit und ihrer Ereignisse sowie der damit verbundenen Menschen nie zur Gänze in einer faktenorientierten Orts-Chronik, auch nicht in jener von Haslach, zu finden sei, sondern oft nur oder eher in den oft bewusst verschwiegenen, nie erzählten, sondern verdrängten und vergessenen Lebensgeschichten der Menschen.

Und er sprach die Hoffnung aus, dass diese Gedenktafel ein sichtbares Zeichen sein möge für ein Umdenken bei der Bewertung historischer Ereignisse und dass dies einhergehen möge mit der Entmythisierung des Kriegers als Held und Kämpfer für das Vaterland oder wofür auch immer.

Gerade in der heutigen Zeit gäbe es Anlass genug (Ukraine), sich nicht in die Gedankenlosigkeit zu flüchten, sondern sich der Wahrheit zu stellen.

Haslach habe mit diesem Gedenkprojekt ein weiteres sichtbares Zeichen für dieses Umdenken gesetzt, das nicht nur in Bezug auf die Bewertung von Ereignissen in der Vergangenheit, sondern auch für die in der Gegenwart von großer Bedeutung sei.

Peter Paul Wiplinger

Copyright © by Peter Paul Wiplinger,

Rasumofskygasse 32/4, A-1030 Wien, www.wiplinger.eu

 

 

Rede zur Gedenkfeier am 15. Mai 2022 von Ludmilla Leitner:

Helden und Opfer

„Wie lange noch lassen sich erwachsene Menschen einreden, dass eine sinnlose und anarchische Organisation zwischen den Staaten ein Recht hat, das Leben zu nehmen? Wie lange noch lassen sich Mütter die Söhne, Frauen die Geliebten, Kinder den Vater abschießen für eine Sache, die nicht die Kosten für den Mobilmachungsbefehl wert ist? Wie lange noch wird Mord sanktioniert...?“

Das, meine Damen und Herren, könnte eine Fragestellung zur aktuellen Kriegslage in der Ukraine sein. Ist es aber nicht. Die Frage hat sich vielmehr vor fast 100 Jahren Kurt Tucholsky gestellt, nachdem ihm bei einem Gang durch einen Pariser Vorort an vielen Häusern angebrachte Glastafeln ins Auge fielen. Sie enthielten Nachrufe an Gefallene des Ersten Weltkrieges. Und er beschreibt seine Eindrücke angesichts der heroischen Inschriften in seinem Essay „Die Tafeln“, das 1925 in der Zeitschrift„ DIE WELTBÜHNE“ erschien, wie folgt:

„Was ist das –?

Das ist eine Erinnerung, ein Mahnzeichen, ein kleines Pflasterchen für die Frau und die Kinder, die der zurückgelassen hat. Und so viele –! Eine Glastafel – klack, ein trockner Gewehrschuss. Eine Glastafel – bumm – ein Volltreffer, nichts ist mehr von dem Mann übrig. Eine Glastafel – wumm – ein Paar Beine mit Stiefeln liegen unter einem Baum, wohin sie die Explosion geschleudert hat. Ich gehe durch die Straßen und sehe auf einmal nur noch dies: nur noch die Tafeln und die zerschmetterten Köpfe, die auslaufenden Augen, die herausquellenden Lungen, die blutdurchtränkten schweren Reiterhosen, den Haufen Knochen, die verrostete Erkennungsmarke.“

Tucholsky schließt seine Glosse mit einem Appell:

„Die Tafeln sind eine Sitte wie jede andre auch, ein ehrendes Gedenkzeichen für die Toten. Aber die Tafeln lügen. [….]. Uns fehlen andre Tafeln. Uns fehlt diese eine: „Hier lebte ein Mann, der sich geweigert hat, auf seine Mitmenschen zu schießen. Ehre seinem Andenken!“

Ja, mit Josef Steffelbauer lebte hier in Haslach ein Mann, der sich geweigert hatte, auf seine Mitmenschen zu schießen. Spät aber doch bekommt er hier und heute seine „andere Tafel“, eine jener „anderen Tafeln“, die Tucholsky schon zu seiner Zeit gefehlt hatte. Eine jener anderen Tafeln, die vielen anderen Kriegsdienstverweigerern aus bekannten Motiven nach wie vor vorenthalten wurde. Die NS-Propaganda schaffte in zynischer Perfektion die Täter-Opfer-Umkehr, Begriffe wie Patriotismus, Pflicht, Treue und Ehre wurden bis zur Neige missbräuchlich strapaziert, Widerstand dagegen als „Fahnenflucht“, als „Feigheit vor dem Feind“, als „Wehrkraftzersetzung“ gebrandmarkt.

In Vollziehung der Hitler-Doktrin „Der Soldat kann sterben, der Deserteur muss sterben.“ hatte die NS-Militärjustiz bis Kriegsende Zigtausende Todesurteile vollstreckt. Josef Steffelbauer hatte sich geweigert auf seine Mitmenschen zu schießen. Laut Leichenschau-Schein, ausgestellt vom Lazarett Augsburg, wurde er im Alter von 24 Jahren – Zitat: „Fahnenflüchtig. Bei Aufgreifen vom Polizisten beim Fluchtversuch angeschossen“ und ist nach Verblutung am 12. Februar 1943 um 12:30 Uhr gestorben.“

Auch in Haslach fiel es manchen lange schwer, sich klar und vernehmlich von der NS-Vergangenheit zu distanzieren. Man spricht nicht darüber, um möglichem Ungemach mit den Nachkommen der einstigen Protagonisten aus dem Wege zu gehen. Die NSOrtsparteileitung war stolz auf ihre Vorkämpfer- und Vorbildrolle im Bezirk, ernannte Adolf Hitler 1938 als „Führer, Reichskanzler und Befreier“ zum Ehrenbürger, benannte den Haslacher Marktplatz in „Adolf Hitler-Platz“. Ein im Anschluss-Gedenkjahr 1988 von der SPÖ eingebrachter Antrag auf Aberkennung der geschichtlich belastenden Ehrenbürgerschaft fand zunächst und dann sehr lange keine Mehrheit im Gemeinderat. Erst in einem zweiten Anlauf, 16 Jahre später, wurde die Ehrenbürgerschaft Hitlers endlich und einstimmig für null und nichtig erklärt.

Auch über das Kapitel Josef Steffelbauer wurde nie gesprochen. Professor Peter Paul Wiplinger, Schriftsteller und Mitglied der österreichischen Liga für Menschenrechte und des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes, ist es zu verdanken, dass in dieser Sache nicht Bekanntes, Vergessenes oder Verdrängtes nunmehr an die Öffentlichkeit gelangt und in der Haslacher Ortschronik verankert wird.

Ja, spät aber doch bekommt Josef Steffelbauer hier und heute seine „andere Tafel“. An würdiger Stelle neben den Kriegerdenkmälern und dem Euthanasie-Gedenkstein.

Möge die Tafel einer Erkenntnis dienen, nämlich dieser:

So wie die zehn Haslacher Euthanasieopfer nicht „lebensunwertes Leben“, sondern Menschen mit Anspruch auf Würde und Anerkennung waren, so waren die am Haslacher Kriegerdenkmal eingravierten Gefallenen keine Helden, sondern arme Opfer sinnloser Angriffskriege. Und schließlich ist ein Mann, der sich geweigert hat auf seine Mitmenschen zu schießen, kein Feigling und Vaterlandsverräter, sondern ein Mensch, dem Ehre und Andenken gebühren.

 

 

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