

Im Herbst 1883 gründete Bürgermeister Franz Xaver Mathie ein Komitee zur Errichtung eines Krankenhauses, das mit einer Kleinkinderbewahranstalt verbunden werden sollte. Da nur eine etappenweise Finanzierung denkbar war, wollte man – so die Pfarrchronik – „nach dem Grundsatze a minore ad maius“ („vom Kleineren zum Größeren“, Anm.) die Errichtung der Kleinkinderbewahranstalt als quasi Starthilfe für den Krankenhausbau vorziehen. Hierzu erwarb man 1884 das Haus in der Sternwaldstraße (heute Schmidinger), im Jänner 1885 konstituierte sich der „Verein zur Erhaltung der Kleinkinderbewahranstalt“, am 2. September des gleichen Jahres konnte die Einrichtung feierlich eröffnet werden. Mit der Leitung wurden die geistlichen Kreuzschwestern betraut. Die Idee des Doppelprojektes Krankenhaus/Kindergarten blieb hingegen Wunschdenken, nachdem der Krankenhausbau erst 17 Jahre später und an anderer Stelle realisiert wurde. Aber auch in eigenständiger Führung fielen dem Kindergarten im Wandel der Zeit Mehrfachfunktionen zu. Gleich nach der Gründung erhielt das Haus eine „Privatarbeitsschule“ für Mädchen, die „Nähschule“, die periodisch Ausstellungen veranstaltete und während des Ersten Weltkrieges Wollsachen für die Frontsoldaten strickte. In dieser Zeit beherbergte der Kindergarten weiters die „Suppenanstalt“, zugunsten armer oder unterernährter Kinder. Im Advent 1919 war die Lebensmittelversorgung so triste, dass die Suppenanstalt geschlossen blieb. Im März 1920 wird eine
Ausspeisestelle der amerikanischen Kinderhilfsaktion eingerichtet. Pfarrchronik und Presse berichten ausführlich darüber (rechts). Die Messung und Wägung nach der Pirquet`schen Meßtafel über Alter, Größe und Gewicht des Kindes
ergab bei 213 Haslacher Kindern nachgewiesene Ernährungsdefizite. Schon nach kurzer Zeit freute man sich über „eine nur der Ausspeisung mit den kostbaren Lebensmitteln zuzuschreibende Gewichtzunahme.“ Und „mit Jubel vernahmen die Kinder die Freudenbotschaft, dass sie nunmehr auch am Himmelfahrtsfeste und den anderen Feiertagen zur Ausspeisung kommen dürfen.“
In den hundert Jahren von der Suppenanstalt bis heute vollzog sich der Wandel vom ideologischen Dogma „Kind zur Mutter und Mutter zum Herd“, vom Bewahren und Belehren hin zum modernen Kindergarten mit professioneller kinderpädagogischer Betreuung als soziale frühkindliche Begegnungs-, Förder- und Bildungsstätte.
Norbert Leitner