Der "schiefe Turm des Innviertels"
Wie bereits erwähnt, wurde die Pfarrkirche auf einem Hügel errichtet, der wahrscheinlich als Teil einer Wehranlage im Mittelalter teilweise aufgeschüttet worden ist. Größere Setzungen am Kirchturm dürften bereits in den ersten Jahrhunderten nach dem Bau der Kirche aufgetreten sein; immerhin beschränkt sich die heutige Schiefstellung des Turms in erster Linie auf den unteren, quadratischen (gotischen) Teil, während der obere, nach dem Brand des Jahres 1716 aufgemauerte achteckige Aufsatz nahezu senkrecht ist. Eine Besonderheit der Kirche ist außerdem, dass das Niveau, und zwar auch das Kirchenpflaster im Inneren, durchgehend von Westen (Turm) nach Osten (Hauptaltar) ansteigt. Es ist daher auch nicht auszuschließen, dass in Anpassung an dieses ansteigende Niveau der Kirchturm von Anfang an eine leichte Schiefstellung Richtung Westen erhalten hat.
An der Turmkuppel, die nach dem Brand des Jahres 1716 errichtet worden war, waren immer wieder Reparaturen erforderlich (1752, 1833, 1856, 1883, 1902, 1922). Insbesondere die Holzschindeleindeckung musste wiederholt erneuert werden. So wurde beispielsweise im Winter 1921/22 von der Gemeindevorstehung zum Schindelmachen ein Fichtenstamm vom Schlagergut in Raad gekauft. Im Frühjahr 1922 fertigten Zimmerer Schindeln an, die im Sommer getrocknet und mit denen ab Oktober die Turmkuppel neu eingedeckt wurde. Dabei schleuderte am 3. November ein Sturm die Gerüstläden vom Turm in den Friedhof, wobei an Friedhofkreuzen ein erheblicher Schaden angerichtet wurde. Erwähnenswert ist auch, dass 1880 von Franz Dewagner in Linz um 550 Gulden eine neue Turmuhr angeschafft wurde.
Die „Kirchturmhysterie“ in den Zwanziger Jahren
Befürchtungen, dass der Kirchturm einsturzgefährdet ist, gab es ab dem Jahr 1922. Von der Mehrheit der Bevölkerung und von der Gemeindevertretung wurden diese Befürchtungen mit dem Wort „Kirchturmhysterie“ abgetan. 1926 fand diese Aufregung ein Ende, indem kleinere Sanierungsmaßnahmen vorgenommen wurden. Hier eine kurze Chronik der Ereignisse:
Die Kirche wies schon seit langem Risse im Mauerwerk auf. Insbesondere zwischen dem Langhaus und dem Kirchturm befanden sich bis in die Fundamente reichende Risse, aber auch von den Fenstern der Orgelempore zogen sich Risse teilweise bis zum Boden. Man wusste um die Schiefstellung des Turms und nahm die Risse als eine Gegebenheit hin. Als aber am 12. Oktober 1922 der Kirchturm in Taufkirchen an der Pram einstürzte, hielt es Pfarrer Martin Hurnaus für seine Pflicht, die Risse im Mauerwerk den Behörden anzuzeigen.
Riseee in der Kirchenmauer ( 1923 )
In der Folge fanden mehrere Kommissionen durch die Oö. Landesregierung und durch den Dombaumeister der Diözese Linz, Matthäus Schlager, der selbst ein Diersbacher war (vom Schlagergut in Unterholzen), statt. Bei diesen Kommissionen wurde festgestellt, dass der Turm, der 47 Meter hoch ist und unten 163 Zentimeter starke Mauern und eine Aufstandfläche von 42 Quadratmetern aufweist, ein Gewicht von rund zwei Millionen Kilogramm hat. Bei Berücksichtigung der vorhandenen Schiefstellung des Turms, die damals 64 Zentimeter betrug, werde der Untergrund an der Westseite mit 7,5 kg/cm² zu stark belastet. Jede weitere Zunahme der Neigung erhöhe den Druck und vergrößere damit die Gefahr, dass der Turm umfällt. Es wurde daher vorgeschlagen, durch Abtragung der Kuppel und der zwei oberen Etagen das Gewicht des Turms um fünfhundert Tonnen zu verringern. Der Turm sollte ein gotisches Spritzdach und somit wieder die Gestalt, wie er sie vor dem Brand 1716 hatte, erhalten. Außerdem sollten die Sandfundamente „abgepflockt“ werden. Ein weiterer Vorschlag sah den Anbau eines Stützpfeilers an der Westseite des Turms vor.
Plan für Umbau des Kichenturms ( 1923 )
Gegen diese Vorschläge erhob sich ein vehementer Protest von Teilen der Bevölkerung. Es hieß, der Turm sei schon immer so gewesen, es handle sich nur um eine Hysterie und Pfarrer Hurnaus stürze mit seiner Anzeige die Gemeinde in unnötig hohe Kosten, die man sich nicht leisten kann. Dombaumeister Matthäus Schlager, obwohl selbst ein Diersbacher, schien bei einer Versammlung seines Lebens nicht mehr sicher. Die Maschine, die schon für die Abtragung des oberen Turmteiles bereitstand, musste er wieder wegbringen lassen.
Über Anordnung der Behörden wurden in der Kirche Gerüste aufgestellt, mit denen das gerissene Chorgewölbe abgestützt wurde. Gleichzeitig wurde am 24. Februar 1923 die Kirche behördlich gesperrt, woraufhin die Messen vorübergehend im Pfarrhof zelebriert wurden. Der Gemeindeausschuss fasste in dieser Zeit mehrere Beschlüsse, mit denen anfangs um einen Aufschub bezüglich einer Abtragung des Turmes ersucht und später eine Abtragung gänzlich abgelehnt wurde. Die Kirche blieb zwar weiterhin gesperrt, wurde aber bald auf eigene Verantwortung der Pfarrgemeinde wieder benützt. Obwohl im Dezember 1924 zwei Glasspione, die weitere Bewegungen des Kirchturms beobachten sollten, gerissen waren, geschah trotz des Druckes der Behörden in der Folge nichts. Dies alles griff Pfarrer Hurnaus so stark an, dass er am Fronleichnamstag 1925 einen Schlaganfall erlitt, von dem er sich nicht mehr erholte und am 30. Oktober 1925 verstarb.
Bewegung in die Sache gelangte erst wieder unter Pfarrer Gottfried Auer. Dieser begnügte sich um des Friedens willen mit den von der Gemeinde vorgeschlagenen Sanierungen, wenn die Gemeinde für den Fall, dass doch ein Unglück passiert, die Verantwortung übernimmt. So erwirkte Bürgermeister Matthias Stahr die Entfernung der Gerüste aus der Kirche. Gleichzeitig wurden alle Risse bloßgelegt, ausgeputzt und mit Zement ausgegossen. Außerdem wurden in jenen Bereichen, in denen die Risse in die Fundamente verliefen, ungefähr einen Meter tiefe Betonsockel ausgegossen. Für die Auslagen der Gemeinde, die die Materialkosten übernommen hatte, hob diese in den Jahren 1926 bis 1928 eine 25%ige „Kirchenumlage“ von der Bevölkerung ein. 1929 wurde die Kirche außen renoviert, wobei der Zimmererpolier Ludwig Vogl und der Webersohn Josef Schratzberger, beide aus Froschau, in einem Hängekorb stehend auch die Turmkuppel samt Kreuz und Knauf neu strichen. 1932 wurde schließlich die Umgebung des Turms wieder für die Anlegung von Gräbern freigegeben, nachdem seit 1923 ein Umkreis von sechs Metern gesperrt war.
Von den Lärchenschindeln zur Kupfer-Turmkuppel:
Die Schindeleindeckung der Turmkuppel musste immer wieder erneuert werden. 1940 waren es 6.000 neue, dreimal gestrichene Lärchenschindel, mit denen die Turmkuppel neu eingedeckt wurde. In den Fünfziger Jahren stellte sich heraus, dass bei der Turmkuppel sowohl die alten hölzernen Mauerbänke als auch die acht großen Hauptsäulen angefault sind. Im Herbst 1957 wurde daher die gesamte Turmkuppel abgetragen und neu errichtet, wobei dieses Mal die Eindeckung mittels Kupfer erfolgte. Finanziert wurden die Arbeiten mit einer Haussammlung. Außerdem spendete die Raiffeisenkasse das Turmkreuz. 1958 wurde schließlich noch der Turm außen renoviert. Den Abschluss fand die Turmsanierung bei einer feierlichen Weihe des neuen Turmkreuzes durch Generalvikar Prälat Weinberger, wobei Pater Emmerich Doninger ein zu diesem Anlass verfasstes Mundartgedicht vortrug.
Die Stabilisierung des schiefen Turmes
Nachdem in der Kirche bereits seit Jahren einmal monatlich gesammelt worden war, sollte 1986 eine groß angelegte Kircheninnenrenovierung angegangen werden. Da stieß im Zuge der Planungsarbeiten das Baureferat der Diözesanfinanzkammer auf eine Reihe von Rissen, die im Bereich der Empore zwischen Turmmauerwerk und dem anschließenden Kirchengewölbe aufgetreten waren. Es wurde festgestellt, dass der Kirchturm sich in den sechs Jahrzehnten seit der Sanierung im Jahr 1926 um weitere zwanzig Zentimeter nach Westen geneigt hat. Die Schrägstellung, gemessen von der Geländeoberkante bis zum Glockenspiel, betrug nun 85 Zentimeter. Die Baubehörde trug daraufhin eine Abstützung des schadhaften Gewölbes im Bereich der Empore und die Anbringung von Gipsspionen zur Überwachung etwaiger weiterer Bewegungen auf. Außerdem sollten der Baubehörde auf Grundlage von Statikergutachten Sanierungsvorschläge vorgelegt werden.
Eine daraufhin veranlasste Bodenuntersuchung ergab, dass im Bereich des Turms aufgeschüttetes Material bis in eine Tiefe von 3,50 Metern lagert. Darunter sind bis zu einer Tiefe von 8,30 Metern locker bis mitteldicht gelagerte Bodenschichten. Außerdem wurde befürchtet, dass die Setzungen nicht nur auf die schlechten Bodenverhältnisse zurückzuführen sind, sondern dass auch eine Hangrutschung vorliegt. Mittels Inklinometermessungen, die sich über ein Jahr bis Mai 1988 erstreckten, wurden die Bodenbewegungen gemessen. Erst nach Abschluss dieser Messungen konnten die Sanierungsmaßnahmen endgültig geplant werden. So dauerte es bis Dezember 1988, bis eine Sanierung der Kirchenfundamente schließlich in Angriff genommen werden konnte.
Abgelehnt wurde vom Pfarrgemeinderat der Plan, hinter den Seitenaltären eine „Dehnfuge“ anzubringen, was eine „Durchschneidung“ der Kirche bedeutet hätte. Es wurden daher die Fundamente im gesamten Bereich der Kirche stabilisiert. Die Stabilisierung durch die Firma Keller in der Steiermark erfolgte mittels einer großen Anzahl von Bohrpfählen, die im Bereich des Turms bis in Tiefen von 14 Metern gebohrt und mit Zement ausgefüllt wurden, durch riesige Betonklötze sowie durch Vorspannglieder, Spannkabel und Gewindeformstähle, sodass sämtliche Lasten über die Tragglieder und Bohrpfähle auf die tragfähigen Bodenschichten übertragen werden. Außerdem wurde der Hang durch Schräganker gegen Rutschungen abgesichert. Diese Arbeiten wurden im Sommer 1989 beendet. Während der Untersuchungen und Stabilisierungsarbeiten neigte sich der Turm weiter, sodass dieser nun eine Schrägstellung von nahezu einem Meter aufweist. Nun scheint aber gewährleistet, dass Diersbach der „schiefe Turm des Innviertels“ erhalten bleibt.
1989 wurde auch mit der eigentlichen Renovierung der Kirche begonnen. Die Kirche wurde ausgeräumt; nahezu zwei Jahre lang fanden die Sonn- und Feiertagsmessen im Saal des Gasthauses Jell und die Wochentagsmessen im Pfarrheim statt. Insgesamt beliefen sich die Sanierungs- und Renovierungskosten (ohne der später folgenden Orgel) auf rund 16 Mio. Schilling, wobei je rund die Hälfte auf die Fundamentstabilisierung und die Kirchenrenovierung entfielen. Gut ein Viertel dieser Kosten wurde dabei von der Pfarrbevölkerung selbst durch Spenden und Robotleistungen aufgebracht.
Nachdem die erste Messe am 16. Dezember und ein Adventsingen am 21. Dezember in der neu renovierten Kirche abgehalten worden waren, fand am 30. Dezember 1990 mit der Altarweihe durch Diözesanbischof Maximilian Aichern die offizielle Wiedereröffnung der Kirche statt. Bei der anschließenden Feier im Gasthaus Jell überreichte Bürgermeister Karl Hörlberger an Pfarrer Konsistorialrat Kanonikus Karl Kalchgruber in Würdigung seiner Verdienste um die Erhaltung der Pfarrkirche den Goldenen Ehrenring der Gemeinde Diersbach.