Anna Selbtritt
Bad Schallerbach ist ein junger Ort. Aber ein Juwel aus alter Zeit haben wir doch: unsere Kirche auf dem Magdalenaberg. Da befindet sich neben dem Westportal unter der Empore die Figurengruppe „Anna Selbdritt“, herübergerettet aus dem Spätmittelalter oder der beginnenden Neuzeit (zwischen 1470 und 1500). Das waren unruhige, chaotische Zeiten damals!
In göttlicher Dimension, dürfte die Zeit wohl keine Rolle spielen. In dieser Skulptur werden die Lebensphasen bunt durcheinandergewirbelt.
Großmutter, Mutter und Kind in harmonischer Einheit.
Maria ist als größeres Mädchen dargestellt, hier mit einem goldenen Haarreif im offenen Haar, in anderen Gruppen schon mit Schleier oder mit der Krone der späteren Himmelskönigin. Oft hält sie ein aufgeschlagenes Buch in den Händen, denn ihre Mutter Anna lehrt sie das Lesen. Das war damals und auch im Mittelalter keine Selbstverständlichkeit.
Ein Finger ihrer Hand berührt zärtlich einen Finger des kleinen Jesusknaben. In seiner Hand ruht der goldene Reichsapfel mit dem Kreuz. Ist das schon ein Hinweis darauf, dass Jesus später vor Pilatus sagen wird: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt.“? Wie fast immer ist der kleine Jesus auch hier beinahe nackt. Ist es ein Hinweis darauf, wie verletzlich er und alle kleinen Kinder sind, und wie sehr sie unseren Schutz und unsere Fürsorge brauchen?
In der Kunstgeschichte heißt so eine Gruppe „Anna Selbdritt“.
Die heilige Anna, Mutter der „Jungfrau Maria“ und Großmutter Jesu, umfängt in mütterlicher Geste ihre Tochter und ihren kleinen Enkel. Sie strahlt Weisheit, Sanftheit und Sicherheit aus.
Die heilige Anna erinnert an die großen Muttergöttinnen der Mythologie. Ihr Reich erstreckte sich über den ganzen Lebenszyklus - von der Geburt, durch die Zeit der Reifung und Fruchtbarkeit, bis über den Tod hinaus, wenn wir den Leichnam in Mutter Erde betten.
Der Name ANNA ist sehr alt und weit verbreitet: Annaberg, Sankt-Anna-Kinderspital mit der Kinderkrebsforschung, Annenquellen, Annenkapellen, viele mehr.
Die heilige Anna kommt nur in den Apokryphen, den kirchlich nicht anerkannten Schriften, vor. Höhen und Tiefen eines Frauenlebens spiegeln sich in ihr. Ihre Ehe mit Joachim blieb lange kinderlos. Der halbwüchsige Jesus haut einfach ab, ist lange unauffindbar und versteht die Sorgen der Eltern gar nicht. Das aber ist noch nicht das Schlimmste.
Annas Festtag ist der 26. Juli. Sie wird als Patronin der Mütter, der Eheleute, der Lehrkräfte und der Bergleute auf der ganzen Welt verehrt.
Sogar in der weitgehend männerdominierten Kirche, in der Kunst und in der Volksfrömmigkeit hat Anna Selbdritt, das Bildnis dieser zärtlichen, heiligen Dreieinigkeit, einen bleibenden Platz. Was für eine Wohltat!
Christine Gruber