„Das Wunder sich selbst zu finden“
Vor einigen Wochen war es wieder so weit: Drei in diesem Sommer von ihrem Einsatz zurückgekehrte „MissionarInnen auf Zeit“/(MaZ-lerInnen) aus Österreich und Ungarn haben sich auf den Weg nach Salzburg, genauer gesagt nach Bischofshofen gemacht, um dort in St. Rupert, dem Missionhaus der Steyler Missionare ein Wochenende mit Reflexion, Auswertung und Austausch zu verbringen. Die MaZ-RückkehrerInnen hatten Zeit für den Erfahrungsaustausch untereinander und konnten einander Anregungen geben, wie sie in Zukunft als MultiplikatorInnen in ihrer Heimat die MaZ-Vision von der „Einen Welt“ leben und in ihren Alltag integrieren können.
Rahel und Riccarda, zwei junge Frauen aus Österreich und Victor aus Ungarn haben ihr MaZ-Jahr in Argentinien, St. Kitts (eine kleine Insel in der Karibik) und in Indonesien verbracht. Begleitet von Sr. Hemma, P. Severin und Sr. Christina haben sie sich viele Fragen bzgl. ihres Einsatzes gestellt und erzählt, wie sie sich in der Zwischenzeit auch wieder in ihrem Alltag in den Heimatländern zurechtgefunden haben. Wieder gut und mit „ganzem Herzen“ in der Heimatkultur anzukommen, ist ein spannender und nicht immer ganz leichter Prozess. Wir haben im Austausch beeindruckende Fotos gesehen und Schilderungen von Lebensschicksalen gehört, die uns alle sehr berührt haben. Nun sollen die jungen Leute selber zu Wort kommen:
Die 20-jährige Riccarda aus Oberösterreich, die derzeit eine Ausbildung zur Volksschullehrerin absolviert, fasst ihre Zeit auf St. Kitts zusammen:
„Als ich ankam, wurde ich mit einer solchen Freude und Gastfreundschaft willkommen geheißen, dass ich sofort wusste, dieses Jahr würde einmalig werden. Meine Aufgabe war es, 17 Kinder im Alter von 4-5 Jahren zu unterrichten und auf die Volksschule vorzubereiten, d.h. ihnen Buchstaben und Zahlen beizubringen, sowie ihnen zu zeigen, den eigenen Namen zu schreiben. Nach ein paar Anfangsschwierigkeiten unter anderem die Kultur, die Sprache und das Klima betreffend, hatte ich die Kinder schnell ins Herz geschlossen und konnte mir keinen Tag mehr ohne sie vorstellen.“
Victor aus Ungarn hat ein Jahr auf der indonesischen Insel Flores in einem Kinderheim gearbeitet, in dem hauptsächlich missbrauchte Mädchen ein neues Zuhause gefunden haben:
„Für mich war das Jahr ein Wachsen im Glauben und im Aufbau von Kontakten mit Menschen. Wenn ich jetzt das Wort LEBEN höre, denke ich immer wieder an die Kinder im Heim. Eigentlich habe ich die wirkliche Bedeutung des Wortes Leben erst dort gelernt. Hier in Europa leben wir im „Reichtum“, aber dort ist jeder Tag ein neuer Kampf ums Überleben. Es war eine sehr berührende Erfahrung zu sehen, dass diese Mädchen ihre Hoffnung nie verloren haben. Sie haben im Heim neuen Mut, Motivation und Kraft bekommen. Auf einem Teil des MaZ-Logos ist ein Flügel zu sehen, als Symbol für den Frieden, für neue Freundschaften und auch für neue Perspektiven. Obwohl es jeden Tag so viele Tragödien gibt, herrscht im Land ein Gefühl des Friedens. Ich kann es nicht richtig beschreiben, man muss da sein, um es zu spüren. (…) Vor einem Jahr wusste ich nicht, was mich erwarten wird. Nichts. Aber jetzt kann ich sagen, dass jeder Tag ein Wunder war. Es war wie ein Wunder, eine ganz neue Kultur kennen zu lernen, mit Menschen zu reden und zu helfen. Ich konnte Freude in der Armut sehen. Und ein Wunder war es auch mich selbst zu finden.“
Rahel aus Vorarlberg war für ein Jahr in Argentinien. Ihr Einsatzort war in Floresta, einem Stadtteil von Buenos Aires. Sie erzählt von ihrer Arbeit in einer Schule, die dort von unseren Schwestern geführt wird:
„Ich arbeitete von montags bis freitags in der Schule als „Preceptora“ (Erzieherin) der „primaria“ (1. bis 7. Schulstufe). Bei dieser Tätigkeit ging es hauptsächlich darum, SchülerInnen zu helfen, wenn es ihnen nicht gut geht oder sie etwas brauchen. Unser Team bestand aus vier Leuten. Wir wurden täglich mit Kinderkrankheiten, Verletzungen, Nasenbluten, Bauch- und/oder Kopfschmerzen konfrontiert. Zum Glück hatten wir nicht nur Kranke und Verletzte, die zu uns ins Büro kamen, sondern auch Kinder, die etwas verloren hatten, einen Ball zum Spielen ausleihen wollten oder Kopien brauchten. Ich mochte diese Arbeit besonders, da die Kinder gerne zu uns kamen und sie uns sehr viel Vertrauen schenkten, da sie wussten, dass wir ihnen helfen.
Am Samstag ging ich mit einer Postulantin (Anwärterin für das Ordensleben) nachmittags in ein Armenviertel. Wir halfen dort bei den Firm- und Erstkommunionsvorbereitungen. Die Eltern dieser Kinder und Jugendlichen waren fast alle aus Paraguay eingewandert und erhofften sich in Argentinien ein besseres Leben. Nur eine halbe Stunde mit dem Bus vom Wohnort der Schwestern entfernt, war das Leben in diesem Armenviertel komplett anders. Im Zentrum dieses Armenviertels war ich nie, nicht mal die, die da wohnen waren da. Da befinden sich nur noch kleine Gassen. Es gibt dort sehr sichtbare Armut und sehr viel Kriminalität. (…) Ich bin dankbar, dass ich diese Erfahrung machen durfte. Man sieht die Dankbarkeit in den Augen der Kinder. Ich durfte über mich hinauswachsen und ich lernte neue Freunde, ein neues Land kennen. Und ich lernte was es heißt mit ganz wenig glücklich zu sein. Vor allem konnte ich auch neue und mir davor unbekannte Einblicke in das religiöse Leben gewinnen. Ich lernte, dass den Glauben auszuleben nicht nur heißt, in der Kirche zu sitzen und zu beten, sondern dass „Glauben leben“ geschieht, wenn man einander hilft, wenn man jemanden zum Lachen bringt oder wenn man Menschen, die alleine sind, Gesellschaft leistet.“
Für uns als BegleiterInnen ist es immer wieder faszinierend zu sehen, wie sehr so ein MaZ-Jahr junge Menschen verändert und in ihrer Persönlichkeit wachsen und reifen lässt. Riccardas Worte sind nur ein Beispiel dafür:
„So kann ich sagen, dass ich dieses Jahr nicht nur im Glauben gewachsen bin, sondern auch meine Persönlichkeit gereift ist. Ich wurde offener gegenüber anderen Kulturen und kann mich nun besser in die aktuelle Situation der Flüchtlinge hineinversetzen, was es bedeutet, sein Heimatland zu verlassen und in ein völlig fremdes Land zu kommen. Ich lernte die kleinsten und selbstverständlichsten Dinge wieder zu schätzen. Ein Jahr voller reicher Erfahrungen und Erlebnissen liegt hinter mir und ich bin von tiefstem Herzen dankbar und glücklich!“
Christina Blätterbinder