Ostern – und die „Trotzdem-Kraft“
Viel wird uns zugemutet zur Zeit: politisch, gesellschaftlich und in persönlichen Belangen. Seit über einem Jahr schon. Ungeduld, Zorn, Gleichgültigkeit, Erschöpfung – wer kennt das nicht? Und doch ist es gerade dieser Alltag mit all seinen Herausforderungen, der uns Menschen in besonderer Weise anvertraut ist und auch zugemutet wird. Nicht die Gipfelerlebnisse sind das Bedeutsame mit außerordentlichen Fernblicken und tollen Sonnenauf- und –untergängen, sondern die „Mühen der Ebene“.
Hinwendung zum Alltag
Besonders eindrucksvoll zeigt sich das etwa im Matthäus-Evangelium bei der Erzählung von der Botschaft des Engels am leeren Grab. Hier kommen die Frauen zu ihrem toten Meister. All ihre Hoffnung sehen sie begraben. Die Zukunft scheint ihnen versperrt. In dieser trostlosen Situation aber dringt eine Botschaft an ihre Ohren, in ihre Herzen: Geht zurück nach Galiläa! Bleibt nicht hier – verschlossen in der eigenen Trauer und Lethargie. Geht zurück nach Galiläa – in den Alltag. Trotz oder gerade wegen der Schwierigkeiten, dem Morast und den Fallstricken, die es hier gibt. Hier, mitten im Gewöhnlichen, mitten im Schwierigen, mitten in der Erschöpfung wird sich zeigen, dass das Leben gelingt und wertvoll ist, dass Abgestorbenes neu aufblühen kann und Wunden zu heilen vermögen. Hier im Gewöhnlichen ist der Ort von Ostern.
Schlüsselerfahrung
Der Grund für diese Hinwendung zum Alltag ist in einem „Reset“ zu sehen, in einer neuen Anknüpfung an jene Erfahrung, die die Frauen und Männer um Jesus herum einst in Galiläa machen durften. An seiner Seite, mitten in den Herausforderungen des Alltags ging ihnen auf: Vertrauen zahlt sich aus. Ein Vertrauen, dass ich nicht alleine bin. Dass es jemand gibt, der mit mir durchs Feuer und durch reißende Fluten geht. Ein Vertrauen letztlich in jenes Versprechen, das Gott selbst gegeben hat: Ich werde da sein. Im Schönen und im Dornigen. Ja, sogar selbst im Tod. Und getragen von dieser Zusage ist es möglich, ebenfalls sein je eigenes „Ich-bin-da“ zu wagen und zu entwickeln: verlässlich zu sein, wo es schwierig ist, die Hand zu reichen, wo man eigentlich gehen möchte, es trotzdem immer wieder aufs Neue miteinander zu versuchen, dem Ja mehr zu trauen als dem Nein. All das ein Vorgeschmack von Auferstehung!
Aufstand für das Leben
Im Wort Auferstandener steckt übrigens das Wort „Aufstand". Ostern ist der Aufstand Gottes für das Leben. Ein Aufstand gegen alles Krümmende, Verletzende und Erniedrigende. Und die, die in den Spuren des Auferstandenen unterwegs sind, sollen genau in diesem Sinn Aufständische sein. Mit einem langen Atem, mit Gespür für das Mögliche und ungemein kreativ. Ostern – die große Trotzdem-Kraft.
trotzdem lachen / trotzdem scherzen / trotzdem hoffen
und immer wieder auch ein auge zudrücken.
mitten im engen / mitten im zähen / mitten im alltäglichen
in einer zeit / voll von widersprüchen.
das ist viel / sehr viel sogar.
selbst in kleinen dosen.
(aus: Stefan Schlager, gegenwärtig. Lyrik und Meditationen, Verlag am Rande 2021)