Wenn statt Glocken die Ratschen zum Gottesdienst rufen
Mit dem Gründonnerstag endet die 40-tägige Fastenzeit und es beginnt das österliche „Triduum sacrum“, die drei heiligen Tage. Ab dem Gloria der Gründonnerstagsliturgie schweigen die Glocken und die Orgeln der Kirchen bis zum Gloria in der Osternachtsliturgie. Das Schweigen der Glocken symbolisiert die Trauer über den Tod Jesu, wohingegen das erneute freudige Glockengeläut in der Osternacht den Jubel über die Auferstehung Jesu bekräftigt. Während des „Fastens der Ohren“ tritt das rhythmische Rattern der Holzratschen an die Stelle der Glocken und verkündet der Bevölkerung die Gebetszeiten.
Der Ursprung des Ratschens geht bis ins 6. Jahrhundert zurück, als es noch keine Kirchenglocken gab. In den Kirchtürmen waren damals große hölzerne Schallgeräte mit Hämmern verankert. Im 8. Jahrhundert, zur Zeit von Karl dem Großen, wurde das Ratschen in den Kartagen ausgeübt. Das Ratschengehen der örtlichen Jugend ist ab dem 18. Jahrhundert entstanden. War es früher üblich, dass nur Buben – meist Ministranten – ratschten, üben seit dem ausgehenden 20. Jahrhundert zunehmend auch Mädchen den Brauch aus. 2015 wurde das Karfreitagsratschen in das österreichische Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes der UNESCO aufgenommen.
Je nach Region und Pfarrtradition gibt es ganz unterschiedliche Ratschersprüche. Viele von ihnen sind vor langer Zeit entstanden, manche Sprüche werden daher auch nicht mehr als zeitgemäß empfunden. „Wir ratschen, wir ratschen den Englischen Gruß, den jeder katholische Christ beten muss. Kniet's nieder, kniet's nieder auf euere Knie, bet's drei Vaterunser und ein Ave Marie.“ So lautet der wohl bekannteste Ratscherspruch.
Immer schon bekamen die Ratscher zum Abschluss ihre Ratschenspende: In vielen Pfarren war es Brauch, von Haus zu Haus zu gehen und um ein „Ratschenei“ zu bitten. Das (Oster-)Ei steht für neues Leben und ist ein Symbol für die Auferstehung Jesu. Mit dem Bitten um ein solches Ei soll an die Auferstehung erinnert werden. Früher wurden den Ratschenkindern bunte, gekochte oder auch rohe Eier als Dank für das Ratschen gegeben. Sie verkauften diese und bekamen so etwas Taschengeld. Heutzutage bekommen die Ratschenkinder zumeist kleine Geldspenden und Süßigkeiten, aber weiterhin auch Ostereier für ihre Tätigkeit.
Das Ratschen auf der Stadtpfarrkirche Braunau-St. Stephan (Braunauer Steffl) hat eine lange Tradition. Drei große Holzratschen stehen auf der zweiten Galerie am Turm. Diese ertönen auch heuer wieder achtmal am Karfreitag und fünfmal am Karsamstag jeweils ab 8.00 Uhr zur vollen Stunde und werden jeweils – vorwiegend von Jugendlichen und Familien – etwa drei Minuten lang gedreht. © Herbert Fink/Braunau-St. Stephan
Ratsche ist nicht gleich Ratsche
Im Laufe der Jahrhunderte haben sich unterschiedliche Ratschen entwickelt – zum Beispiel Schub-karrenratschen, Walzenratschen oder auch Hammerratschen, Fahnenratschen und Rumpeln. In Oberösterreich kommen meist Fahnenratschen und Rumpelratschen zur Anwendung. Fahnenratschen verwendete sogar Wolfgang Amadeus Mozart in seiner Kinder- oder Berchtesgadener Symphonie. Das „Fahnl“ besteht aus einer Hartholzwalze auf dem Drehstock und Eschenleisten. Beim Drehen geben sie ziemlich laute Ratschergeräusche von sich. Bei einer „Rumpel“ werden durch das Drehen der Kurbel die Hämmer im Inneren des hölzernen Rumpelkastens in Bewegung gesetzt und erzeugen den typischen, schlagenden Lärm. Vereinzelt – vor allem im ländlichen Raum – stehen aber auch noch Kirchturmratschen in den Gotteshäusern.
Lange Tradition mit Nachwuchssorgen
In Oberösterreich hat das Ratschen besonders im Salzkammergut und dort vor allem in der Traunseegemeinde Ebensee große Tradition. Dort laufen üblicherweise in allen 11 Ortsteilen die Ratscherkinder von Haus zu Haus – in der Ortschaft Rindbach so wie früher ausschließlich mit den aus Fichtenholz gefertigten Rumpeln.
Doch mittlerweile kann selbst in der Traunseegemeinde die Ratscher-Tradition nur mehr schwer aufrecht gehalten werden, denn: „Genügend Nachwuchs zu finden, ist heutzutage schwierig“, sagt Fridolin Engl, Ständiger Diakon in der Pfarrgemeinde: „In einigen Ortsteilen von Ebensee funktioniert dies zwar nach wie vor gut, es gibt aber auch Straßen in manchen Ortsteilen, in denen keine Ratscherkinder unterwegs sind.“ Engl hat daher im aktuellen Pfarrblatt einen Aufruf gestartet und bittet, Kinder zu motivieren, um das Brauchtum, dort, wo es eingeschlafen ist, wieder aufzuwecken.
Ratschen in luftiger Höhe
In der Landeshauptstadt Linz braucht man als Ratscher oder Ratscherin auch schon mal eine gute Kondition, zumindest dann, wenn man Ministrant:in im Mariendom ist. Seit Jahren schon wird zur Osterzeit – am Karfreitag und am Karsamstag – vom Turm herab geratscht. 392 Stufen bis kurz vor die Turmeremitenstube müssen die Buben und Mädchen dafür erklimmen, ehe sie in 68 Meter Höhe ihre Fahnenratschen über ihren Köpfen schwenken. Je dreimal geht es am Karfreitag und am Karsamstag auf den Turm hinauf und wieder hinunter. Geratscht wird um 7.00 Uhr, um 12.00 Uhr und um 19.00 Uhr. Hoch oben beten die Teilnehmer:innen den „Engel des Herrn“.
Ihr Werkzeug, also ihre Ratschen, die bauen sich die Minis immer selbst. Unter der fachkundigen Anleitung von Maximilian Strasser, der bis Ende 2024 Dompfarrer im Mariendom war. Seit mehr als 20 Jahren stellt er vor Ostern sein handwerkliches Können unter Beweis. Mehr als 50 Ratschen sind dabei im Dompfarrhof schon entstanden. „Eigentlich wäre im Vorjahr schon Schluss gewesen, doch ich habe mich heuer ein letztes Mal überreden lassen“, sagt Strasser.
Jeder Ratscher/jede Ratscherin soll seine eigene Ratsche haben, das ist das Motto des emeritierten Dompfarrer Maximilian Strasser. © Dompfarre Linz
Seine ersten Ratschen entstanden nach einem Modell: „Ein Ministrant hatte es mitgenommen, selbst gebaut im Werkunterricht in der Schule“, erinnert sich der emeritierte Dompfarrer. Heuer wird am 15. April wieder mit den Minis gesägt und geleimt. Was es zum Bauen braucht? „Wir verwenden Fichtenlatten“, sagt Strasser. Metall sei in den Ratschen keines drinnen. Unter den Augen des Fachmannes greifen die Kinder und Jugendlichen dann zu Handsäge, Schleifpapier, Leim und Dübel. „Mir ist wichtig, dass jeder SEINE Ratsche hat, einen Fundus haben wir nicht“, so Strasser, der den Brauch des Domratschens gemeinsam mit der ehemaligen kfb-Vorsitzenden Erika Kirchweger ins Leben gerufen hat. Und manchmal, wenn es seine Zeit erlaubt, ist er sogar selbst hoch oben im Turm mit dabei, wenn die Ministrant:innen voller Stolz ihren selbstgebastelten Holzratschen Leben einhauchen und die Menschen zum Gebet rufen.
Ratscherbesuch im Bischofshof
Zum Karfreitagsratschen stellen sich auch heuer wieder der Trachtenverein „Almtaler Linz“ und die Feuerwehrjugend Pechgraben bei Bischof Manfred Scheuer ein. Seit 1971 kommen sie alljährlich in den Bischofshof, um die Tradition zu pflegen. Am Nachmittag des 18. April werden Ratschen in allen Größen und Formen – bis hin zu den großen „Turmratschen“ – im Innenhof des Bischofshofes erklingen.