Heimische Bischöfe: Das Heilige Land braucht dringend wieder Pilger
Initiativen, die sich für ein friedliches Zusammenleben von Israelis und Palästinensern im Heiligen Land einsetzen, brauchen dringend mehr Unterstützung aus dem Westen. Das ist ein wesentlicher Tenor zahlreicher Begegnungen und Gespräche, die eine hochrangige Delegation des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich in dieser Woche im Heiligen Land bestreitet. Solidarität mit den Christen im Heiligen Land könnten die Christen im Westen vor allem dadurch zeigen, dass sie wieder als Pilger ins Land kommen. Die Heiligen Stätten könnten gefahrlos besichtigt werden, teilte der ÖRKÖ am 14. Februar 2025 mit.
In Jerusalem traf die ÖRKÖ-Delegation unter anderem mit der jüdischen Friedensaktivistin Yisca Harani, die die Organisation „Religious Freedom Data Center" gegründet hat: Ein Team von Freiwilligen betreibt eine Online-Hotline und sammelt Fälle von Spuckattacken, verbalen Attacken gegen Christen, sowie von Vandalismus gegen christliche Einrichtungen.
Allein von Oktober bis Dezember 2024 wurden 31 Fälle bekannt, die Dunkelziffer liege freilich zehnmal höher, zeigte sich Harani überzeugt: „Die israelische Öffentlichkeit muss aufwachen. Ich möchte nicht in einem Land leben, in dem das normal ist. Und ich möchte auch nicht, dass meine Kinder und meine Enkel in einem solchen Land leben müssen."
Besonders betroffen von Spukattacken seien die Geistlichen im Armenischen Viertel in Jerusalem. Durch dieses Viertel führt der Weg vieler Juden zur Klagemauer. Wenn die Armenier eine Prozession durch die Straßen abhalten, gingen oft Freiwillige des „Religious Freedom Data Center" mit, so Harani. Mit ihren markanten gelben Westen würden sie den Christen etwas Schutz bieten.
Im israelischen Schulunterricht werde das Thema Christentum ausschließlich in negativen historischen Zusammenhängen behandelt, erläuterte die israelische Religionswissenschaftlerin einen Grund für die ablehnende Haltung vieler Israelis gegenüber den Christen. So sei es kein Wunder, dass viele die Christen als Fremdkörper wahrnehmen würden.
Hochrangige Delegation
Der ÖRKÖ-Delegation gehören der armenisch-apostolische Bischof und ÖRKÖ-Vorsitzende Tiran Petrosyan, der katholische Linzer Bischof Manfred Scheuer, der reformierte Landessuperintendent Thomas Hennefeld sowie der rumänisch-orthodoxe Bischofsvikar Nicolae Dura an. Die Delegation traf am Donnerstag in Jerusalem unter anderem mit dem örtlichen Verantwortlichen des EAPPI-Programms, Jusef Daher, zusammen.
V. l.: ÖRKÖ-Vorsitzender Tiran Petrosyan, Bischofsvikar Nicolae Dura, Landessuperintendent Thomas Hennefeld und Bischof Manfred Scheuer © ÖRKÖ
Der ÖRKÖ unterstützt seit vielen Jahren das „Ökumenische Begleitprogramm in Palästina und Israel" (EAPPI) des Weltkirchenrates. Freiwillige aus aller Welt setzen sich vor Ort für ein Ende der Gewalt und ein friedliches Zusammenleben von Palästinensern und Israelis ein. Die EAPPI-Freiwilligen begleiten etwa palästinensische Kinder auf dem Weg zur Schule, sie begleiten Berufstätige auf dem Weg zu ihrem Arbeitsplatz oder Betende auf dem Weg in die Moschee. Sie sind zudem an den Checkpoints präsent, an denen die Palästinenser nach Israel einreisen müssen. Die EAPPI-Mitarbeiter beobachten und dokumentieren Vorfälle, sind sonst nicht aktiv. Aber allein schon die Präsenz vor Ort wirkt laut ÖRKÖ oft deeskalierend
Spätestens seit dem 7. Oktober 2023 wurde die Arbeit aber immer schwieriger bis zeitweise auch unmöglich, berichtete Daher. Das Programm musste in den vergangenen eineinhalb Jahren zurückgefahren werden, Freiwillige sind aber beispielsweise aktuell in Jerusalem, Betlehem oder Jericho im Einsatz. Früher seien die Freiwilligen durch ihre markanten EAPPI-Westen aufgefallen. Inzwischen dürften die Freiwilligen die Westen aus Sicherheitsgründen nicht mehr tragen, so Daher.
Zur Frage, ob die Arbeit von EAPPI überhaupt noch Sinn macht, berichtete Daher vom Besuch mit einem Freiwilligen in einem palästinensischen Dorf im Westjordanland. Als er fragte, weshalb die im Freien spielenden Kinder keine Schuhe trügen, habe er zur Antwort bekommen, dass diese aus Angst vor immer wieder angreifenden Siedlern mit Schuhen schlafen würden, um rasch fliehen zu können. Als sie nun aber sahen, dass ein EAPPI-Mitarbeiter kam, hätten sie sich sicher gefühlt und die Schuhe ausgezogen.
Mit Kunst gegen Hoffnungslosigkeit
In Betlehem war die ÖRKÖ-Delegation u. a. in der Dar al-Kalima Universität zu Besuch. Der evangelische Geistliche Mitri Raheb, der die Kunstuniversität leitet, bezeichnete sie als ein „Haus der Hoffnung". Mit Kunst und Kultur könne man die Herzen und Köpfe der Menschen erreichen", um die Gesellschaft zum Besseren zu verändern, zeigte sich Raheb überzeugt. Die Universität in Betlehem zählt rund 550 Studierende, zwei Drittel sind Frauen, drei Viertel Muslime.
Neben Betlehem gibt es noch einen zweiten Standort in Gaza mit sogar 650 Studierenden. Diese Universität wurde im Krieg aber völlig zerstört. Einige Studenten in Gaza kamen auch ums Leben.
So sehr Raheb die Universität als Zeichen der Hoffnung verstehen wollte, so sehr zeigte er sich zugleich pessimistisch, was die Zukunft der Christen im Heiligen Land betrifft. In Gaza werde es schon in wenigen Jahren keine Christen mehr geben und auch im Westjordanland werde man 2050 keine nennenswerten christlichen Gemeinschaften mehr vorfinden, so Raheb.
Dabei seien die Christen für die Region von immenser Bedeutung. So seien die insgesamt 300 kirchlichen Einrichtungen im Westjordanland der drittgrößte Arbeitgeber in der Region nach der Autonomiebehörde und dem UNO-Hilfsorganisation UNRWA für palästinensische Flüchtlinge. Ein Drittel der Krankenversorgung im Westjordanland erfolge durch kirchliche Einrichtungen. Die Christen machten dabei aber gerade einmal 1,7 Prozent der Bevölkerung aus.
Die weit überproportionale Bedeutung der Christen für das Westjordanland wurde auch beim Besuch der Delegation im Caritas Baby-Hospital in Betlehem deutlich. Dabei handelt es sich um die einzige Kinderklinik weit und breit. Notwendig wären weit mehr, sind doch 43 Prozent der Bevölkerung des Westjordanlandes Kinder, berichtete Direktor Issa Bandak. Leider sei es immer mehr Patienten nicht mehr möglich, das Krankenhaus wegen der vielen Straßensperren und Checkpoints der israelischen Sicherheitskräfte zu erreichen. Und immer mehr Menschen könnten sich auch die Behandlungen nicht leisten. Hier helfe ein Sozialprogramm des Krankenhauses, so Bandak.
Trotz der riesigen Probleme wollten sich die Verantwortlichen des Krankenhauses nicht entmutigen lassen. Derzeit wird sogar ein Zubau errichtet: die neue Kinderchirurgie, die 2026 in Betrieb gehen soll.
Christen werden immer weniger
Der Rückgang der christlichen Gemeinden im Westjordanland wurde auch beim Besuch der evangelischen Talitha Kumi Schule in Betlehem deutlich. Insgesamt besuchen rund 800 Kinder und Jugendliche vom Kindergarten bis zur Matura die Bildungseinrichtung, die als deutsche Auslandsschule geführt wird. 80 Prozent der Schüler sind Muslime, 20 Prozent Christen. Vor 25 Jahren sei das Verhältnis noch genau umgekehrt gewesen, berichtete Direktor Birger Reese: „Das geht an die christliche Identität und Substanz". Die Schülerinnen und Schüler lernen an der Schule auch ausgezeichnet Deutsch. Viele wollen nach der Matura in Deutschland studieren.
Bei einem Gespräch der Delegation mit Lehrerinnen sowie Schülerinnen und Schülern wurde unter anderem deutlich, dass durch den Krieg immer mehr Menschen in der Region Betlehem in tiefste Armut abgleiten würden. Ein Zeichen der Zuversicht: Die Schülerinnen und Schüler von Talitha Kumi würden gerade einen Benefizlauf für die zivilen Kriegsopfer in Gaza organisieren, berichtete Direktor Reese.
Palästinenser wollen ihr Land nicht verlassen
Der Besuch der Delegation des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich dient der Begegnung mit den christlichen Gemeinschaften vor Ort und Personen jeglicher Religionszugehörigkeit bzw. Vertretern von Organisationen und Institutionen, die sich für Frieden und Versöhnung im Heiligen Land einsetzen. Die Gaza-Pläne von US-Präsident Donald Trump, die von extremistischen israelischen Politikern dankbar aufgegriffen wurden, lehnten die Gesprächspartner kategorisch ab bzw. hielten sie für gänzlich unrealistisch, hieß es vonseiten des ÖRKÖ. Eine Räumung des Gazastreifens komme für die Palästinenser nicht infrage. Die Palästinenser wollten ihr Land nicht verlassen, nicht nochmals vertrieben werden", hätten es mehrere Gesprächspartner auf den Punkt gebracht.
Der Westen habe bei den Palästinensern viel Glaubwürdigkeit verspielt, so ein weiterer, oftmals vorgebrachter Standpunkt. Lobende Worte gab es hingegen immer wieder für Papst Franziskus, dem das palästinensische Volk sehr am Herzen liege. Was die Delegation von vielen Seiten zu hören bekam: Papst Franziskus telefoniert täglich mit der christlichen Gemeinde in Gaza. Der örtliche Pfarrer der Gemeinde, Gabriel Romanelli, ist wie der Papst Argentinier.
Nach einem katholischen Gottesdienst in der Dormitio-Abtei feierte die Delegation unter anderem auch eine armenische Vesper in der Armenischen Kapelle auf dem Dach der Geburtskirche in Betlehem. In der Grotte der Geburtskirche fand ein ökumenisches Gebet statt. Bis Samstag stehen auch noch Treffen mit dem armenischen Patriarchen Nourhan Manougian, dem evangelischen Bischof Sani Ibrahim Azar und dem evangelischen Propst Joachim Lenz auf dem Programm. Ebenso ein Gottesdienst in der Grabeskirche in Jerusalem.