Pogromnachtgedenken in Zeiten eines wachsenden Antisemitismus
Der Einladung der IKG Linz gefolgt waren unter anderem Bischof Dr. Manfred Scheuer, Univ.-Prof. Dr. Christoph Niemand, Rektor der Katholischen Privat-Universität Linz, Dr. Gerold Lehner, Superintendent der Evangelischen Kirche A.B. Oberösterreich, Mag.a Renate Bauinger, Superintendentialkuratorin der Evangelischen Kirche A.B. Oberösterreich, Binur Mustafi BEd. MA, Vorsitzender der Islamischen Religionsgemeinde für OÖ, Landeshauptmann Mag. Thomas Stelzer, Bürgermeister MMag. Klaus Luger, Mag.a Brigitte Hütter, MSc, Rektorin der Kunstuniversität Linz, Brigadier Dieter Muhr, Militärkommandant von Oberösterreich, und Schauspieler Cornelius Obonya.
Beim Eintreffen empfing die Gäste eine beeindruckende Projektion der in der Pogromnacht 1938 zerstörten Synagoge (Innen- und Außenansicht) auf den Mauern der 1968 eingeweihten, heutigen Synagoge. Daneben schienen die Namen der jüdischen NS-Opfer der Reihe nach ebenfalls auf der Außenmauer der Synagoge auf. In diesem Projekt in Kooperation mit der Kunstuniversität ließ sich die schier nicht enden wollende Zahl der Opfer erahnen, die auch in der Gedenkstunde von Mitgliedern der Kultusgemeinde verlesen wurden.
Berührend: Die Projektion der in der Pogromnacht 1938 zerstörten Synagoge auf den Mauern der heutigen Synagoge. © MIG-Pictures e.U. / Michaela Greil
In ihrer bewegenden Eröffnungsrede sprach die Präsidentin der IKG Linz, Dr.in Charlotte Herman, über die Bedeutung des Gedenkens angesichts der aktuellen Ereignisse. Aus sehr persönlicher Perspektive sprach sie über Angst und Wut, über die Bedeutung des Staates Israel für die Juden und Jüdinnen weltweit und von Österreich als ihrem Zuhause. Sie forderte, jede Art von Antisemitismus zu bekämpfen, und äußerte den Wunsch, sich überall als Jüdin und Jude frei bewegen und entfalten zu können, sich nicht umschauen zu müssen und jüdische Symbole oder hebräische Aufschriften nicht verdecken zu müssen: „Ich will nicht darauf angewiesen sein, dass sie [Polizei und Security, Anm.] mich beschützen. Ich will einfach nur in Sicherheit leben.“ Die erklärte Optimistin endete mit einer Warnung: „Wir müssen darauf achten, dass unsere Nachkommen nicht Gedenkstätten der Ermordung und Vernichtung von Juden im 21. Jahrhundert besuchen müssen.“
Bischof Dr. Manfred Scheuer ging in seiner Rede auf die Verantwortung und die Schuldgeschichte der christlichen Kirchen ein: „Das Gedenken an die Novemberpogrome 1938 ist für Christen verbunden mit dem Eingedenken in die Verstrickung in Schuldzusammenhänge des Antisemitismus. Ein religiös verbrämter Antijudaismus hatte zur Folge, dass viele Christen, als es ernst wurde, einem national und rassisch begründeten Antisemitismus nicht entschieden genug widerstanden haben. Die Jahrhunderte lang tradierten antijüdischen Stereotypen in der christlichen Theologie, vor allem die Anklage des Gottesmordes, trugen zum Gefühl der Selbstgerechtigkeit der Christen bei, trugen bei den Christen zu einer Mentalität bei, die sich vor der notwendigen Solidarität mit den ausgegrenzten und nach und nach auch dem Tod preisgegebenen Opfern des nationalsozialistischen Regimes drückte. Das Bewusstsein der Glaubenssolidarität der Christen mit den Juden war nicht oder viel zu wenig vorhanden. Und es gab zu wenig, viel zu wenig Gerechte. Politische Naivität, Angst, eine fehlgeleitete Theologie, die über Jahrhunderte hinweg die Verachtung des jüdischen Volkes gelehrt hatte, und mangelnde Liebe haben viele Christen damals veranlasst, gegenüber dem Unrecht und der Gewalt zu schweigen, die jüdischen Menschen in unserem Land angetan wurden. Wir Christen bekennen mit dem jüdischen Volk den Gott Israels. Wir erkennen heute beschämt, dass mit der Zerstörung der Synagogen, dass mit der Shoah der Name des Ewigen geschändet wurde, ohne dass viele unserer Vorfahren im Glauben dies gespürt hätten.“ Für die Gegenwart bedeute dies auch Verantwortung und Solidarität: „Jüdinnen und Juden sollen wissen, dass sie in der katholischen Kirche und in den Christen verlässliche Partner haben im Kampf gegen den Antisemitismus in allen fratzenhaften Formen des Hasses, der Verachtung, der Beschimpfung, der Anschläge, des Terrors, der Schändungen.“
Gedanken von Bischof Manfred Scheuer in erweiterter Form zum Nachlesen
Superintendent Dr. Gerold Lehner nahm in seiner Ansprache Bezug auf jüdische Identität: „Jüdisch zu sein inmitten dieser Welt ist ein Zeichen. Auch ein Zeichen des Anstoßes. Das jüdische Volk hat sich sein Schicksal nicht ausgesucht. Es wurde gesucht und gefunden und hat in einen Bund eingewilligt. Damit ist das jüdische Volk ein Zeichen der Präsenz Gottes auf Erden. Diese Erwählung ist ein Segen und soll ein Segen für die Welt sein.“
Wie die Vertreter der Kirchen sprachen sich auch die politischen Redner vehement gegen Antisemitismus in unserer Gesellschaft aus. Der Bürgermeister der Stadt Linz MMag. Klaus Luger betonte die historische Verantwortung der Stadt Linz, in der zwei Söhne der Stadt und Schlüsselfiguren der NS-Vernichtungsmaschinerie, Ernst Kaltenbrunner und Adolf Eichmann, geprägt wurden. Zudem sprach er sich für ein Vorgehen gegen Vorurteile und Pauschalurteile gegenüber Jüdinnen und Juden, und auch gegenüber Musliminnen und Muslimen, die sich klar vom Hamas-Terror distanzieren, aus.
Landeshauptmann Mag. Thomas Stelzer betonte in seiner Rede die Bedeutung der Sicherheit für und die Solidarität mit Jüdinnen und Juden. Wenn sich jetzt jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger aufgrund des aufkeimenden Antisemitismus die Frage stellen, ob sie in unserem Land willkommen sind, kann es laut Landeshauptmann Thomas Stelzer nur eine klare Antwort darauf geben: „Ja, ihr seid willkommen und ja, ihr gehört zu uns. Ihr seid Teil unseres Lebens und unserer Kultur. Ihr seid in diesen Tagen nicht allein, wir stehen zusammen und teilen den Schmerz. Und als Rechtsstaat und Gesellschaft müssen wir allen unmissverständlich und mit aller Härte klar machen, dass wir keinen Antisemitismus dulden.“
Schauspieler Cornelius Obonya las eindrücklich literarische Texte zum Thema von Walter Lindenbaum, Erich Kästner, Theodor Kramer und Berthold Brecht. Musikalisch gestaltet wurde die Gedenkfeier von Tomas Novak, der Violinstücke arrangierte und virtuos zum Besten gab.
© MIG-Pictures e.U. / Michaela Greil
Gudrun Becker / Referentin für Ökumene und Judentum