Freitag 14. März 2025

Prof. Christian Spieß zum Krieg zwischen der Terrororganisation Hamas und dem Staat Israel

Prof. Christian Spieß

Der Professor für Christliche Sozialwissenschaften an der Fakultät für Theologie der KU-Linz, Christian Spieß mit einer Einordnung zum Krieg zwischen der Terrororganisation Hamas und dem Staat Israel.

Der Text soll helfen, unsere eigenen Gedanken zum Thema zu ordnen und in den Diskussionen, in die wir geraten, aufklärend und versachlichend zu wirken. Auch geht mit diesem Text ein herzlicher Gruß an die Nachbarn der KU-Linz, die sich in der Linzer Synagoge regelmäßig zu Gebet und gemeinschaftlicher Feier versammeln: Der israelitischen Kultusgemeinde und ihrer Leitung gilt – in diesen Tagen besonders – unsere freundschaftliche Solidarität und Mit-Sorge.

 

 

Am 7. Oktober 2023 – dem 22. Tischrei 5784 nach jüdischem Kalender, dem jüdischen Feiertag Simchat Thora am Ende des Laubhüttenfestes – überfielen Angehörige der islamistischen Terrororganisation Hamas Israel. Die dabei vor allem an der Zivilbevölkerung verübten Verbrechen, die in großer Zahl belegt sind und hier nicht noch einmal geschildert werden müssen, lassen uns fassungslos zurück. Das Leid ist unermesslich. Es bleibt zunächst eigentlich nichts anderes übrig als sprachlose Trauer.

 

In einem zweiten Schritt muss die Terroraktion eingeordnet werden in ihrer Bedeutung für Israel und auch für das Judentum, in ihrer Dimension für die Konflikte im Nahen und Mittleren Osten und für das Zusammenleben der Religionen weltweit. Die Terrororganisation Hamas bestreitet das „Existenzrecht“ Israels; und nach Einschätzung vieler Fachleute war Israel seit der Unabhängigkeitserklärung 1948 in seiner Existenz nie so bedroht, ist jedenfalls die Prekarität des Nationalstaats des jüdischen Volkes nie so scharf hervorgetreten wie am 7. Oktober 2023 und den Tagen danach. Dies ist der Grund, warum neben die sprachlose Trauer das Bekenntnis zur Solidarität mit Israel tritt, das Bekenntnis zur Existenz des Staates Israel und den damit zusammenhängenden Rechten und Pflichten, selbstverständlich auch mit den für das moderne Staatsverständnis konstitutiven Rechten und Pflichten der Verteidigung und der Gewährleistung der Sicherheit der Bevölkerung.

 

Dabei weitet sich – im dritten Schritt – der Blick auf die Folgen der Terroraktion, vor allem wiederum für die Zivilbevölkerung im Heiligen Land bei der nun folgenden weiteren Anwendung militärischer Gewalt. Nicht nur im Hinblick auf das Existenzrecht Israels, sondern auch im Hinblick auf die Verteidigungsakte Israels, die sich gegen die überwiegend im Gazastreifen stationierte Hamas richten müssen, sind die Standards des Humanitären Völkerrechts und die Kriterien einer legitimen Kriegsführung („ius in bello“) zu achten, insbesondere der Schutz von Zivilpersonen oder die Verhältnismäßigkeit der Mittel. Die Vermeidung einer humanitären Katastrophe im Gazagebiet muss ein wichtiges Ziel der internationalen Zusammenarbeit und der Diplomatie sein.

 

Mittelfristig muss auch wieder eine dauerhafte Friedensordnung für die Region das eigentliche Ziel der internationalen Politik sein. Zurzeit fällt es schwer, hier an realistische Szenarien zu denken, und zwar vor allem, weil mit den Angriffen vom 7. Oktober eine Vertrauensgrundlage wohl für lange Zeit zerstört wurde. Es ist klar, dass eine dauerhafte Friedensordnung die Interessen unterschiedlicher Akteure und Personengruppen im Heiligen Land berücksichtigen muss. In der Tradition der christlichen Friedensethik wurde deshalb die Idee des gerechten Friedens in Ergänzung zu den Überlegungen zu einer legitimen militärischen Gewaltanwendung („ius ad bellum“) entwickelt. Die Formel „Gerechtigkeit schafft Frieden“ mag wie ein wohlfeiler Slogan und angesichts der gegenwärtigen Situation auch etwas schal klingen – sie besitzt aber mit Sicherheit den wahren Kern, dass Kriege häufig aus politischen Verhältnissen, die als ungerecht empfunden werden, resultieren und dass ein Ausgleich der Interessen die Voraussetzung für eine wohlgeordnete Staatengemeinschaft ist.

 

In einem weiteren Schritt muss auch die Bedeutung der Religion analysiert werden. Die triviale Betrachtungsweise, wonach die Religion an sich nicht das Problem sei, sondern nur politisch instrumentalisiert werde, hält einer wissenschaftlichen Überprüfung nicht stand. Religionen sind immer ambivalente Phänomene, weisen friedensstiftende und brandstiftende Potenziale auf, können der Begründung von Initiativen der Versöhnung ebenso dienen wie der Legitimation von Gewalt. Dabei blicken wir nicht nur in den Nahen Osten, sondern auch auf andere Kriege und Konflikte, nicht zuletzt aber auch in unsere eigenen west- und mitteleuropäischen Gesellschaften. Wenn Anschläge auf religiöse Einrichtungen verübt oder Menschen aufgrund ihres religiösen Bekenntnisses beschimpft, bedroht, angegriffen oder sogar getötet werden, ist das gerade für uns als religiöse Menschen, für religiöse Akteure und konfessionelle Organisationen alarmierend.

 

Schließlich wissen wir uns als Christ:innen und Katholik:innen besonders herausgefordert. Die Geschichte des Judentums in Europa ist auch eine Geschichte des christlichen Antijudaismus. Dies verlangt von uns eine besondere Sensibilität und Wachsamkeit für die verschiedenen Formen des Antisemitismus. Dass Menschen jüdischen Glaubens ihre religiöse Zugehörigkeit in der Öffentlichkeit verbergen (müssen), dass sie Angst haben müssen, als jüdisch erkannt zu werden, dass sie bestimmte Teile der Öffentlichkeit meiden (müssen), darf nicht sein. Auch deshalb ist ein Signal notwendig, dass wir als Christ:innen an der Seite unserer „älteren Glaubensbrüder und -schwestern“, wie es in der Liturgie heißt, stehen.

 

 

Christian Spieß ist Professor für Christliche Sozialwissenschaften an der Katholischen Privat-Universität Linz

Zukunftsweg
Synode

Synodalität als Chance in der neuen Pfarrstruktur

Warum Synodalität die Demokratie der Kirche ist und wie sie umgesetzt werden kann. Ferdinand Kaineder (Präsident der...

Auf dem Weg

Pfarrstrukturreform auf dem Weg

Einblick in die Pfarre Ennstal und einAusblick von Seiten derStabstelle.
Katholische Kirche in Oberösterreich
Diözese Linz

Herrenstraße 19
4020 Linz
https://www.dioezese-linz.at/
Darstellung: