Scheuer: Sanktionen gegen Syrien treffen die einfache Bevölkerung
Zur Hilfe für die Menschen in Not in Syrien hat Bischof Manfred Scheuer aufgerufen. Zugleich hat er die internationalen Sanktionen gegen Syrien kritisiert. Diese würden nur die einfache Bevölkerung treffen und diese ins tiefe Elend stürzen. Es sei "abgründig" zu meinen, man könne mit den Sanktionen eine Verbesserung der Situation bzw. eine Lösung des Konflikts erwirken. Der Linzer Diözesanbischof äußerte sich im Anschluss an einen Syrien-Besuch von 3. bis 10. September 2023, den er gemeinsam mit einer Delegation des Linzer Hilfswerks "Initiative Christlicher Orient" (ICO) absolvierte.
Er komme mit sehr gegensätzlichen Erfahrungen und Eindrücken zurück nach Österreich, so Scheuer: "Es sind die Bilder der Ruinen, der zerstörten Häuser, der kaputten Städte, aber auch der zerstörten Hoffnung, des verloren gegangenen Vertrauens in der Gesellschaft." Auf der anderen Seite habe er auch "Spuren des Lebens und Spuren kleiner Hoffnungen" wahrgenommen, ohne dass derzeit eine umfassende positive Zukunftsperspektive in Sicht sei.
Scheuer und die ICO-Delegation trafen in Syrien u. a. den syrisch-orthodoxen Patriarchen Aphrem II., den syrisch-orthodoxen Bischof von Aleppo, Boutros Kassis, den syrisch-katholischen Bischof von Damaskus, Youhanna Jihad Battah, und den den syrisch-katholischen Bischof von Homs, Jacques Mourad. Letzterer wurde 2015 von Terroristen des "Islamischen Staates" entführten und für mehrere Monate festgehalten. Nach rund viereinhalb Monaten gelang ihm mithilfe von Muslimen die Flucht. Einige der Fluchthelfer wurden deswegen später vom IS ermordet.
Menschen wollen Land verlassen
Gerade die Bedeutung der Bildung sei in Syrien besonders wahrzunehmen gewesen, betonte Scheuer. Das zeige sich unter anderen in Projekten für Kinder und Jugendliche, die wegen des Krieges noch nie oder kaum die Schule besuchen konnten und nun in speziellen Projekten Lesen, Schreiben und Rechnen lernen.
Sehr betroffen zeigte sich der Bischof darüber, dass er kaum jemanden in Syrien getroffen habe, der im Land bleiben will. Die katastrophale Situation zerreiße die Familien: "Für wen sollen die Menschen Verantwortung übernehmen? Für ihre alten kranken Eltern, die nicht mehr wegkönnen, oder für ihre Kinder, für die es im Land keine Perspektiven gibt und für die sie sich im Westen ein besseres Leben erwarten? Wenn sie diesen Schritt setzen, müssen sie die Alten verlassen, tun sie es nicht, nehmen sie ihren Kindern die Zukunft."
Von vielen Seiten habe er Dankbarkeit für seinen Besuch wahrgenommen, berichtete der Bischof weiter. Die Menschen spürten in klein wenig, dass sie nicht vergessen sind und nicht im Stich gelassen würden. Zudem habe er erlebt, dass die Christen ihren Glauben als besonders wichtig und wertvoll erfahren. Scheuer: "Es gibt auch die kleinen Pflanzen der Hoffnung. Es gibt die Kraft des Gebetes, es gibt den Mut zum Leben und es gibt die Kraft zum Neuanfang. Ich habe nicht einmal, sondern oft gehört: 'Beten Sie für uns. Denken Sie an uns.' Und das möchte ich auch tun."
Der Besuch der Linzer Delegation fokussierte sich auch auf die zahlreichen Hilfsprojekte, die die ICO in Syrien unterstützt. Stationen der Reise waren u.a. Damaskus, Homs, Aleppo, Latakia, Tartus und das Tal der Christen bei Homs.
© ICO
Wirtschaftliche Situation verschlechtert
ICO-Obmann Slawomir Dadas sagte gegenüber Kathpress, dass sich die wirtschaftliche Situation für die Menschen im Vergleich zu seinen Besuchen vor einigen Jahren deutlich verschlechtert habe. Das zeige sich etwa am Verfall der syrischen Währung. "Wie die Leute hier überhaupt noch überleben können, ist mir eigentlich ein Rätsel", so Dadas. Er verstehe wirklich jeden, der das Land verlassen will.
Wie Bischof Scheuer hielt Dadas die Sanktionen gegen Syrien für verfehlt. Sie würden nur die einfachen Menschen treffen und ihnen jede Möglichkeit rauben, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen.
Vielfältige Projekte
ICO-Geschäftsführerin Michlin Alkhalil unterstrich gegenüber Kathpress, dass die Jugendliche und die Kinder am dringendsten Hilfe benötigten. Die junge Generation kenne nichts anderes als den Krieg. Die ICO leiste vielfältig Hilfe, mit Lebensmittel-Nothilfe, Bildungsprojekten, Wiederaufbauhilfe oder auch Winter-Nothilfe, so Alkhalil.
In Aleppo besuchte die ICO-Delegation u. a. die von der ICO finanzierte Suppenküche der Franziskaner. Mehr als 300.000 Mahlzeiten wurden in den vergangenen zwei Jahren hier zubereitet und an Bedürftige ausgegeben. Ein zweiter Schwerpunkt der aktuellen ICO-Hilfe in Aleppo und Latakia liegt auf der Renovierung von Wohnungen und Häusern nach dem verheerenden Erdbeben vom Februar 2023. Rund 200.000 Menschen wurden obdachlos. Die Franziskaner wollen in Aleppo und der Küstenstadt Latakia 170 Wohnungen wieder instand setzen. Die ICO ist einer von mehreren Geldgebern für dieses Projekt.
Bildungsprojekte für Frauen und Mädchen
Ein größeres ICO-Projekt in Latakia ist eine Art Privatschule der Organisation "People of Mercy" für Mädchen, die bisher noch nie die Schule besuchten. Die Mädchen und jungen Frauen stammen fast ausschließlich aus muslimischen Flüchtlingsfamilien, die nach einer schlimmen Flucht in Latakia Zuflucht gefunden haben. In der Schule lernen die Mädchen zwischen 13 und 17 u. a. Lesen, Schreiben, Rechnen und Englisch. Es gibt kreative Einheiten, Sport, Unterrichtsstunden zur Persönlichkeitsbildung und psychosoziale Begleitung. Für die jungen Frauen eine einmalige Chance, ein wesentlich selbstbestimmteres Leben führen zu können, als es sonst möglich wäre, und dem Kreislauf von Kinderarbeit und Kinderheirat zu entkommen.
In Maskana, einem Vorort von Homs, besuchte die Delegation eine Kinderklinik, die von der syrisch-katholischen Kirche betrieben und von der ICO finanziell unterstützt wird. Rund 300 Babys und Kinder werden hier jeden Monat kostenlos medizinisch untersucht.
Im "Tal der Christen", unterstützt die ICO ein Altenheim der griechisch-orthodoxen Kirche in der Ortschaft Al-Mouzineh. Des Weiteren hat das Linzer Hilfswerk zuletzt auch Winterkleidung für 200 christliche und muslimische Kinder im Ort sowie Sommerlager finanziert. Alkhalil: "Wir können leider nicht allen helfen, die es brauchen würden, aber wir können mit unserer Hilfe ganz vielen konkreten Menschen das Leben ein wenig erleichtern."